Griechenland im Umbruch: Revolutionäre können heute Einfluss entwickeln

Seit Jahrzehnten hatte die radikale Linke nirgendwo in Europa solche Gelegenheiten die Arbeiter_innenbewegung anzuführen. Aber auch die revolutionäre Linke, die explizit nicht auf Kompromisse mit dem System setzt, kann in Zeiten tiefer Krise großen Einfluss entwickeln.
12. August 2015 |

Die Partei „Antarsya“, die Koalition revolutionärer Gruppen in Griechenland, ist unabhängig von Syriza geblieben und wurde dafür scharf kritisiert. Bei den Parlamentswahlen hat sie mit nur 0,64 Prozent schlecht abgeschnitten, dafür hat sie – von Medien völlig unbemerkt – großen Einfluss auf die Arbeiter_innenbewegung entwickelt.

Am spektakulärsten hat sie das erst kürzlich zur Schau gestellt, als am 15. Juli im Parlament ein brutales Sparprogramm beschlossen wurde und gleichzeitig ein Generalstreik im Protest dagegen im Gange war. Diesen Streik haben Gewerkschafter_innen von Antarsya initiiert und auch die meisten Aktivist_innen von Syriza haben sich dem Aufruf angeschlossen.

Direkte Kontrolle durch Werktätige

Das Niveau der Bewegung in Griechenland einerseits und die Natur der Krise andererseits haben das ermöglicht. Antarsya ist davon ausgegangen, dass die soziale Krise unlösbar bleibt, solange die Arbeiter_innen die Kontrolle über die Wirtschaft nicht in ihre eigene Hände nehmen. Am Grundsatz der Arbeiter_innenkontrolle hat Antarsya nicht aus Dogmatismus festgehalten, sondern weil es offensichtlich der einzige Weg ist, die Spirale von Sozialabbau und Schuldenpolitik zu durchbrechen.

Griechisches „Oxi“ verbreitet Panik unter den Eliten

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Die Finanzinstitutionen zwingen die griechische Regierung dazu Spitäler zu schließen, so dass das Krankenhauspersonal vor der Alternative steht, entweder arbeitslos zu werden und Patient_innen auf die Straße zu schicken, oder das Spital in Eigenregie zu führen. Als der öffentliche Rundfunksender ERT (das Pendant zum ORF) auf Zuruf der Troika geschlossen wurde, mussten die Mitarbeiter_innen den Sender besetzen, ansonsten wären sie ohne Arbeit und Griechenland ohne staatliches Fernsehen dagestanden.

Die Geschichte gibt Marx recht

Eine ERT-Mitarbeiterin hat im Interview erklärt, dass sie die Sozialist_innen von Antarsya und deren Insistieren auf Arbeiter_innenkontrolle bis zu dem Zeitpunkt belächelt hat, als kein anderer Weg mehr gangbar war, als den Sender zu übernehmen und als Kollektiv zu führen. Es ist also der konkrete Gang der Geschichte beziehungsweise der Verlauf von Krise und Widerstand, der marxistische Prinzipien plötzlich ganz plausibel erscheinen lässt.

Der „linke Europäismus“ ist gescheitert

Der „linke Europäismus“ ist gescheitert

Umgekehrt gäbe es keinen Pol, um den sich die radikalisierten Arbeiter_innen scharen könnten, hätte Antarsya nicht seit Jahren die Protestbewegung aufgebaut und gleichzeitig an den Prinzipien des revolutionären Sozialismus festgehalten. Beides muss gleichzeitig geschehen: Bewegungsaufbau und Aufbau der revolutionären Partei. Projekte wie Syriza schüren die Hoffnung, es gäbe eine Abkürzung zu diesem Weg. Man könne Gerechtigkeit auch innerhalb der bestehenden Institutionen (der EU und der nationalen Parlamente) erreichen.

Selbstbefreiung

Wir Revolutionäre müssen zwar Teil dieses Kampfs um mehr Gerechtigkeit sein, aber wir teilen nicht die Illusionen der reformistischen Parteien. Die Unerbittlichkeit von Schäuble und Merkel bestätigen unser Argument, dass Kompromisse mit dem System nicht möglich sind. Aber auch mit einem sanfteren Gegenüber wäre das marxistische Prinzip, dass Befreiung nur durch Kampf von unten erreicht werden kann, noch gültig.

„Nur in einer Revolution“ können die Werktätigen dahin kommen, „sich den ganzen alten Dreck vom Halse zu schaffen und zu einer neuen Begründung der Gesellschaft befähigt zu werden.“

(Karl Marx)

Marx schrieb, dass „die Revolution nicht nur nötig ist, weil die herrschende Klasse auf keine andre Weise gestürzt werden kann, sondern auch, weil die stürzende Klasse nur in einer Revolution dahin kommen kann, sich den ganzen alten Dreck vom Halse zu schaffen und zu einer neuen Begründung der Gesellschaft befähigt zu werden.“ Diesen Prozess der Entwicklung von Bewusstsein kann den Werktätigen keine Partei und keine wohlgesonnene Regierung ersetzen.

Revolutionäre müssen unter allen Umständen am Aufbau ihrer unabhängigen Organisationen festhalten. Das soll keinesfalls außerhalb großer Koalitionen geschehen, solange sie damit ihre Fähigkeit zu unabhängigen Initiativen nicht einbüßen. Außerdem sollten sie immer Teil breiterer Bewegungen sein und nicht abseits stehen, wenn Arbeiter_innen um mehr Gerechtigkeit kämpfen.

Antarsya wurde 2009 als Koalition aus mehreren revolutionären Organisationen gegründet, darunter die Sozialistische Arbeiterpartei (SEK), der Schwesternorganisation der „Neuen Linkswende“ in Griechenland.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.