Entscheidung im „Anthropozän“: Profite oder Zukunft?

Über der modernen Zivilisation schwebt das Henkersbeil und der Henker heißt Kapitalismus. Die Erde ist in eine neue erdgeschichtliche Epoche eingetreten. Als Bezeichnung wird sich wahrscheinlich das Zeitalter „Anthropozän“ durchsetzen. Damit will die Wissenschaft deutlich machen, dass menschliche Einflüsse dafür verantwortlich sind, dass wir die zivilisationsfreundliche Epoche des „Holozäns“ verlassen haben.
9. Februar 2017 |

Menschliche Zivilisation im Anthropozän aufrecht zu erhalten, ist eine riesige Herausforderung, die wir heute schon in Angriff nehmen müssen. Wir können nicht so weiter machen wie bisher. Nicht nur werden wir die Wirtschaft nachhaltig gestalten müssen um das Klima zu retten, sondern wir müssen lernen das Anthropozän aktiv zu gestalten, über Generationen hinaus zu planen und eine konstruktive Kraft im System Erde zu werden.

Anthropozän: Eine völlig neue Epoche

Das „Holozän“ ist die klimatisch bemerkenswert stabile Phase, die vor etwa 11.700 Jahren mit dem Ende der letzten Eiszeit begonnen hat (siehe Grafik unten). Sie war angenehm warm, hat uns den Schritt zur Landwirtschaft und Sesshaftigkeit ermöglicht und hätte noch ungefähr 50.000 Jahre gedauert – eine wunderbar lange Zeit um eine nachhaltige Zivilisation aufzubauen.

Grafik: Durchschnittliche Jahrestemperatur in Grönland über die letzten 100.000 Jahre (Daten des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung). Mittels der Auswertung von Eisbohrkernen lässt sich die Temperatur rekonstruieren. Ganz rechts ist die letzte Epoche (Holozän) zu sehen, die im Vergleich zum Pleistozän äußerst stabil verlief.

 

Wir haben soeben das Holozän verlassen. Wir leben jetzt im „Anthropozän“, also einer geologischen Epoche, in der die Aktivitäten des Menschen den beherrschenden Einfluss auf die Umwelt erreicht haben. Niemand kann sagen, wie es tatsächlich verlaufen wird. Das Anthropozän wird sich vom Holozän so deutlich unterscheiden, wie das Holozän vom chaotischen „Pleistozän“ zuvor.

Dass wir den Klimawandel nur sehr verzögert wahrnehmen, liegt vor allem an der Pufferwirkung der vereisten Pole und der verzögerten Erwärmung der Meere. Nur die großen Trends sind vorhersagbar: Es wird heißer, stürmischer und wir werden immer häufiger katastrophale Wetterphänomene durchmachen. Das Anthropozän zeichnet sich anfangs durch ein schon stattfindendes Massenaussterben aus. Anthropozän bedeutet einen globalen Notstand.

Anthropozän heißt auch, dass der Mensch eine global wirksame geophysikalische Kraft geworden ist. Der Beginn der Industrialisierung (1790-1830) wird sich vielleicht als Beginn des Anthropozäns durchsetzen, als die Industrie begann, massenhaft Steinkohle für den Betrieb der Dampfmaschine zu verbrennen.

CO2-Ausstoß reduzieren!

Die Temperatur der Atmosphäre und die CO2-Konzentration hängen ganz eng zusammen. Kohlendioxid (CO2) ist das dominante Treibhausgas. Es kann verhindern, dass Wärmestrahlung von der Erde in den Weltraum gelangt. Mehr CO2 in der Atmosphäre bedeutet höhere Temperatur.

Forschern ist es gelungen, über drei Kilometer tief in das Eis von Grönland und der Antarktis zu bohren und damit bis zu 900.000 Jahre in die Vergangenheit zu blicken. In kleinen Luftbläschen befinden sich Gase, die vor Jahrtausenden eingeschlossen wurde. Daher wissen wir, dass die natürlichen Schwankungen von CO2 im Holozän (11.700 Jahre lang) zwischen 260 und 280 ppm (Teilchen pro Million) in der Atmosphäre betrugen. 2016 haben wir dauerhaft die Schwelle von 400 ppm CO2 überschritten.

