Klimaaktivistinnen stören Rede von Kurz: „Wir haben keine Zeit mehr für leere Worte“

Aktivist_innen von System Change not Climate Change haben die Unantastbarkeit von ÖVP-Vizekanzler Sebastian Kurz zerstört. Vormittags am Dienstag, 15. Mai, kaperten sie die Bühne des Austrian World Summit in der Wiener Hofburg, nahmen ihm das Mikro weg und hielten anstatt ihm die Eröffnungsrede. Nachmittags protestierten an die 150 Menschen gegen diesen „Klimagipfel“ und die schwarz-blaue Regierung am Heldenplatz.
16. Mai 2018 |

Die ÖVP-FPÖ-Regierung wollte ihre Rückschritte in der Klimapolitik mit einem „Klimagipfel“ schönreden, sogar US-Gouverneur Arnold Schwarzenegger und Bundespräsident Alexander Van der Bellen waren neben dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz und seiner „Nachhaltigkeitsministerin“ (beide ÖVP) zugegen. Nicht nur ging das Vorhaben ordentlich daneben, Aktivist_innen zerstörten mit einer mutigen Aktion auch gleich noch das scheinbar unantastbare Image von Schweigekanzler Kurz.

Theatralische Musik wird eingespielt, Kurz wird zur Eröffnungsrede des Austrian World Summit auf die Bühne gebeten. Er will gerade zu seiner Rede ansetzen, als Aktivist_innen der Bewegung System Change not Climate Change die Bühne in der Wiener Hofburg übernehmen und Banner mit der Aufschrift „Austrian Government: Short on Climate Action“ (zu Deutsch: wenig Klimamaßnahmen) und „Ohne Strategie in die Klimakatastrophe“ ausbreiten. Dann setzt Aktivistin Lucia Steinwender zur Rede an. Wenn sich jemand der Opposition entziehen will, muss die Opposition eben zu ihm kommen.

 

„Herr Bundeskanzler Kurz, wir messen Sie und Ihre Regierung an ihren Taten“, sagt Steinwender, und zählt die klimaschädlichsten Projekte und Politiken Österreichs auf: den geplanten Bau der dritten Piste am Flughafen in Wien; die Förderung fossiler Brennstoffe in Milliardenhöhe; eine desaströse Klimastrategie ohne ausreichende Ziele, ohne Plan und Finanzierung; ein sinkendes Umweltbudget; und die Verankerung von Wirtschaftswachstum in der Verfassung. „Unser Protest richtet sich gegen jene, die von Klimaschutz reden, aber das Gegenteil machen“, meint Steinwender mit einem Kopfnicken Richtung Kurz.

Würde diese Politik von Schwarz-Blau weiter verfolgt, so Steinwender, dann „bleiben auch die schönsten Worte nicht mehr als grüne Lügen. Und wir haben keine Zeit mehr für leere Worte. Was wir brauchen ist ein echter Systemwandel. Eine andere Wirtschaft, die den Menschen dient und unseren Planeten schont.“ Am Ende erntet System Change not Climate Change zum Teil tosenden Applaus. Die ganze Rede kann hier nachgelesen werden. Ein mehr als verpatzter Auftakt des schwarz-blauen Klimagipfels.

Protestkundgebung am Heldenplatz

Julian, ein Gipfel-Teilnehmer, kam am Nachmittag nach der Aktion in der Hofburg zur Protestkundgebung „gegen schwarz-blaue Klima-Heuchelei“ am Heldenplatz, ebenfalls organisiert von System Change not Climate Change. Er wollte sich die Reden anhören und bei der Aktivistin bedanken, die Kurz das Mikro weggenommen hat. Er selbst will in Berlin eine Konferenz für Nachhaltigkeit organisieren. Im Gespräch mit Linkswende jetzt sagte er: „Ich glaube zwar nicht, dass dieser Gipfel konkret etwas ändert, aber man lernt die verschiedensten Menschen kennen, die alle das Ziel haben, den Klimawandel aufzuhalten.“ Julian berichtete, dass viele die Rede in der Hofburg positiv aufgenommen und applaudiert hätten.

