Corona-Demos: Nicht alles Faschisten – aber wir haben ein Problem

Bereits im April führte Linkswende Interviews mit Corona-Demonstrant_innen durch. Damals hatten wir die Einschätzung, dass sich die extreme Rechte auf den Protesten zwar frei bewegen kann, dass es sich aber noch nicht um eine Pegida 2.0 Bewegung handelt. Auch diesen Samstag beobachteten wir die Proteste. Rund 50.000 Menschen versammelten sich gegen die Corona-Maßnahmen. Angeführt wurde die Demonstration von faschistischen Identitären, Neonazi-Hooligans und antisemitischen Verschwörungstheoretikern. Im Zuge der Demonstration kam es zu Angriffen auf linke Journalist_innen, Jüdinnen und Juden und Migrant_innen. Die Linke muss gegen diese Angriffe aktiv werden. Es wäre jedoch ein großer Fehler, die aktuellen Corona-Proteste als faschistische Massenbewegung zu interpretieren. Es wäre fatal, Regierungsgegner pauschal den Rechten zu überlassen.
22. November 2021 |

Die ideologische Diffusität der Bewegung ist zum Verrücktwerden! Organisierte Nazis neben Migrant_innen, Che Guevera-Fahnen neben Reichskriegsflaggen, Yugoslavia skandierende Jugendliche in Bosnien-Fahnen sehen die Chance auf eine Konfrontation mit der Polizei und attackieren sie gemeinsam mit Austria Wien-Hooligans. Von Österreich- über Schweden- bis zu Israel- und Frankreich-Fahnen dürfte beinahe jede Nationalfahne auf den Protesten getragen worden sein.

Junge Frauen, welche die feministische Forderungn „My body my Choice“ nicht nur auf das Recht auf Abtreibung beziehen, sondern ebenfalls als Argument gegen die Impflicht ins Felde führen, neben religiösen Fundamentalisten mit „Nur Jesus kann uns retten“-Transparenten, Frauen mit Kopftuch hinter oder neben FPÖ-Bannern.

Während der faschistische Frontblock in seinen Slogans dem Hass auf die „Antifa“ freien Lauf ließ, waren im größten Teil der Demonstration ausschließlich Parolen für „Freiheit“, gegen „Diktatur“ und gegen die „Spaltung der Gesellschaft“ zu hören. Von rassistischen oder nationalsozialistischen Parolen innerhalb dieses Teils des Protestes habe ich im Laufe der sechs Stunden nichts mitbekommen. Vermutlich gab es sie auch nicht.

Der Linken muss es gelingen einen Keil zwischen den faschistischen Flügel und den normalen Maßnahmenkritiker_innen zu schlagen, und nicht alle in denselben „Faschisten und Idioten“-Topf werfen.

Zu behaupten hier gingen ausschließlich privilegierte weiße Idioten auf die Straße, widerspricht der Realität. Hier marschierten zehntausende Menschen, die viele falsche aber auch einige richtige Kritikpunkte an der aktuellen Corona-Politik der Regierung formulieren. Auch der Soziologe Oliver Nachtwey, der mit seiner Studie „Politische Soziologie der Corona-Proteste” eine erste Analyse der Anti-Corona-Bewegung versuchte, erklärt im Falter: „Auch wenn es uns nicht passt, was die da betreiben, handelt es sich um eine Form der Gesellschaftskritik. Sie stellen staatliches Handeln infrage, was eigentlich die Aufgabe der Linken gewesen wäre.“ Wir dürfen tausende Systemgegner_innen nicht für immer abschreiben und damit den Rechten in die Hände treiben.

Interviews: Nicht alles Faschisten

Falsche aber ernst zu nehmende Argumente höre ich von den (doppelt geimpften) Maschinenbaustudenten Michael und Flo: „Wir sind hier aus Protest gegen die aktuelle Corona-Politik. Es geht uns nicht darum den Virus zu verharmlosen, wir beide sind geimpft und wollen unsere Familie schützen. Aber die Arroganz und Bevormundung der Regierung kotzt uns an. Niemand hat eine Idee wie wir mit Corona umgehen sollen, aber die Regierung tut so als wüsste sie es. Hört auf die Wissenschaft. Die Wissenschaft beruht auf Diskussion und Experiment, sie hat doch selbst keine Ahnung wie genau mit dem Virus umgehen. Lasst euch impfen, dann wird alles gut. Vier Monate später heißt es; ah ja, war doch nichts. Aber wenn ihr euch nochmals boostern lasst, dann wirds schon. Geht nicht auf Partys, trefft nicht eure Freundinnen, aber arbeiten das ist schon wichtig, da passiert euch nichts. Mein Vater hatte nie einen Lockdown, der hackelt seit Beginn der Pandemie. Und das Corona-Konzept: tragt Masken. Ja zeig mir mal wie du acht Stunden bei körperlicher Arbeit Maske trägst. So denken doch nur Leute die jeden Kontakt zur Bevölkerung verloren haben.“

Wir dürfen tausende Systemgegner_innen nicht für immer abschreiben und damit den Rechten in die Hände treiben.

