Das Bauernopfer Mikl-Leitner

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) war die treibende Kraft hinter der rassistischen Asylpolitik der österreichischen Regierung. Sie wurde zwar schon länger als Nachfolgerin von Erwin Pröll in Niederösterreich gehandelt, aber der Zeitpunkt ihres Rückzugs als Ministerin war nicht zufällig.
10. April 2016 |

Die Bundesregierung versucht verzweifelt aus der Schusslinie zu kommen. Tausende Aktivist_innen der Flüchtlingsbewegung und über eine Million Helfer_innen befinden sich in einem offenen Krieg gegen die Regierung. Die Attacke auf die Flüchtlingshilfsorganisationen durch ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ging nach hinten los.

Sie hatte versucht, den NGOs überlebensnotwendige Förderungen zu entziehen – musste aber nach einer gewaltigen Welle der Empörung einen spektakulären Rückzieher machen. So eine offen ersichtliche Niederlage gegen eine Protestbewegung ist genau das, was jede Regierung mit allen Mitteln zu vermeiden versucht.

Während der tiefsten Krise der EU

Gleichzeitig war die österreichische Regierung heftigster Kritik ihrer EU-Partner ausgesetzt. Allen voran die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und die griechische Regierung fühlen sich wegen Österreichs führende Rolle in der Abschottungspolitik hintergangen. Die Schließung der Balkanroute war ein Affront, den der große Nachbar nicht so einfach hingenommen hat. Außenminister Sebastian Kurz hat diesen Schritt mit den Balkanstaaten unter Ausschluss der von der Flüchtlingskrise Hauptbetroffenen, Deutschland und Griechenland, akkordiert. In Griechenland wurde Mikl-Leitner zur „unerwünschten Person“ erklärt.

Damit hat das kleine Österreich in der tiefsten Krise der EU seit ihrer Gründung einen unverzeihlichen Schritt getan ­– zumindest aus Sicht Brüssels und der herrschenden Eliten Europas. Sogar in der Schuldenkrise ist es Deutschland gelungen, die Spaltung der EU zu verhindern und alle Mitgliedsländer hinter sich zu vereinen. In der Flüchtlingskrise ist eine Einigung zu den Bedingungen Deutschlands durch schäbigsten Rassismus gescheitert – ein wahrhaft historischer Moment.

Druck von rechts außen

Bis Weihnachten war die Regierung völlig ratlos, hat Flüchtlinge nach Deutschland geschleust und so ganz nebenbei das Dublin-Abkommen sabotiert, was von uns Aktivist_innen und den Flüchtlingen natürlich begrüßt worden ist. Der entscheidende Druck auf die Regierung kam bis dahin von den Flüchtlingen selbst, der überwältigenden Solidarität aus der Bevölkerung und den gigantischen Protesten der Plattform für eine menschliche Asylpolitik am 3. Oktober und am 19. März.

Druck kam aber auch von rechts, von dem Monster, das SPÖ und ÖVP sich durch ihre hilflose Politik selbst geschaffen haben – der FPÖ. Der Regierungskurs seit Weihnachten – die Einführung von Obergrenzen, das Schließen der Grenzen und später der Balkanroute, und die geplanten Asyl-Schnellverfahren unter Berufung auf „Notstand“ – sind das hässliche Ergebnis dieses Drucks von rechts.

Klassische Polarisierung

Mikl-Leitner zu opfern ist der Versuch einer hilflosen Regierung, dem Druck von links auszuweichen. An den Umfragen zu den Bundespräsidentschaftswahlen ist diese Dynamik sehr deutlich abzulesen. Van der Bellen, der in der Flüchtlingsfrage mit Abstand die „linkeste“ Position bezieht, liegt weit voran, gefolgt vom FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer. In die Stichwahl käme heute keiner der zwei Regierungskandidaten.

Man stelle sich vor, wir hätten das Feld den Rechten überlassen. Pegida Österreich, die Neonazi-Bewegung der Identitären und die FPÖ wären im vergangenen Jahr mit ihren Aufmärschen erfolgreich gewesen. Dann hätten sie ähnlich wie in Sachsen die Dynamik weitgehend alleine bestimmt. Wir haben keine Zweifel, dass sie jeden Erfolg dazu genutzt hätten, die Gewalt gegen Flüchtlinge weiter zu steigern und so die Dynamik noch stärker zu ihren Gunsten voran zu treiben.

Die Lehren ziehen

Die solidarischen Menschen hätten große Schwierigkeiten gehabt, in solch einer Situation offensiv zu reagieren. Es findet auch heute viel Gewalt gegen Flüchtlinge statt: die Asylverfahren, die Anhaltelager, Schubhaft und die Massenabschiebungen in die Türkei – das ist natürlich Gewalt und Terror von oben.

Wir können die rassistische  Offensive zurückschlagen!

Wir können die rassistische Offensive zurückschlagen!

Aber wir haben in Österreich dennoch Beeindruckendes geleistet. Nach dem Aufmarsch der FPÖ gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Wien-Liesing haben keine Heime gebrannt. Stattdessen haben sich 130 Freiwillige gemeldet, um im Heim mitzuhelfen. Wir haben die Regierung gegen uns, die FPÖ und sämtliche Neonazis, und dennoch hat die Linke Einfluss auf das Geschehen. Das und Mikl-Leitners Rückzug sind eine Bestätigung dafür, wie wichtig der Aufbau antirassistischer Kampagnen ist. Unterstütz uns dabei – der nächste wichtige Anlass ist, den Aufmarsch gegen Flüchtlinge der FPÖ am 18. April in Wien-Floridsdorf zu konfrontieren.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.