Kopftuchverbot schürt Rassismus

Schon wieder haben ÖVP und FPÖ eine Kopftuchdebatte losgetreten. Die Regierung plant ein Kopftuchverbot an Kindergärten und Volksschulen und forciert so antimuslimischen Rassismus.
25. April 2018 |

Es ist ein deutlicher Hinweis darauf, welche Fortschritte antimuslimischer Rassismus seit 9/11 (2001) gemacht hat, dass Politiker, wie Sebastian Kurz und Herbert Kickl es tatsächlich schaffen, einen bedeutenden Teil der medialen Öffentlichkeit bei dem angekündigten Kopftuchverbot hinter sich zu bringen. Laut einer aktuellen, im Profil veröffentlichten Umfrage, halten 68% der Befragten ein Kopftuchverbot in Kindergarten und Volksschule für „sehr“ oder „eher“ richtig, nur jeweils 14% für „eher falsch“ bzw. „ganz falsch“. Kaum jemandem fällt es auf, wie absurd es tatsächlich ist, darüber zu diskutieren, ob es Mädchen oder Frauen verboten werden sollte, dieses Kleidungsstück zu tragen.

Um unsere Haltung dazu vorwegzunehmen: Die Kopftuchdebatte ist eine rassistische und hat dieselben Ziele wie klassischer und leichter identifizierbarer Rassismus. Die herrschenden Eliten ziehen einen Teil der Bevölkerung auf ihre Seite, sie schaffen Sündenböcke für alle möglichen Übel und sie spalten die Menschen und erschweren so die Bildung breiter Fronten im Widerstand gegen ihre Politik. Als sicher darf gelten, dass mit dem Kopftuchverbot die tätlichen und verbalen Angriffe auf muslimische Frauen (in erster Linie), aber auch auf muslimische Kinder und Männer zunehmen werden. Und das ist keineswegs nur eine zufällige Nebenwirkung der Regierungspolitik, sondern einer der beabsichtigten Effekte.

Das Stereotyp

Ein Kopftuchverbot für Mädchen im Kindergartenalter! Es ist nicht schwierig, die dahinterliegende Intention zu verstehen. Man suggeriert, dass solch eine drastische Maßnahme nötig sei, weil muslimische Familien ihre kleinen Mädchen dazu zwingen würden, ein Kopftuch zu tragen. Das entspricht in der Essenz dem gängigsten Vorurteil über das Kopftuch – nämlich, dass es als Resultat direkter, gewalttätiger Unterdrückung und nur unter Zwang getragen wird. Solchen Zwang gibt es natürlich auch, aber er ist ganz und gar nicht die Regel. Genauso wie das Gegenteil vorkommt, aber nicht der Regelfall ist, dass Frauen gegen den Willen ihrer männlichen Familienmitglieder ein Kopftuch tragen.

„Musliminnen werden zu unmündigen, vom Ausland gesteuerten Personen erklärt“

„Musliminnen werden zu unmündigen, vom Ausland gesteuerten Personen erklärt“

Gerade politisch sehr interessierte junge Frauen geben an, dass sie das Kopftuch tragen, um sich in aller Öffentlichkeit zu ihrer Identität als Muslimin in Zeiten zu bekennen, wo diese einem Generalangriff ausgesetzt ist. Manche von ihnen sind die ersten Frauen in ihren Familien, die das tun. Oft werden hinter dem Tragen des Kopftuchs wohl dieselben Mechanismen zur Geltung kommen, wie bei den meisten Kleidungsstilen. Ob wir hautenge Hosen tragen, oder „schöne“ Kleider, uns schminken, Bart tragen, oder was auch immer – wir folgen Modetrends, wir verwirklichen Rollenbilder, wir experimentieren damit oder rebellieren dagegen.

