Flint 1936: Sitzstreik der General-Motors-Arbeiter

Selbst in Zeiten höchster Not und Arbeitslosigkeit haben sich die Lohnabhängigen gegen Ausbeutung zur Wehr gesetzt und neue Widerstandsformen ausprobiert. Fabriksbesetzungen und Sitzstreiks haben 1936 den Arbeiter_innen in den USA neues Selbstvertrauen gegeben.
30. Dezember 2016 |

Heute sehnen sich viele linken Amerikaner_innen nach der Wirtschaftspolitik der Dreißigerjahre, mit der die Regierung Franklin Roosevelts als Antwort auf die Große Depression den „New Deal“, eine Reihe von staatlich geförderten Infrastrukturprojekten und arbeiterfreundlicher Reformen, einführte.

Sogar Bernie Sanders redete 2016 während seines Wahlkampfs mehrfach vom New Deal als politischem Modell, das als Alternative zum neoliberalen Status Quo wieder erweckt werden könnte. Allerdings ist es wichtig zu erkennen, dass viele der Fortschritte für die Arbeiter_innen in den Dreißigerjahren nur durch ihre direkte Konfrontation von Staat und Kapital erkämpft wurden. Die Geschichte des Flint-Sitzstreiks von 1936 illustriert diesen wichtigen Punkt.

Die Lage der Autoarbeiter

In den Dreißigerjahren waren die Arbeitsbedingungen in der Autoindustrie erbärmlich, und die Fabriken der Autofirma General Motors (GM) in der Stadt Flint im amerikanischen Bundesstaat Michigan – die „Hauptstadt der Autoindustrie“ – waren da keine Ausnahme. Die monotonen Arbeitsabläufe waren körperlich anstrengend und der Druck mit dem Fließband Schritt zu halten war enorm.

In der wirtschaftlichen Depression gab es immer Arbeitslose, die den Job gerne nehmen würden. Außerdem hatten Arbeiter_innen in den Flint-Fabriken keine offiziellen Arbeiterrechte. Vielen wurde keine Pausen erlaubt, um aufs Klo zu gehen oder Wasser zu trinken, oder bekamen diese von den Vorarbeitern nur zeitlich abgestimmt und von ihren Löhnen abgebucht. Darüber hinaus war das System von Gehaltsberechnungen durchaus hinterhältig, aber wenn man den Betrag seines Lohns hinterfragte, riskierte man, entlassen zu werden.

Der Streik

Die Chefs der GM-Autofabriken allein zu konfrontieren wäre für einen Arbeiter vergebene Mühe gewesen. Allerdings schafften es die Beschäftigten durch kollektive Maßnahmen einen Krieg gegen diese und für ihre Rechte zu führen und sogar zu gewinnen. Am 30. Dezember 1936 begannen die Arbeiter_innen der „Fabrik Nummer Eins“ während der Arbeit einen Sitzstreik. Sie hörten auf zu arbeiten und setzten sich einfach hin. Rasch verbreitete sich der Sitzstreik zu anderen GM-Fabriken, bis die Herstellung in Flint völlig lahmgelegt wurde.

Diese neue Protestaktion – der Sitzstreik – wurde angewendet, damit Streikbrecher nicht hereingebracht werden konnten. Statt ihre Arbeit einfach einzustellen, beschlagnahmten sie die Produktionsmittel bei GM.
Diese Konfrontation mit dem Kapital wurde zu einer mit dem kapitalistischen Staat, als GM versuchte, die streikenden Arbeiter mithilfe des Staatsapparats gewaltsam zu entfernen. Am 12. Januar attackierte die Polizei von Flint die Fabrik Nummer Zwei mit Pistolen und Tränengas. 14 Arbeiter erlitten Schussverletzungen, aber die Besetzung wurde erfolgreich mit Riegeln, Bolzen, Limoflaschen und eiskaltem Wasser aus dem Industrieschlauch der Fabrik verteidigt.

Militär gegen die Aufständigen

GM war immer noch nicht bereit, mit den Arbeiter_innen zu verhandeln. Am 8. Februar stellte die Firma die Heizung in den Fabriken ab, um die Streikenden rauszufrieren. Als Antwort auf diesen Angriff öffneten diese die Fenster der Fabriken – wenn die Feuerwehrgeräte der Fabriken eingefroren wären, wäre General Motors die Brandversicherung gekündigt worden.

Am nächsten Tag rief der Gouverneur von Michigan, Frank Murphy, ein New-Deal-Demokrat, die Nationalgarde um Hilfe nach Flint. Arbeiter_innen hatten Angst, dass sie von den Truppen erschossen würden, wenn sie den Streik nicht beendeten. Allerdings wusste Murphy, dass das politischer Selbstmord wäre. Er sagte, dass die Militärpräsenz da sei, um die Sicherheit der Beschäftigten zu garantieren. Die Arbeiter_innen hatten den Staat bezwungen.
Nach ein paar Tagen musste GM zu einer Einigung mit den Streikenden kommen. Die Arbeiter_innen setzten die meisten ihrer Forderungen durch, einschließlich des Rechts auf kollektives Handeln durch die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW).

Geburt der UAW

Vor dem Flint-Sitzstreik war UAW eine kleine Ansammlung von Ortsverbänden. Das Organisieren der Autoarbeiter_innen war schwierig, denn Gewerkschaftsmitglieder konnten von GM entlassen werden, wenn ihre Mitgliedschaft offenbar wurde.

Allerdings garantierte die Einigung zwischen GM und UAW die Rechtmäßigkeit der Gewerkschaft. Es war nicht mehr nötig, heimlich zu organisieren, und UAW wurde zum wesentlichen Vehikel, um die Ansprüche der Arbeiter_innen zu vertreten.

Radikale Konfrontation

Der Flint-Sitzstreik wurde nicht nur zu einem Grund des Stolzes für diejenigen, die mitkämpften, sondern auch zu einem großen Einfluss für viele andere amerikanische Arbeiter_innen und ihre Nachfolger_innen. Der Kapitalismus-kritische Dokumentarfilmer Michael Moore, dessen Onkel am Streik teilnahm, ist eines der berühmtesten Beispiele davon. Seine Arbeit als Regisseur suggeriert, dass direkte Konfrontation zu einem Prozess der Radikalisierung führen kann, die sich manchmal über mehrere Generationen entfaltet.

Die Erfolge der Dreißigerjahre wurden nur durch die unglaubliche Solidarität der Lohnabhängigen gegenüber den Mächtigen ermöglicht. Genau wie damals können wir uns nicht auf gesellschaftliche Änderungen verlassen, wenn wir nicht bereit sind, dafür kollektiv, strategisch und militant zu kämpfen.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.