Befreiung aus der „systemischen fossilen Gefangenschaft“

Um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, fordern die Klimagerechtigkeitsbewegung und Fridays for Future die Halbierung der Treibhausgasemissionen bis 2025 und völlige Klimaneutralität bis 2030. Damit wir diese Ziele erreichen können, müssen wir die großen CO2-Emittenten als Teil eines systemischen Problems begreifen und dürfen uns nicht auf das beschränken, was die etablierte Politik innerhalb dieses Systems für umsetzbar hält.
8. Oktober 2019 |

2017 wurden in Österreich 82,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent emittiert, sagen die zuletzt verfügbaren Zahlen des Umweltbundesamts. Fast die Hälfte entfiel dabei mit 37 Mio. Tonnen auf den Sektor Energie und Industrie (45,0 Prozent), gefolgt von 23,6 Mio. Tonnen im Verkehr (28,7 Prozent) und weiteren 8,3 Mio. Tonnen in Haushalten und Dienstleistungen und 8,2 Mio. Tonnen in der Landwirtschaft (jeweils 10 Prozent). Aus diesen Zahlen wird schon deutlich, worauf sich das Feuer der Klimagerechtigkeitsbewegung konzentrieren muss: auf die Art der Energieerzeugung und die große Industrie.

Anteile an Treibhausgas-Emissionen in Österreich. Quelle: Umweltbundesamt


Der Stahlkonzern voestalpine ist für 11 Prozent der gesamten CO2-Emissionen verantwortlich (2016 waren es laut eigenen Zahlen 9 Mio. Tonnen). Er ist damit der größte fossile Klimasünder in Österreich. In derzeit üblichen Verfahren der Stahlerzeugung verwendet man Kohle, um Sauerstoff aus Eisenerz zu entfernen. Ein Nebenprodukt ist das Treibhausgas Kohlendioxid. Dabei gibt es längst CO2-neutrale Alternativen. Neuere Verfahren, wie die sogenannte „Direktreduktion“, verwenden – etwas vereinfacht gesagt – statt Kohlenstoff Wasserstoff, wobei am Ende bloß Wasser als Rest übrig bleibt.

Die Probleme: Wasserstoff wird derzeit noch über Methan aus Erdgas gewonnen, außerdem muss die Hitze, die zur Veredelung des Stahls nötig ist und für die bislang das Koks (kohlenstoffhaltiger Brennstoff) gesorgt hat, in völlig neuen Elektrolichtbogenöfen erzeugt werden. Für die grüne Erzeugung von Wasserstoff und den Lichtbogen sind gewaltige Strommengen nötig, die wiederum selbst durch erneuerbare Energien bereitgestellt werden müssen und für die die Industrie – wie wir noch sehen werden – nicht zahlen will.

Wasserstoff nicht profitabel

Schon jetzt verbraucht die voestalpine 27 Terawattstunden (TWh) Energie, wobei nur 1 Prozent aus erneuerbaren Energien stammt. Für die Ersetzung der Kohle in der gesamten österreichische Stahlproduktion durch Strom und Wasserstoff wäre ein zusätzlicher Energiebedarf von 35 TWh nötig, damit würde die voestalpine die Hälfte der österreichischen Stromproduktion in Anspruch nehmen. Dabei gibt es bislang nur Testversuche mit Wasserstoff. Die nötigen großen Investitionen werden nicht getätigt, weil sie zu kostenintensiv sind.

voestalpine-Chef Herbert Eibensteiner stellte zuletzt die Wasserstoff-Technologie in Frage, weil der Strom „zu teuer“ sei, anders gesagt: weil die Renditeaussichten zu gering sind. Und dabei reden wir noch gar nicht über Alternativen zur Stahlerzeugung, etwa die Verwendung von anderen Materialien im Gebäudebau wie Brettsperrholze, Bambus oder Biokunststoffe, die für die voestalpine eine lästige Konkurrenz sind. Das kapitalistische System ist zum Hemmschuh für die weitere Entwicklung geworden.