Anhand der historischen Vergleichsdaten entwickeln Forscher ihre Prognosen (siehe Grafik unten). Sie gehen davon aus, dass wir den CO2-Ausstoß  rasch drosseln und dann niedrig halten müssen.

 

Modelle zum CO2-Ausstoß: Die Kurven zeigen, wie stark wir die Emissionen zurückfahren müssen, um bestimmte Klimaziele im Jahr 2100 zu erreichen (Temperaturanstieg im Vergleich zum Niveau vor der Industrialisierung). Die unterste Kurve wäre nötig, um das Paris-Abkommen von 1,5°C-Erwärmung einzuhalten. Die gepunktete Linie ist der momentane CO2-Ausstoß. Sie ist ein direkter Aufruf an uns, die Mächtigen nicht weiter machen zu lassen.

 

Kreisläufe des Erdsystems

Klimaerwärmung ist bei weitem nicht die einzige Veränderung, mit der die Erde zu kämpfen hat, aber die gewichtigste. Die Erde wird zunehmend als ein System verstanden, auf das verschiedene Kreisläufe und Stoffwechselsysteme Einfluss nehmen und umgekehrt. Der Regenwald des Amazonas (und seine Fähigkeit CO2 zu speichern) oder die Millionen Tonnen Staub, die in der „Bodélé-Depression“ in der Sahara bei Sandstürmen verteilt werden, haben gewaltige Auswirkungen auf das Erdsystem.

Am bekanntesten ist der Golfstrom. Der „thermohalinen Zirkulation“ (Meeresströmungen, die aufgrund unterschiedlicher Temperaturen und Salzkonzentrationen hervorgerufen werden) verdanken wir in Europa unser warmes Klima. Der Golfstrom könnte sich abschwächen, verlagern oder sogar ausfallen – mit enormen Konsequenzen.

Arktis schon 2030 eisfrei?

Die Erderwärmung führt zum Abschmelzen der polaren Eiskappen. Der Eisverlust zeigt, wie stark sich der Klimawandel in den letzten zehn Jahren beschleunigt hat (siehe Grafik unten). Verantwortlich dafür ist in erster Linie CO2, das schon vor Jahrzehnten in die Atmosphäre gelangt ist. Nach den pessimistischsten Vorhersagen wäre die Arktis frühestens 2070 eisfrei gewesen. Tatsächlich scheint es schon 2030 soweit zu sein.

Eisverlust im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1979-1990: Schwarze Linie: tatsächlicher Eisverlust. Rote Linie: Durchschnitt der IPCC-Prognosen.

 

Die Folgen des Eisverlusts sind enorm: Das arktische Eis war ein Motor für die „Thermohaline Zirkulation“ beziehungsweise den Golfstrom. Wasser sinkt im Nordatlantik durch Zunahme des Salzgehalts (weil ein Teil des Wassers zu salzfreiem Eis gefriert) zum Meeresgrund ab, fließt als Tiefenströmung weiter und gelangt im Pazifik und im Indischen Ozean wieder nach oben, erwärmt sich am Äquator und fließt als warme Oberflächenströmung über die Südspitze Afrikas und Südamerika bis nach Europa. Deshalb hat Europa so ein mildes Klima.

Kippelemente

Die Thermohaline Zirkulation wurde zusammen mit dem Arktischen Eisschild als ein entscheidendes Kippelement identifiziert. Wenn diese Kreisläufe einmal kippen, dann sind die weiteren Folgen unkontrollierbar und bringen weitere Elemente zum Kippen: das Auftauen der Permafrostböden (weiteres Entweichen der Treibhausgase Methan und CO2), Absterben der Nadelwälder im Norden und Austrocknen der Regenwälder im Süden, Ausfallen oder die Verlagerung der Monsune und einiges mehr.