Es sagt sehr viel über die Kopftuchdebatte aus, dass man überhaupt darüber diskutiert, welche Motive dahinter stecken, oder dass man betonen muss, dass Frauen sich auch freiwillig dafür entscheiden. Dieses „Stückchen Stoff“ ist das sichtbare Symbol für das Stereotyp über die muslimische Familie geworden, in welcher der Mann nur als finsterer Despot auftreten kann, gewalttätig, lieblos und rückschrittlich.

Opfer und Täterin zugleich

Antimuslimischer Rassismus ist so erfolgreich, dass dem Kopftuch von der rassistischen Propaganda ein fixes Set an Eigenschaften zugeschrieben werden kann, ohne sie ausführen zu müssen. Man „muss“ das Kopftuch verbieten, um dem Zwang der damit einhergehen muss, das Handwerk zu legen. Wozu in früheren Zeiten biologische Eigenschaften herangezogen wurden, wie die Hautfarbe eines Menschen, sind es jetzt, im Falle des modernen antimuslimischen Rassismus, die kulturellen Merkmale einer Gruppe. In der Kopftuchdebatte geschieht eine permanente Reduzierung von Frauen, die sichtbar muslimisch sind, auf bestimmte auf sie projizierte Eigenschaften – Opfer sein, Unmündigkeit, Untertänigkeit, „Integrationsunwilligkeit“, ungebildet sein, Antimodernismus, und schließlich sogar „islamistisch“ sein, im Sinne von mit Terrorismus sympathisierend.

Die SPÖ, das Recht auf Selbstbestimmung und das Kopftuch

Die SPÖ, das Recht auf Selbstbestimmung und das Kopftuch

 

Rassistische Ideologie ist oft voller Widersprüche. Die unmündige und unterdrückte muslimische Frau kann gleichzeitig Teil einer politischen Verschwörung zur Unterwerfung Europas und am Sprung zur Machtergreifung sein, eine Agentin der viel beschworenen Islamisierung Europas. In der gleichzeitigen Zuschreibung von Minderwertigkeit und Überlegenheit liegt nur eine der vielen Parallelen von Islamfeindlichkeit mit Antisemitismus.

Eine Presseaussendung vom März 2017 von Herbert Kickl, dem Hirn hinter Straches Hassreden und aktuell Innenminister von Österreich, ist beispielhaft für diese Art Zuschreibungen: „Das Kopftuch, das ja neben den beschriebenen Diskriminierungen auch als Symbol für politischen Machtanspruch Gültigkeit besitzt, in Österreich völlig fehl am Platz“. Dementsprechend aggressiv reagieren Rassisten auf kopftuchtragende Frauen, wenn diese – alle Vorurteile widerlegend – sich selbstbewusst in TV-Diskussionen behaupten, eloquent und gebildet auftreten und oftmals ihre Diskussionsgegner rhetorisch vom Tisch fegen.

Was die Debatte bewirkt

Was bei der aktuellen Diskussion um ein Kopftuchverbot im Kindergarten und der Volksschule unterschwellig mit transportiert wird, ist die perfide Unterstellung, die muslimische Frau könne entweder ihr Kind nicht vor dem gewalttätigen muslimischen Patriarchen beschützen, oder sie ist überhaupt Mittäterin bei diesem Verbrechen an den kleinen Mädchen. Wenn man sich vor Augen hält, was in der gängigen Kopftuchdebatte völlig ausgeklammert wird, nämlich, dass es so gut wie keine kopftuchtragenden Mädchen in Kindergärten gibt, dann ist die Wirkmächtigkeit von antimuslimischen Rassismus nichts weniger als beängstigend.

Kultur kann wie Natur funktionieren“, schreibt Etienne Balibar in „Is there a ‚neo-racism‘?“ und sie kann im Speziellen bewirken, dass Individuen und Gruppen eine unveränderliche Abstammung und Bestimmung zugeschrieben werden. Besonders im Falle des Islam mag das absurd erscheinen, angesichts der Tatsache, wie vielfältig er gelebt und interpretiert wird, und wie verschieden die Kulturen der Länder sind, in welchen Muslime zuhause sind. Aber das ist dennoch, was wir beobachten können.