Und das, obwohl die voestalpine im Geschäftsjahr 2018/19 einen Rekord-Umsatz von 13,6 Milliarden Euro machte und eine halbe Milliarde Euro Gewinn erzielte. Dennoch kann der Konzern den Hals nicht vollkriegen. Weil die Strompreise im letzten Jahr im Schnitt um bis zu 10 Euro pro Megawattstunde höher waren als in Deutschland, klagte die voestalpine gemeinsam mit der Papierindustrie, dem Stromkonzern Verbund und der Wiener Energiebörse EXAA vor dem Wiener Oberlandesgericht den deutschen Übertragungsnetzbertreiber TenneT. Die voestalpine will außerdem Kompensationszahlungen für die 100 Millionen Euro CO2-Zertifikate, die sie jährlich erwerben muss.

Konkurrenz verhindert Wende

Es bräuchte ganz offensichtlich einen massiven, unmittelbaren und planmäßigen Ausbau von erneuerbaren Energieträgern und gleichzeitige Entwicklung von Alternativen zu Stahl. 2016 wurden in Österreich 48,0 TWh Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt (Wasser, Wind und Photovoltaik). Die bisherige Energie- und Klimastrategie der Regierung, diesen Wert bis 2030 auf 78,4 TWh zu erhöhen, reicht bei weitem nicht aus, wenn wir miteinbeziehen, dass wir nicht nur die bisherige Stromerzeugung umstellen, sondern wir auch in der Stahlproduktion, im Verkehr und anderen Bereichen auf Kohle, Gas und Erdöl verzichten müssen.

Die Unternehmer einbinden oder konfrontieren: Am Earth Strike übergaben die Entrepreneurs for Future Unterschriften an Fridays for Future (Vordergrund), während Aktivist_innen den Spruch von Greta Thunberg „Grüne Wachstumsmärchen? Wir könnt ihr es wagen!“ auf einen Banner entrollten (Hintergrund). Foto: Entrepreneurs for Future


Strom aus erneuerbaren Energien ist teurer als Strom aus fossilen Energien und in alternative Materialien wird aus Wettbewerbsgründen nicht investiert. Große private Firmen, die die Märkte beherrschen, und Regierungen werden daher, solange unser Wirtschaftssystem auf Konkurrenz basiert, niemals die Energiewende ernsthaft in Angriff nehmen. Dazu müssen wir die großen Energiekonzerne und die Stahlproduktion vergesellschaften, das heißt sie in einem ersten Schritt verstaatlichen, und in einem zweiten müssen die Arbeiter_innen die Kontrolle selbst übernehmen – weil nur sie die Konkurrenz und Ausrichtung auf Profitmaximierung unter Einbeziehung der wissenschaftlichen Erkenntnisse beenden können.

OMV baut Fossilwirtschaft aus

Noch deutlicher wird die Sache, wenn wir den großen fossilen Energieriesen OMV unter die Lupe nehmen – und wie sich die Regierung zu ihm verhält. Die OMV ist mit 21 Milliarden Euro Umsatz und 22.700 Beschäftigten eines der größten Unternehmen Österreichs und hauptverantwortlich für den Import von Erdöl und Erdgas. Der Konzern hat im ersten Halbjahr 2019 seinen Nettogewinn – trotz sinkender Öl- und Gaspreise sowie sinkender Raffineriemargen – auf knapp 1 Milliarde Euro verdoppelt und die Gesamtproduktion auf 482.000 Barrel pro Tag erhöht. Die bürgerliche Presse titelte „Die OMV schwimmt im Geld“.

Ende 2018 unterzeichnete der Konzern Offshore-Konzessionsabkommen für zwei Ölfelder und ein weiteres für Offshore-Gasfelder in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) mit der Abu Dhabi National Oil Company (Adnoc) mit einer Laufzeit von 40 Jahren. Dies, feierte die Konzernleitung im offiziellen Geschäftsbericht 2018, würde „die Reserven erhöhen und die Produktion steigern und damit maßgeblich zur Erreichung der strategischen Ziele beitragen“. Um das zu unterstreichen: Die OMV denkt nicht im Traum daran, aus den fossilen Energien auszusteigen. Die „strategischen Ziele“ sind „die Reserven zu erhöhen“ und „die Produktion zu steigern“.

