Marx is Muss 2017: „Der Kongress hat Mut für die Linke gemacht!“

Der antikapitalistische Kongress „Marx is Muss 2017“ wurde genau am 199. Geburtstag von Karl Marx am 5. Mai 2017 eröffnet. An drei Tagen diskutierten über 100 Aktivist_innen mit internationalen Gästen aus England, Deutschland und Griechenland im Wiener Amerlinghaus über den dringend notwendigen Aufbau einer sozialistischen Alternative zu Trump, den Aufstieg rechtsextremer Parteien und den Kampf gegen Rassismus und Klimawandel. Besucher_innen erzählen ihre Eindrücke vom Kongress.
8. Mai 2017 |

So lächerlich der neue US-Präsident Donald Trump auch wirken mag, seine Politik ist real und gefährlich, warnte Judith Orr aus England (SWP) am Eröffnungspodium des antikapitalistischen Kongress Marx is Muss am Freitag, 5. Mai im Wiener Amerlinghaus. „Wir erleben den Zusammenbruch des politischen Zentrums, eine Krise der politischen Elite und des Establishments. Und das führt zu einer Polarisierung nach rechts und nach links“, sagte Orr in ihrer Rede. Donald Trump sei dabei ein Ausdruck dieser Entwicklung.

 

Dass Österreichs Innenminister Wolfgang Sobotka auf den Trump-Zug aufspringt und rassistische Gesetze und Demoverbote umsetzt, ist kein Zeichen der Stärke, sondern der eigenen Hilflosigkeit angesichts des Drucks, der in Österreich vor allem von rechts von der FPÖ kommt. Aber das ist keine alternativlose Entwicklung: Bernie Sanders in den USA, Jeremy Corbyn in England oder Jean-Luc Mélenchon in Frankreich demonstrieren das riesige Potenzial für die radikale Linke und dass wir ebenfalls infolge der Polarisierung aufbauen können.

Über 100 Besucher_innen beteiligten sich an drei Tagen an Workshops, Veranstaltungen und Diskussionen. Katharina war zum ersten Mal auf dem Marx is Muss-Kongress und meinte: „Ich fand, dass der Kongress Mut gemacht hat! Die ganze Zeit hört man von überall, wie schlimm alles ist. Die Diskussionen haben gezeigt, dass man nicht allein ist, dass man nicht verzweifeln muss, weil es großartige Menschen gibt, die sich für eine bessere Welt einsetzen!“

Christine Buchholz, Bundestagsabgeordnete für DIE LINKE in Deutschland, erzählte vom fantastischen Widerstand in deutschen Krankenhäusern und im Dienstleistungsbereich: „Das sind Gegenbewegungen, die den Leuten Mut geben, und das obwohl wir objektiv gesehen vielleicht noch eine viel bessere Situation haben als in vielen anderen Ländern. Die Leute wissen, dass, selbst wenn es einmal wirtschaftlich bergauf geht, für die Mehrheit der Arbeiterinnen und Arbeiter nichts abfällt.“

Besonders beeindruckend waren ihre Schilderungen über die riesigen Proteste gegen die Alternative für Deutschland (AfD) in Köln, Münster und vielen anderen Städten.

Pole der Hoffnung

Seit 2010 organisierten die griechischen Gewerkschaften 45 Generalstreiks. Petros Constantinou, Koordinator des antifaschistischen Bündnisses KEERFA in Griechenland, berichtete, dass für 17. Mai der nächste Generalstreik gegen das neue „Memorandum“ geplant ist, also gegen das neue Sparpaket, das die Syriza-Regierung mit der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) unterzeichnen wird.

„Die Menschen suchen nach linken Alternativen, wenn sie kämpfen“, sagte Constantinou. Wenn die radikale Linke Einfluss entwickeln will, dürfe sie nicht abseits stehen, sondern muss die Kämpfe aktiv mitgestalten und offen und sichtbar sein.