Etablierung und Ausbreitung

Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen rassistischer Gewalt und deren Legitimation durch die Politik und ihrer Duldung durch die Behörden. Foto: Ben Kilb (Vice)

Nur, wie ist es soweit gekommen? Rassismus verfestigt sich durch eine Kombination verschiedener Mechanismen. Das beginnt bei der Verbreitung und unermüdlichen Wiederholung von Stereotypen über die betroffene Gruppe. Dazu kommt Toleranz für Aggressionen, verbaler und physischer Natur, gegen diese Gruppe. Unerlässlich ist Ermutigung durch staatliche Institutionen bei solchen Aggressionen. Das beginnt damit, dass staatliche Organe rassistische Übergriffe ignorieren oder rechtfertigen und schließlich gutheißen, und in einem weiteren Schritt begehen staatliche Organe, wie Polizei und Gerichte, selbst rassistische Übergriffe. Zu solchen Übergriffen muss gezählt werden, wenn Polizisten eine Frau auf offener Straße zwingen ihr Kopftuch abzunehmen, oder das „racial profiling“ genannte Herauspicken junger muslimischer Männer durch Polizisten bei Straßenkontrollen.

Verfestigt wird Rassismus immer auch durch intellektuelle Theorien, insbesondere durch akademische Arbeiten, auf die sich dann wieder Politiker sowie Gesetzgeber stützen können. Besonders hervorzuheben ist hier die sogenannte Kindergarten-Studie von Ednan Aslan, die mit äußerst fragwürdigen Methoden „produziert“ und dann noch von Beamten des damaligen Integrationsministers Sebastian Kurz auf manipulative Art und Weise verändert wurde.

Der Gesetzgeber schließlich spielt eine ganz entscheidende Rolle, indem er in der Praxis bestätigt, dass die rassistisch unterdrückte Gruppe tatsächlich einer Andersbehandlung bedarf. Wozu ein eigenes Islam-Gesetz, wozu ein Kopftuchverbot, ein Bauverbot für Minarette, eine Überwachung von Moscheen – wenn nicht wegen der „realen Bedrohung“ die von der muslimischen Bevölkerung ausgehen muss. Das mündet schließlich in einer umfassenden Diskriminierung und Schlechterbehandlung von Muslim_innen auf verschiedensten Ebenen – vom Kindergarten über das Berufsleben bis ins Altersheim. Rassismus ist eben nicht nur der Glaube an und die Verbreitung von Vorurteilen, sondern vor allem ein Unterdrückungsinstrument.

Gespaltene Eliten

Der durchschlagende Erfolg von antimuslimischen Rassismus liegt aber auch darin begründet, dass er ein internationales Phänomen ist. Das liegt einmal am „war on terror“, der seit beinahe zwei Jahrzehnten vom US-Imperialismus instrumentalisiert wird, um Kriege im muslimisch dominierten Mittleren und Fernen Osten zu legitimieren, speziell die Invasion und Besatzung von Afghanistan und Irak.

Westliche NGOs haben den Einmarsch der NATO-Truppen mit dem Verweis auf die Befreiung der Frau begrüßt. Foto: commons

Islamfeindlichkeit hat aber auf internationaler Ebene ein gewisses Eigenleben abseits dieser Kriege entwickelt, als ein einendes ideologisches Element für die ansonsten tief gespaltene Staatengemeinschaft im Gefolge der USA, die so gerne als „der Westen“ bezeichnet wird. Wir müssen gerade deshalb, weil die Krise des globalen Kapitalismus sich weiter vertiefen dürfte, davon ausgehen, dass sich die Bedeutung von Islamfeindlichkeit als einendes Element für die herrschenden Eliten steigern wird. Antimuslimischer Rassismus hat seinen Zenit noch nicht erreicht. Es kommt noch schlimmeres auf die muslimische Bevölkerung und uns alle zu.