Den Deal haben Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (beide ÖVP) im April 2018 bei einem Treffen mit den Kronprinzen der Emirate eingefädelt. Kurz darauf, noch bevor Greta Thunberg im Mai 2019 zum Klimastreik nach Wien kam und kurz vor der EU-Wahl, gab Kurz eine eigene Pressekonferenz der Bundesregierung mit OMV-Chef Rainer Seele. Kurz bedankte sich demonstrativ beim Ölkonzern, dass dieser 250 zusätzliche Arbeitsplätze in Österreich schaffen würde: „Wir werden uns weiter bemühen, alles zu tun, um einen bestmöglichen Standort und damit gute Bedingungen für Unternehmen wie die OMV zu schaffen.“

Standortlogik

Kurz vergisst bei der Gelegenheit nicht auf einen Seitenhieb gegen den deutschen JUSOS-Chef Kevin Kühnert, der im Abgas-Skandal der Automobilindustrie eine Debatte über Enteignungen losgetreten hatte. Zur Freude von OMV-Chef Seele, der den „Standort Österreich“ feiert und unverblümt verlautbart, dass man dank dieser Politik weltweit führend in der „Ausbeutehöhe von Lagerstätten“ sei.

In der Tonart ging es weiter. Unmittelbar darauf feierten Schramböck, „Nachhaltigkeitsministerin“ Elisabeth Köstinger und FPÖ-Infrastrukturminister Norbert Hofer die „Goldene Hochzeit“ der OMV mit dem russischen Energiefossil Gazprom in der Wiener Hofburg. Es folgte eine Dankesrede Schramböcks zum 60-jährigem Jubiläum der OMV-Raffinerie in Schwechat: Die OMV stärke „Österreich als Wirtschafts- und Innovationsstandort“, so die Ministerin. Im Frühjahr 2019 hielt sie die Keynote-Speech beim „OMV-Leadership-Event“ in Wien. OMV-Boss Seele begleitete den Kanzler gar bei einem weiteren Trip nach Abu Dhabi und bedankte sich persönlich beim Kronprinzen (siehe Bild ganz oben).

Raffinerie Schwechat: Bestehende Infrastrukur wird aus- statt abgebaut. Foto: Wikimedia Commons

Zuletzt wurden Schramböck und Köstinger gar als Nachfolgerinnen im OMV-Vorstand gehandelt. Während sie diese fossilen Megadeals abschlossen und die „strategischen Ziele“ der OMV verfolgten, inszenierten sich Köstinger, Hofer und Kurz als Klimaschützer mit einem „Plastik-Gipfel“ und verkauften die Leute für dumm.

Ökosozialismus

Wir dürfen uns nicht an jenen schmerzlindernden Maßnahmen wie einer CO2-Steuer abarbeiten, die man aktuell für umsetzbar hält. Sie lassen die Macht der Großkonzerne und Regierungen unangetastet. Wie es Klimaforscher Wolfgang Kirchengast am Earth Strike in Wien sagte: Wir müssen uns aus der „systemischen fossilen Gefangenschaft“ befreien. Die Klimabewegung braucht die Klarheit, dass es mit der ÖVP und den Vorstandsetagen der voestalpine und der OMV keine zeitgerechte, strukturelle Energiewende geben kann. Sie sind nicht Teil der Lösung, sondern das Problem. Wir treten deshalb in der Bewegung für eine ökosozialistische Ausrichtung ein und für die Orientierung auf die Gewerkschaften und Betriebsrät_innen. Dazu bedarf es – trotz der angebrachten Ungeduld vieler Klimaaktivist_innen und der Dringlichkeit zum Handeln – geduldiger Aufklärung, dann wird das Unmögliche möglich.

Es sollte deutlich geworden sein, dass ein radikaler Umstieg auf erneuerbare Energien in Kombination mit der Schaffung von alternativen Baumaterialien, einer raschen Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene und ein Ausbau des öffentlichen Verkehrs zehntausende neue Arbeitsplätze schaffen würde. Schon im nationalen Rahmen, aber besonders im internationalen Maßstab wird das nur durch Planung passieren können – wenn die Werktätigen auf Basis wissenschaftlicher Lösungsvorschläge die Kontrolle über die Produktion übernehmen, sich mit anderen Wirtschaftszweigen koordinieren und damit das Profitsystem außer Kraft setzen.