Christine Buchholz, Bundestagsabgeordnete von DIE LINKE in Deutschland (Mitte)

 

„Mir haben besonders die Mitglieder gefallen und dass man mit offenen Armen empfangen wurde. Der erste gute Eindruck war mir persönlich sehr wichtig!“, sagte Ayhan, der am Kongress Neue Linkswende beigetreten ist. „Die Themen waren sehr gut gewählt, es war informativ und ihr habt mir gezeigt, dass die Linke wirklich vorhat, etwas zu bewegen!“ Auch Clara war zum ersten Mal am Kongress. Sie sagte: „Die Vorträge und die Gäste fand ich wirklich interessant! Ich hatte den Eindruck, dass immer mehr Menschen Interesse an antikapitalistischen Ideen haben.“

Auch Studentin Eda war begeistert: „Der Kongress hat aufgezeigt, dass die Möglichkeit besteht, auf Basis von durchdachten und kenntnisreichen Beiträgen für eine alternative Wirtschaftsordnung einzutreten.“ Besonders gefreut hat sie sich über die internationalen Gäste. „Ich habe die Atmosphäre am Kongress als sehr persönlich und harmonisch wahrgenommen, das ist für Neulinge natürlich von großem Vorteil.“

Der Wissensdurst war gar nicht zu stillen: Über 60 Broschüren wurden von den Gästen gegen Spenden mitgenommen. Zu den beliebtesten Lektüren zählten Das Braunbuch FPÖ, Die zukünftige sozialistische Gesellschaft und die Neuerscheinung Marxismus und Anthropozän.

Systemwandel und Revolution nötig

Dass wir nicht auf „die da oben“ hoffen können, wurde besonders an den Debatten über den Klimawandel deutlich. Erdwissenschafter David Heuser erinnerte in einem (erschreckend) guten Vortrag über den aktuellen Stand der Klimaforschung, dass die Regierungen längst über die katastrophalen Auswirkungen der Klimaerwärmung Bescheid wissen und sie überhaupt keine Ausreden haben, nichts zu tun.

Der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen wäre technologisch längst möglich. Aber das kapitalistische System stellt die Profitmaximierung immer über den Menschen und die Natur. Carla Weinzierl von der Bewegung System Change not Climate Change argumentierte aus dieser Richtung gegen die „Green Economy“, also Lösungsansätze, die sich nicht über die Grenzen der Profitlogik hinausbewegen. „Es braucht eine an die Wurzel gehende Radikalität, eine gesamte Transformation der Produktions- und Lebensweise der Macht- und Eigentumsverhältnisse“, meinte sie in ihrer Rede.

Der stärker werdenden globalen Klimaschutzbewegung gelang mit den People’s Climate Marches am 29. April ein Durchbruch. Hunderttausende marschierten auf der ganzen Welt nicht bloß für Umweltschutz, sondern für einen radikalen Systemwandel. Das kann der Ausgangspunkt für eine wirklich mächtige Bewegung werden, die den Regierungen gefährlich werden kann. Manfred Ecker, leitender Redakteur der Neuen Linkswende, sagte: „Wir müssen die Macht erobern. Wir müssen den Herrschenden das Steuer aus der Hand reißen und den Zug stoppen.“

 

Dass das kapitalistische System gebrochen werden kann und sich die Arbeiter_innen selbst regieren können, bewies die Russische Revolution vor genau 100 Jahren. Die Workshops zum Jubiläum der Russischen Revolution als auch die Einführung zu Rosa Luxemburg „Die Revolution ist großartig, alles andere ist Quark!“ waren sehr gut besucht.

Johannes, Student an der BOKU Wien, erzählt, dass ihm gerade diese Workshops sehr gut gefallen haben, und noch viele mehr: „Fasziniert hat mich die Einhelligkeit der Vortragenden, speziell Judith Orr und Petros Constantinou, sowie die der Teilnehmer_innen an den Diskussionen, dass ein revolutionärer Systemwechsel möglich ist und ihre Entschlossenheit dafür zu kämpfen.“

Samthandschuhe aus gegen die FPÖ

Der Weg dorthin ist steinig. Derzeit erleben wir etwas, das wir als „Normalisierung von Faschismus“ bezeichnen könnten, meinte David Albrich in seiner Rede über die FPÖ und Burschenschaften. Das wurde besonders im Präsidentschaftswahlkampf deutlich, als Bundeskanzler Christian Kern und der grüne Kandidat Alexander Van der Bellen öffentlich Frieden mit dem rechtsradikalen Burschenschafter Norbert Hofer schlossen.