Auch Behauptungen, die eine völlige Entfremdung vom politischen Establishment andeuten, bekomme ich zu hören, beispielsweise von Kaspar: „Wir leben doch längst in einer Diktatur. Jeder der noch frei denken kann, müsste hier sein. Siehst du denn nicht wie gefährlich es ist, einen ungetesteten Stoff, der von irgendwelchen Millionären entwickelt wurde, in die Leute zu ballern. Und jetzt werden wir auch noch dazu gezwungen. Da werd ich nicht mitmachen“.

Während die zuvor gebrachten Aussagen kritikwürdig, aber nicht völlig verrückt sind, gibt es auch Menschen, die für jede Diskussion fürs Erste verloren sind. Mit ganz leiser Stimme erklärt Emma: „Es geht bei dem ganzen doch um die Illuminati und Freimaurer. Die lenken die Geschicke der Welt seit Jahrhunderten. Ich hab so viele Bücher und Videos von wirklichen Experten darüber gelesen, wie diese Leute die Geschichte kontrollieren. Jetzt mit Corona versuchen sie die komplette Macht an sich zu reißen. Mir macht das wirklich Angst, wenn es so weitergeht, dann nimmt das alles ein schlechtes Ende.“

Das eine bestimmende Element der Massenproteste ist die Ablehnung der Maßnahmen der Regierung. Wobei es auch hier Unterschiede gibt. Wenn auch nur eine kleine Minderheit auf dem Protest Maske trug, so stieß die Maskenpflicht in Supermärkten auf deutlich weniger Ablehnung als andere Maßnahmen. Impfpflicht ist der treibende Kritikpunkt, danach der Lockdown. Mit Ausnahme des faschistischen Blocks ist der Feind der Demonstrierenden die Regierung.  Medien und Wissenschaft werden als Teil der Regierung betrachtet. Die Faschisten waren zusammengefasst zwar erschreckend erfolgreich damit, Maßnahmengegner_innen auf eine Großdemonstration zu mobilisieren, aber sie haben sie noch nicht durchgehend mit ihren rassistischen Verschwörungstheorien infiziert.

Zwei schwarze Personen reagierten auf meine Nachfrage, ob sie denn keinen rechtsextreme oder rassistische Prägung der Proteste sehen, mit überzeugtestem Unverständnis: „Unsinn. Wir wurden von niemandem rassistisch beleidigt. Ich fühle mich hier vollkommen sicher. Ja da sind viele patriotische Menschen mit Österreichfahnen und da kann ich jetzt nicht unbedingt mit. Aber denen hier Rassismus zu unterstellen, lächerlich. Wir sind hier als unterschiedliche Menschen alle gemeinsam. Gegen das was die Regierung mit uns anstellt.“ Von den Angriffen auf Jüdinnen und Juden, zu denen es bei vorherigen Demonstrationen bereits gekommen war, hatten sie nichts mitbekommen.

Regierung ist verantwortlich

Die Proteste sind nur im Kontext des völligen Versagens der Regierung in der Pandemiebekämpfung, sowohl im internationalen Vergleich als auch in den Augen der Bevölkerung, zu verstehen. Von Versagern lässt man sich weniger gern Freiheiten einschränken, als von einer vertrauenswürdigen Institution. Die Regierung war unehrlich: der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung war offensichtlich nie ihre Entscheidungsgrundlage, schon eher die Geschäfte im Tourismus und der Industrie. Die Überlastung der Intensivbetten als Messlatte zu nehmen, heißt ja, ganz offiziell so viele Erkrankte als möglich in Kauf zu nehmen. Würde die Regierung konsequent eine ganz klare Linie fahren, hätten die Rechten viel weniger Spielraum um die Menschen auf ihre Seite zu ziehen. Sie hätte nichts anderes tun müssen, als die Infektionszahlen niedrig halten. Stattdessen ließ sie wie gelähmt die Infektionszahlen mehrfach durch die Decke schießen, um sie dann mithilfe von schlecht geeigneten Maßnahmen wieder mühsam zu drücken.