Die dramatischsten Kippelemente sind das Abschmelzen des arktischen Meereises und der Kollaps der Eisschilde Grönlands und der Westantarktis. Durch die starke Abnahme des arktischen Meereises wird weniger Sonnenlicht von den hellen Eisflächen reflektiert, stattdessen trifft das Licht auf dunkles Meerwasser und erwärmt dieses. Dadurch nimmt die Temperatur in der Arktis besonders stark zu und beschleunigt dort die Auswirkungen des Klimawandels (Positive Rückkopplung).

Durch das Kippen von Eisschilden – die Westantarktis gilt bereits als gekippt und Grönland könnte bald folgen – können wesentlich schnellere Meeresspiegel-Anstiege auftreten, als wir sie derzeit beobachten. Klimaforscher wie James Hansen weisen auf Ereignisse am Ende der letzten Eiszeit hin, bei der durch den Kollaps von Eisschilden der Meeresspiegel alle 20 Jahre um einen Meter gestiegen ist.

„Die große Beschleunigung“

Bei der Betrachtung der Zeitabläufe aller möglichen sozialen und biogeochemischen Phänomene fällt ein einheitliches Muster auf. Mit dem Zweiten Weltkrieg beschleunigen sich die Entwicklungen (siehe Kurven unten). Dahinter steckt der größte und lang anhaltendste Wirtschaftsaufschwung in der Geschichte von Kapitalismus, beginnend im Zweiten Weltkrieg bis in die 1970er-Jahre und danach die beschleunigte Globalisierung.

Die Forschungsgruppe um Will Steffen hat zur Untersuchung der ökologischen Krisen 12 sozioökonomische Kurven (links) und 12 biogeochemische Prozesse des Erdsystems (rechts) vorgeschlagen (hier nur eine Auswahl). Nach dem Zweiten Weltkrieg ist etwas Entscheidendes geschehen, das viele Prozesse sehr stark beschleunigt ablaufen ließ. Dem zugrunde liegen gesellschaftliche Entwicklungen (die beiden ersten Kurven links).

 

Fossiler Kapitalismus

Parallel mit der Wirtschaftsleistung steigen Verschmutzung und Erderwärmung. Andreas Malm und Naomi Klein kritisieren deshalb den Begriff Anthropozän, weil er das verantwortliche Wirtschaftssystem – Kapitalismus – nicht direkt benennt. Malm beschreibt in seinem Buch Fossil Capital eindrucksvoll, wie eng Kapitalismus mit den fossilen Brennstoffen verwoben ist.

Alles im Kapitalismus läuft auf Basis der Verbrennung fossiler Brennstoffe: die Produktion der Waren, der Transport von Menschen und Gütern, Wissensverbreitung und Kommunikation, Verwaltung, alles. Von unserer ersten Windel bis zum Sarg basiert alles auf fossiler Energie.

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Das Anthropozän zu managen verlangt von uns, dass wir unsere gesamte Ökonomie umstellen – Schluss mit der Profitorientierung und Schluss mit der undemokratischen Organisation der Wirtschaft. Wir müssen bereit sein, wie Hans Schellnhuber vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung das ausdrückt, „das Unbeherrschbare zu vermeiden und das Unvermeidbare zu beherrschen“. Aber wir können nicht das Klima UND die Profite von Shell, Exxon oder den anderen Weltkonzernen retten.

Alle Artikel der Serie:

Anthropozän und Ökosozialismus sind ein Schwerpunkt am antikapitalistischen Kongress Marx is Muss von 5. bis 7. Mai im Wiener Amerlinghaus. Es sprechen Carla Weinzierl (System Change not Climate Change), David Heuser (Erdwissenschafter) und Manfred Ecker (leitender Redakteur von Neue Linkswende). Das gesamte Programm findest du hier.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.