„Man hält Parteien wie den Front National, die FPÖ oder die AfD nicht auf, indem man sie einfach als besonders rassistische Konservative oder Rechtspopulisten abtut“, sagte Albrich, noch nirgends habe diese Strategie funktioniert.

Mit der Verharmlosung von Faschismus muss nicht nur in Österreich, sondern europaweit gebrochen werden. Diese Entwicklung wurde besonders in Frankreich deutlich, wo am Wochenende die Faschistin Marine Le Pen zwar in der Präsidentschaftswahl deutlich verloren hat, aber mit über 10 Millionen Stimmen das Ergebnis ihres Vaters Jean-Marie Le Pen von der Stichwahl 2002 verdoppeln konnte.

Carla Amina Baghajati, Frauenbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ)

 

In einem mitreißenden Vortrag beseitigte David Reisinger – sollte noch jemand welche haben – jeden Zweifel, dass der Staat kein Partner im Kampf gegen Faschismus ist, sondern ihm nach den Schrecken der Schoah wieder auf die Beine hilft. Inspirierend war auch die gemeinsame Veranstaltung von Carla Amina Baghajati, Frauenbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ), mit Karin Wilflingseder (Neue Linkswende), zwei „Schwestern im Kampf gegen antimuslimischen Rassismus“.

Die Diskussionen über den Kampf gegen die rechten Monster wurde am Samstagabend mit antifaschistischem Tschuschen-Rap begleitet, nach dem Motto: Was für die FPÖ Andreas Gabalier, ist für uns Kid Pex.

Afghanistan ist nicht sicher

Besonders beeindruckend waren Flüchtlinge aus Afghanistan, die über ihre Erfahrungen erzählten. Hamed* war empört, dass man jetzt Massenabschiebungen in das Kriegsgebiet forcieren möchte, aus dem er gerade erst geflüchtet ist: „Ich habe so viel und hart gearbeitet, und dann fallen immer Bomben auf uns. Ich kann das nicht verstehen, einmal töten uns die Russen, dann die Amerikaner.“ Jawid* beschrieb die Torturen, die er und seine Freunde durchmachen mussten: „Ich habe die Toten im Mittelmeer neben mir gesehen und ich musste daran denken: Das könnte auch ich sein.“

 

Der afghanische Fotograf Belal* forderte die Anwesenden am Abschlusspodium auf, sich am 20. Mai an den Protesten gen die Deportationen nach Afghanistan zu beteiligen: „Bitte nehmt an der Demonstration teil. Afghanistan ist nicht sicher!“ Marilen Lorenz, eine der führenden Aktivist_innen in der Klimaschutzbewegung in Österreich, und Christine Franz, motivierten die Gäste für die nächsten Proteste. Am 27. Mai organisiert System Change not Climate Change eine wichtige Kundgebung am Flughafen Wien gegen den Bau der dritten Piste, am 8. Juli fahren Aktivist_innen aus Österreich nach Hamburg zum Protest gegen Trump und den G20-Gipfel.

Auf Marx is Muss sind sieben neue Aktivist_innen der Neue Linkswende beigetreten und es konnten hunderte Euros für den Aufbau der Organisation und der nächsten Proteste gesammelt werden. Nach dem Kongress, forderte Betriebsrätin Karin Wilflingseder ein, müssten wir „alle wieder gemeinsam nach außen gehen und kämpfen“, und das am besten organisiert: „Wir sollten unsere Kräfte bündeln und den wenigen oberen Prozent zeigen, was es heißt, sich mit Mehrheit in der Bevölkerung anzulegen.“

Einige Vorträge können am Youtube-Kanal von Linkswende jetzt nachgeschaut werden.
*Die Namen der afghanischen Aktivisten wurden zu ihrem eigenen Schutz vor dem österreichischen Staat geändert.

Marx is Muss 2017

Der diesjährige antikapitalistische Kongress „Marx is Muss” stand ganz im Zeichen der Rebellion gegen Trump und die Trumps von Österreich. Internationale Gäste begeisterten über 100 Besucher_innen vom 5. bis 7. Mai 2017 im Wiener Amerlinghaus.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.