Auf die Ungeimpften loszugehen, wie es die Bundesregierung jetzt tut, ist falsch und billig. Wir haben keine Pandemie der Ungeimpften, sondern eine Pandemie, die alle und besonders die Ungeimpften gefährdet. Es ist die Regierung, die den Warnungen zum Trotz die Infektionszahlen auf unglaubliche 15.000 pro Tag hochschnellen hat lassen, nicht die angeprangerten Teile der Bevölkerung.

Die Regierung hat Entsolidarisierung gefördert. Sie hat wegen des oberösterreichischen Wahlkampfs Rücksicht auf die Landesregierung mit FPÖ-Beteiligung genommen. Die Befindlichkeiten von Tiroler Bar- und Liftbetreibern nahm sie ernster als die Warnungen von Expert_innen.

Es darf wirklich nicht verwundern, dass die Regierung die Bevölkerung gespalten und einen Teil verloren hat. Auf die Ungeimpften loszugehen, wie es die Bundesregierung jetzt tut, ist falsch und billig. Wir haben keine Pandemie der Ungeimpften, sondern eine Pandemie, die alle und besonders die Ungeimpften gefährdet. Es ist die Regierung, die den Warnungen zum Trotz die Infektionszahlen auf unglaubliche 15.000 pro Tag hochschnellen hat lassen, nicht die angeprangerten Teile der Bevölkerung. Der Lockdown nur für Ungeimpfte hat in genau diese Kerbe geschlagen: die Verantwortung an täglich fünfzig Toten wird von der Regierung weg, den Ungeimpften zugeschoben. Sowas liefert ein ideales Aufbauprogramm für die extreme Rechte.

Warum laufen sie Faschisten nach

Wie gesagt, die organisierten Rechtsextremen haben auf dem Protest ein ganz eigenes Projekt verfolgt – vor allem die Rehabilitierung des Nationalsozialismus. Angefangen von Kickls Aussagen über den „Türkis-Grünen Corona-Faschismus“, über die Gleichsetzung von Ungeimpften mit den „neuen Juden“ bis zum Vergleich von Kurz, Schallenberg und Mückstein mit dem NS-Arzt Josef Mengele.

Diese Rehabilitierung des Nationalsozialismus hat in Österreich Tradition. Mit der FPÖ sitzt die „indirekte Nachfolgepartei der NSDAP“ im Parlament und wird wie selbstverständlich zu jeder Mediendiskussion eingeladen. Der Staatsapparat selbst tut alles, damit die Vorbereitung zum faschistischen Massenterror ungestraft bleibt. Vor wenigen Wochen wurde ein ganzes Waffenarsenal von Neonazis durch den Verfassungsschutz ausgehoben. Nach der Beschlagnahmung der Waffen wurden die Besitzer der Wohnung, in denen die Waffen gefunden wurden auf freiem Fuß angezeigt. Ein ähnlicher Fall: Nachdem im August eine selbstgebaute Rohrbombe in Wien Donaustadt bei einem Mann explodierte, der laut Nachbarn „Ausländer nicht leiden konnte und Heil Hitler schrie“, erklärte die Polizei gegenüber Puls24: eine „Terrorzelle oder ähnliches“ können wir ausschließen. Die Beispiele ließen sich endlos fortsetzen.

Offensichtlich ist dies alles keine Entschuldigung selbst hinter NS-verharmlosenden Bannern hinterherzulaufen. Jeder der einen Judenstern mit der Aufschrift „ungeimpft“ trägt, verdient zumindest eine schallende Ohrfeige. Angesprochen auf die rechtsextreme Beteiligung verschließen die Demonstrant_innen ihre Augen oder verfolgen eine widerliche Position der Toleranz. „Wir sind hier gegen die Regierung, was jemand wählt, das interessiert mich nicht.“ Oder: „ Ich habe keine Ahnung davon wer auf der Bühne gesprochen hat ich hab ja nichtmal etwas verstanden. Ich und meine Freunde sind aus Protest gegen die Regierung hier und ich glaube die meisten anderen auch.“

Die Faschisten waren zusammengefasst zwar erschreckend erfolgreich damit, Maßnahmengegner_innen auf eine Großdemonstration zu mobilisieren, aber sie haben sie noch nicht durchgehend mit ihren rassistischen Verschwörungstheorien infiziert.