Marion fand es super, dass die Aktivist_innen den Mut hatten, die Rede des Kanzlers zu stören: „Die Politiker reden immer nur, aber eigentlich machen sie nichts gegen den Klimawandel. Durch die Störaktion und den Protest heute können wir zeigen, dass es Menschen gibt, die sich wirklich für Klimaschutz engagieren und ernsthaft etwas ändern wollen. Das macht dann auch wieder anderen Menschen, die über die Klimapolitik von Schwarz-Blau verzweifelt sind, mehr Mut. Solche Dinge erfährt man halt meistens auch nicht aus der Zeitung, sondern wenn man auf die Straße geht!“

Klimaschutz ernst nehmen

Luisa meinte, dass Umweltschutz in der Politik noch viel mehr thematisiert werden sollte: „Immerhin betrifft es die ganze Welt!“ Martin hatte erst durch die Facebook-Berichte über die „geklaute“ Eröffnungsrede durch System Change vom Protest erfahren und ist kurzentschlossen dazu gekommen. Für ihn muss linke Politik unbedingt mit Klimaschutz einhergehen. Er arbeitet in Wien als Betreuer in einer Behinderteneinrichtung und kennt die Auswirkungen der schwarz-blauen Politik.

„Eine der größten Sorgen sind für mich die Privatisierungen durch die neue Regierung. Nicht nur in der Sozialpolitik oder dem Gesundheitssektor, sondern eben auch beim Thema Umweltschutz“, erzählt Martin gegenüber Linkswende jetzt. „Die Umweltzerstörung wird vielen Menschen die Lebensgrundlage entziehen und auch noch mehr Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Ich glaube, eine richtige Klimapolitik wäre ein wichtiger Schlüssel  um viele Probleme weltweit zu lösen.“

Vor dem Gipfel in der Hofburg wurde am Heldenplatz für mehr Klimagerechtigkeit demonstriert. Foto: Linkswende jetzt

 

Auch David Stögmüller, Bundesrat für die Grünen, war zum Protest gekommen. „Wir müssen jetzt etwas gegen den Klimawandel tun, denn nur jetzt gibt es dazu noch die Möglichkeit“, sagte er im Gespräch mit Linkswende jetzt. Das Klimastrategie-Papier der Regierung bezeichnete Stögmüller als „hochgradig scheinheilig“, eigentlich eine „Frechheit“.

Schwarz-blaue Klima-Heuchelei

Rund 150 Menschen waren trotz schlechten Wetters zur Kundgebung an Heldenplatz gekommen. Der Protest wurde unterstützt von One Billion Rising Austria (OBRA), Plattform 20000frauen, Plattform für eine menschliche Asylpolitik, Solidarwerkstatt, KJÖ/KSV, Sozialistische Jugend Wien, SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen gegen Notstandspolitik, Attac Österreich und Linkswende jetzt. In den Reden von der Bühne am Heldenplatz wurde die schwarz-blaue Regierung scharf angegriffen.

Werner Drizhal von den SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen gegen Notstandspolitik  attackierte in seiner Rede gleich vorneweg Schwarz-Blau: „Kurz und Strache betrachten den Menschen als Ressource, die sie ausbeuten wollen, egal ob das bei der Arbeitszeitverlängerung, beim Abbau der Gesundheitsrechte oder in der Klimapolitik ist.“ Schwarz-Blau bedeute einen Hemmschlag für Klimagerechtigkeit, sagte Karoline Kalke von System Change not Climate Change. „Das geplante Staatsziel Wirtschaftswachstum und die Klima- und Energiestrategie sind die Gipfel der Klimaheuchelei.“

Nächste Großdemo am 20. Juni

Diese Regierung mache mit dem Bau der dritten Piste und dem Staatsziel Wirtschaftswachstum klar, dass sie Profite vor Menschen und Umwelt stelle, kritisierte Fiona Herzog, Vorsitzende der Sozialistischen Jugend Wien, in ihrer Rede für die Plattform für eine menschliche Asylpolitik. „Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen: Dürren, Ernteausfälle, Hurrikans, Monsunfluten, Überschwemmungen. Die Klimakrise ist real und sie zwingt Menschen, ihre Heimat zu verlassen.“ Herzog machte auf die nächste Großdemo gegen Schwarz-Blau aufmerksam: Am 20. Juni startet eine Großdemonstration der Plattform für eine menschliche Asylpolitik am Weltflüchtlingstag um 18 Uhr am Hauptbahnhof in Wien.

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Die Ärztin Jutta Leth, Sprecherin für den Dachverband der unabhängigen Bürgerinitiativen gegen den geplanten Bau der 3. Piste, warnte, dass mit seinem Ausbau der Wiener Flughafen mit 10 Millionen Tonnen klimawirksamer Emissionen zum zweitgrößten Emittenten Österreichs gleich nach der VOEST werden könnte. Leth appellierte in ihrer Rede vor allem an die jungen Leute und sagte in Anspielung auf die schwarz-blauen Politiker in der Hofburg: „Ihr dürft euch die Zukunft nicht nehmen lassen von Arschlöchern wie da drüben.“ Das lassen wir uns nicht zwei Mal sagen.

Redaktionelle Mitarbeit von Katharina Anetzberger.