Iran: „Die Opfer von Sanktionen sind die einfachen Menschen“

Der Politikwissenschafter Peyman Jafari ist der Autor von Der andere Iran: Geschichte und Kultur von 1900 bis zur Gegenwart und arbeitet an der Universität in Amsterdam am Department of History, European Studies & Religious Studies. Im Gespräch mit Linkswende jetzt spricht er über die imperialistische Strategie der USA im Kampf gegen den Iran und den Widerstand der iranischen Arbeiter_innenklasse gegen das herrschende Regime.
5. September 2018 |

Wir vermuten, die Sanktionen machen das Leben für die Menschen im Iran sehr viel schwieriger. Könntest du anhand einiger Beispiele erklären, was für konkrete Auswirkungen dies für die durchschnittliche iranische Bevölkerung hat?

Die Geschichte hat immer gezeigt, dass die wirklichen Opfer von Sanktionen die einfachen Menschen sind, vor allem die unteren Klassen. Seit Trump im Mai eine Wiedereinführung der Sanktionen gegen den Iran angekündigt hat, verlor der Rial (iranische Währung, Anm.) 50% seines Wertes. Das bedeutet, dass die gewöhnlichen Iraner_innen einen großen Teil ihrer Kaufkraft verloren haben, da viele Waren importiert und in Dollar bezahlt werden. Das trifft sogar auf Reis und Fleisch zu. Das tragischste Beispiel für den Effekt der Sanktionen besteht jedoch darin, dass lebenswichtige Medizin nicht mehr verfügbar oder unbezahlbar geworden ist. Ich selbst kenne eine Leukämie-Patientin, aber sie kann ihre Medizin in keiner einzigen Apotheke mehr kaufen.

Du schreibst in deinem Buch, dass das Ende des Mullah-Regimes unabwendbar ist. Was für Auswirkungen auf das Regime erwartest du von den Sanktionen?

Die Islamische Republik Iran hat 40 Jahre lang durch ein komplexes System der Unterdrückung von Regierungsgegnern und einen Mangel an sozialer und politischer Freiheit überlebt, wurde auf der anderen Seite aber auch durch Druck von unten dazu gezwungen, ein gewisses Level an öffentlicher Beteiligung zu erlauben, zum Beispiel durch Vorträge – auch wenn diese eingeschränkt sind. Im letzten Jahrzehnt aber ist mehr und mehr dieser sozialen Basis verloren gegangen. Beispielsweise bezeichnen sich zwar viele Iraner_innen immer noch als religiös, sie wollen aber nicht, dass Ayatollah Khamenei und andere religiöse Vertreter politische Macht haben.

Viele Menschen sind wütend, dass einer der wichtigsten Slogans der Revolution – soziale Gerechtigkeit – von der neuen Elite, die sich die eigenen Taschen gefüllt hat, verraten wurde. Es kommt im Iran daher häufig zu Protesten von Journalisten, kleinen NGOs und inoffiziellen Gewerkschaften, die für Freiheit und soziale Gerechtigkeit kämpfen.

Die Sanktionen aber stärken das Regime und schwächen diese Kämpfe. Erstens führen sie zu einem Anstieg der Korruption, da die Mitglieder der Elite ihre politischen Verbindungen nutzen, um die Sanktionen zu umgehen und sich durch Handel am wachsenden Schwarzmarkt selbst zu bereichern. Zweitens führen sie zu einer Stärkung der konservativsten Teile des Regimes, die den Vorwand der Bedrohung von außen nutzen, um politische Unstimmigkeiten innerhalb des Regimes zum Schweigen zu bringen und um die Repressionen gegen die Opposition zu verstärken. Drittens kann dadurch, dass der Privatsektor durch die Sanktionen geschwächt wird, der militärische Flügel des Regimes, die Iranische Revolutionsgarde, aufgrund ihrer Kontrolle über die Infrastruktur und ihrer Verbindungen ihre bereits breiten ökonomischen Aktivitäten ausbauen. Außerdem nutzen sie die Sanktionen und militärische Drohungen, um ihre Präsenz auf der Straße und in der Politik zu erhöhen und um mehr Förderungen zu bekommen.

Also ja, ich denke, dass die Islamische Republik durch die Kämpfe der gewöhnlichen Iraner_innen verschwinden wird, aber die Sanktionen machen diese Kämpfe tatsächlich schwieriger, nicht einfacher.

Die Sanktionen dienen offensichtlich nicht dem, was Donald Trump von ihnen behauptet — nämlich die Entwicklung von Atomwaffen durch den Iran zu verhindern. Was sind also die tatsächlichen Beweggründe?

Die internationale Atombehörde, die EU und sogar der US-amerikanische Geheimdienst haben vielfach berichtet, dass der Iran die im Atomabkommen von 2015 getroffenen Vereinbarungen einhält. Trumps Sanktionen und militärische Drohungen gegen den Iran haben auch nichts mit Respekt für die Menschenrechte zu tun, da Trump ein überzeugter Unterstützer Saudi-Arabiens ist und seine rechte Hand, John Bolton, ein Unterstützer der undemokratischsten Opposition der Iranischen Regierung – der Mujahedin Khalq, die 1980 Saddam Hussein bei seinem Überfall auf den Iran unterstützte.