Der Linken muss es gelingen einen Keil zwischen den faschistischen Flügel und den normalen Maßnahmenkritiker_innen zu schlagen, und nicht alle in denselben „Faschisten und Idioten“-Topf zu werfen. Gelingt uns dies nicht, werden die Faschisten- mit ihrer Variante der Pseudo-Elitenkritik-, Menschen dauerhaft nach rechts ziehen. Schon die Nazis knüpften an Kapitalismuskritik an, indem sie zwischen einem guten, deutschen, schaffenden Kapital und einem bösen, raffenden, jüdischen Kapital unterschieden.

FPÖ ist die Bedrohung

Für diesen Keil ist es notwendig die FPÖ ins Visier zu nehmen. Als Linker vergisst man ganz gerne, dass der Großteil der Menschen keine Ahnung davon hat, wer Martin Sellner, die Identitären, Gottfried Küssel oder Martin Rutter sind. Wer sich nicht in politisierten Umfeldern bewegt, bekommt von solchen Randnotizen der medialen Debatte rein gar nichts mit, geschweige denn, dass er sich dafür interessiert.

Wer Herbert Kickl und die FPÖ sind, das wird so ziemlich jeder auf der Demonstration gewusst haben. In der Vergangenheit konnte die antifaschistische Linke alle Versuche der FPÖ, eine faschistische Straßenbewegung auf die Beine zu stellen, durch Massenproteste verhindern. Als eine im Kern faschistische Partei will die FPÖ nicht nur möglichst viele Stimmen bei demokratischen Wahlen sammeln, sondern Menschen dauerhaft in ihrer politischen Bewegung sammeln. Insofern ist jeder gewaltbereite Rechtsextreme ein Gewinn für die FPÖ.

Was nun?

Der einzige Lichtblick ist, dass es der extremen Rechten noch nicht gelungen ist, eine feste ideologische Bindung zwischen sich und der Masse der Demonstrierenden herzustellen. Die Identitären um Martin Sellner haben am 8. Mai, dem Tag der Befreiung, versucht, Teile der tausenden neuen Maßnahmengegner_innen zu einer faschistischen Kundgebung zu locken. Niemand ist gekommen, es war die totale Niederlage und der Beweis dafür, dass wir NOCH mit keiner neuen faschistischen Massenbewegung konfrontiert sind. Auch die FPÖ ist weit davon entfernt, die Proteste zu dominieren.

Linke muss eingreifen

Die Corona-Proteste werfen aber auch ein Licht auf die Schwäche der Linken, von reformistisch bis radikal. Die beste Antwort auf letzten Samstag wären Massendemonstrationen des ÖGB, die sich klar gegen die faschistischen Angriffe positionieren und andererseits eine wirklich solidarische Antwort auf die Pandemie formulieren.

Corona ist der Brandbeschleuniger für eine Wut auf die herrschende Gesellschaftsordnung

Als radikale Linke muss es uns gelingen, unserer Kritik der Corona-Politik Gehör zu verschaffen. Gegen nächtliche Ausgangssperren und den autoritären Polizeistaat, vor dem Demonstrant_innen zu Recht warnen. Amnesty International und der UN-Menschenrechtsrat dokumentieren, dass die Lockdowns zu einer globalen Explosion der Polizeigewalt geführt haben. Für das Runterfahren der gesamten Wirtschaft, mit Ausnahme der überlebenswichtigen Infrastruktur. Gegen das Profitstreben der Pharmakonzerne. Usw.

Letzten Freitag kam es zu Riots in Rotterdamm, die Polizei schoss mit scharfer Munition auf Demonstrant_innen und tötete drei Menschen. Am Sonntag attackierten Hunderte in Brüssel die Polizei, in Triest streikten tausende Hafenarbeiter_innen gegen den grünen Pass. So sehr sich diese Bewegungen von den Protesten in Österreich unterscheiden, gemein ist ihnen ihre politische Diffusität und der Hass auf die staatliche Krisen-Politik.

Corona ist der Brandbeschleuniger für eine Wut auf die herrschende Gesellschaftsordnung und ihre komplette Ignoranz gegenüber den Interessen der Mehrheit. Diese Wut hat reaktionäre und progressive Elemente in sich. Die extreme Rechte versucht bereits alles die Wut in reaktionäre Bahnen zu lenken. Höchste Zeit, dass wir als Linke in den kommenden Eskalationen mehr sind als passive Beobachter_innen.

Diskutier mit! Bei unserer Online-Konferenz: Impfpflicht – Eine politische Sackgasse am Donnerstag 25. November ab 19:00 Uhr.