Frauenunterdrückung

Der größte Teil von gewalttätigen islamfeindlichen Übergriffen betrifft Frauen. Die Fokussierung auf die muslimische Frau ist eine Besonderheit des modernen antimuslimischer Rassismus und eine Neuheit im Vergleich zu den ehemals dominanten Formen von Rassismus. Bei Rassismus gegen Afrikaner oder bei Antisemitismus standen und stehen noch mehrheitlich Männer im Visier der Rassisten. Geschuldet wird dieser Strategiewechsel vor allem den Kopftuchdebatten. Die muslimische Frau wird im rassistischen Diskurs und in der Praxis der Gesetzgebung auf einen einzigen Aspekt ihrer äußerlichen Erscheinung reduziert. Obwohl sie es abnehmen kann, wird ihr „Tragen des Kopftuchs als von ihrer Natur untrennbar verstanden“, wie Alana Lentin schreibt.

Es gibt noch keine umfassenderen Studien darüber, wie viele muslimische Frauen schon Hassverbrechen erlebt haben. Alleine der noch jungen Dokustelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus wurden im Jahr 2016 253 Einzelfälle gemeldet (von Beleidigen über Anspucken zu Kopftuch herunterreißen und tätlicher Gewalt). Das bedeutet einen Anstieg von 62%. Die Antidiskriminierungsstelle Steiermark registrierte 2017 insgesamt 72 Fälle von islamfeindlichen Hassverbrechen. Beide Institutionen können aber nur einen kleinen Bruchteil der tatsächlich verübten Übergriffe dokumentieren.

Der Verfassungsschutzbericht von 2016 sieht überhaupt keinen Anstieg von solchen Verbrechen und spricht von einem einzigen Fall mit Körperverletzung. Die Toleranz der Behörden gegenüber rassistischen Übergriffen ist, wie oben beschrieben, integraler Teil der Institutionalisierung von Rassismus. Petra Klier hat Linkswende jetzt gegenüber berichtet, wie eine Passantin mitten durch eine Schulklasse auf Ausflug durchgegangen ist und ein Mädchen geohrfeigt hat. Die Polizei hat sich 20 Minuten lang geweigert, die Anzeige der Pädagoginnen aufzunehmen. Wir müssen also davon ausgehen, dass die Dunkelziffer rassistischer, gegen muslimische Frauen und Mädchen gerichteter Gewalttaten, sehr hoch ist.

Sexismus und Rassismus

Doris Weichselbaumer von der Linzer Johannes Kepler Universität hat 2016 eine Studie über die Diskriminierung von Migrantinnen am Arbeitsmarkt in Deutschland erstellt. Der Schwerpunkt lag dabei auf Jobbewerbungen türkischer Frauen. Ein fiktiver Lebenslauf wurde mit zwei verschiedenen Namen abgeschickt, einmal von Sandra Bauer, einmal von Meryem Öztürk. Sandra Bauer bekam zu 18,8 Prozent die Chance auf ein Bewerbungsgespräch, Meryem Öztürk (mit identem Foto, ohne Kopftuch) nur zu 13,5 Prozent und Meryem Öztürk mit Kopftuch nur zu 4,2 Prozent.

Linke müssen Islamfeindlichkeit bekämpfen

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Eine kopftuchtragende Frau mit türkisch klingendem Namen muss sich also 4,5-mal häufiger bewerben um die Gelegenheit auf ein Bewerbungsgespräch zu bekommen. Und sehr aufschlussreich: Je höher bewertet der Arbeitsplatz, desto schlimmer die Diskriminierung: Für eine Stelle als Bilanzbuchhalterin musste sich die kopftuchtragende Meryem 7,6-mal öfter bewerben als Sandra Bauer, für eine Stelle als Sekretärin immer noch 3,5-mal häufiger. Das sind die Auswirkungen der Kopftuchdebatten, wo Frauenunterdrückung und Unterdrückung einer kulturellen Gruppe, oder einfacher gesagt, Sexismus und Rassismus zusammenkommen.