Der tatsächliche Grund für die Sanktionen ist die Hoffnung Trumps und seiner Berater und Minister, dass es zu einem Zusammenbruch der iranischen Wirtschaft und dadurch zu einem Regierungswechsel kommen wird. Warum aber will Trump einen Regierungswechsel? Wegen der strategischen Position des Irans. Die Tatsache, dass der Iran über die zweitgrößten Erdgas- sowie die viertgrößten Erdöl-Reserven weltweit verfügt, ist zwar relevant, aber nicht der wichtigste Grund. Der Hauptgrund ist, dass der Iran bis 1979 eine Säule der US-amerikanischen Vorherrschaft in der Region war. Aber nach der Revolution verloren die USA den Iran als militärische und politische Basis, von der aus sie ihre Macht im Mittleren Osten ausbreiten konnten. Der Iran hat großen strategischen Wert durch seine große Fläche und Einwohnerzahl, sowie seiner Lage zwischen dem Persischen Golf im Süden, dem „weichen Bauch“ Russlands (die südlichste, verwundbarste Grenze Russlands, Anm.) im Norden und als Ost-West Korridor Chinas. In diesem Sinne besteht eine Kontinuität zwischen Trump und anderen US-Präsidenten.

Die politische Elite der Vereinigten Staaten sorgt sich zunehmend um den Machtverlust Amerikas im 21. Jahrhundert. George Bush versuchte durch militärische Machtausübung Rivalen wie China einzuschüchtern und Verbündete zu disziplinieren, um diesen Trend umzukehren. Der Einmarsch in den Irak erwies sich jedoch als Desaster. Obama versuchte daher, sich dem Osten zuzuwenden, und kündigte 2011 an, sich der Herausforderung China zu stellen, doch die USA wurden durch die Folgen des Irakkrieges, den wachsenden Einfluss des Irans und vor allem dem Vormarsch des IS in den Mittleren Osten zurückgezogen. In der Zwischenzeit wuchs die ökonomische und militärische Macht Chinas weiter an und Russland erlangte seinen Status als globale Macht zurück.

Infolgedessen warb Trump mit seinem Slogan „Make America great again“. Trumps Strategie ist, die Gefahr einer Herausforderung der Macht der USA durch Asien zu verhindern. Deshalb machte er China zu seinem Hauptziel im Handelskrieg. Er weiß jedoch, dass China zur Steigerung seiner ökonomischen Macht eine Landbrücke nach Europa braucht (z.B. die „Belt and Road Initiative“) und Öl aus dem Persischen Golf, um sein ökonomisches Wachstum beizubehalten. Den Iran als militärische und politische Basis zu haben, würde somit die Machtexpansion Chinas stoppen. Deshalb versucht Trump sich auch freundlich gegenüber Putin zu zeigen, um Russland vom Iran und China zu distanzieren. Diese Strategie benötigt jedoch einen Regierungswechsel im Iran, um es in ein zweites Saudi-Arabien zu verwandeln – das kann ein autoritäres Regime sein, das jedoch loyal gegenüber den USA eingestellt ist. Während Bush jedoch versuchte, dieses Ziel auf militärischem Wege zu erreichen, beschränkt sich Trump bis jetzt hauptsächlich auf ökonomische Kriegsführung. Aber ein Handelskrieg kann schnell zu einem militärischen Krieg eskalieren.

Welche Kräfte unterstützen Trump, beziehungsweise werden von ihm in seinem aggressiven Kurs dem Iran gegenüber repräsentiert?

Die Hauptunterstützer sind Saudi-Arabien und Israel, die ihn sogar zu einem noch härteren Kurs gegenüber dem Iran drängen. Beide Länder haben bereits als wichtige militärische und politische Basis für die Macht Amerikas in der Region gedient. Beide haben immer gegen arabische nationalistische Bewegungen gekämpft, um zu verhindern, dass die Region unabhängiger wird. Für Israel war dies besonders wichtig, um die Gefahr einer regionalen Unterstützung für Palästina zu unterbinden. Für Saudi-Arabien wiederum waren die arabischen Nationalisten eine ständige Bedrohung, da sie eine demokratischere und säkulare Alternative zu ihrem extrem autoritären Regime darstellten. Nach der Niederlage der arabisch nationalistischen Bewegung in den 1970er-Jahren und der Niederlage der Revolutionen 2011 fürchten nun beide Staaten den Iran als größte regionale Bedrohung für die eigene Machtbasis.

Der iranische Präsident Rohani warnte Präsident Trump, „nicht mit dem Schwanz des Löwen zu spielen“ und dass ein Krieg mit dem Iran die Mutter aller Kriege darstellen würde. Sind das nur leere Drohungen und wie könnte der Iran den USA tatsächlich schaden?

Natürlich werden der iranische Präsident und die Revolutionsgarden solche Rhetorik verwenden, aber sie wissen auch, dass die Militärmacht der USA enorm ist. Die USA werden es nicht schaffen, den Iran so einzunehmen wie den Irak, aber sie können eine gewaltige Zerstörung verursachen. Das Verhalten der iranischen Führer basiert auf Realpolitik, da ihr oberstes Ziel darin besteht, an der Macht zu bleiben, weshalb sie versuchen werden, einem Krieg mit den USA aus dem Weg zu gehen. Außerdem wollen die USA, entgegen ihrer Rhetorik, derzeit keinen Krieg anfangen, da sie sich über die Unterschiede zwischen dem Iran und den Irak im Klaren sind. Der Iran könnte nämlich in Afghanistan, Irak, Syrien oder dem Persischen Golf zurückschlagen, weshalb man sich für einen Handelskrieg entschieden hat. Das Problem ist jedoch, dass Kriege oft nicht entstehen, weil sie geplant wurden, sondern aufgrund von Eskalationen, was hier natürlich sehr leicht passieren könnte. Das ist eine echte Gefahr.

Das Interview führte Manfred Ecker. Übersetzung aus dem Englischen von Martin Völkl.