Massenproteste in Katalonien stürzen spanischen Staat in tiefe Krise

Die spanische Regierung befindet sich in einer schweren politischen Krise. Die Menschen in Katalonien trotzen den Versuchen der Regierung, das Referendum über die Unabhängigkeit zu verhindern. Eine großartige Bewegung auf der Straße wehrt sich gegen die Repressionen – und ihre Forderungen radikalisieren sich.
23. September 2017 |

In einer aktuellen Umfrage sagen gerade einmal 28 Prozent der Katalanen, dass sie die spanische Verfassung anerkennen. Die paramilitärische „Guardia Civil“ hat 10 Millionen Stimmzettel, eineinhalb Millionen Pro-Referendums-Flugblätter, Poster und weitere Druckmaterialien beschlagnahmt. Die Regierung hat Untersuchungen gegen mehr als 700 Bürgermeister, die das Referendum unterstützen, angeordnet und sie vor Gericht geladen.

Am Dienstag (19. September) sperrte das spanische Finanzministerium alle Bankkonten der katalanischen Regierung. Die Polizei hat außerdem versucht, die Büros der antikapitalistischen Partei CUP (Candidatura d’Unitat Popular, Kandidatur der Volkseinheit) stürmen.

Widerstand hebt ab

Die Antwort war unglaublich. Hunderttausende Menschen strömten auf die Straßen in Barcelona – gegen die Repression durch den Staat und für Wahlrecht. Mehrere tausend Menschen hinderten die Polizei daran die Büros der CUP zu besetzen und zwangen sie zum Rückzug. Aktivistin Maria Dantas sagte gegenüber der britischen Zeitung Socialist Worker: „Das Tempo des Widerstandes ist enorm. Jeden Tag gehen wir auf die Straßen, um Plakate aufzuhängen und Flugblätter zu verteilen. Dasselbe passiert in allen katalanischen Städten.“

Studierende halten Massenversammlungen ab, um die weitere Vorgehensweise zu besprechen. 

 

Tausende Menschen verlangten am Dienstag vor dem Höchstgericht die Freilassung katalanischer Regierungsvertreter_innen, die noch immer festgehalten werden. Hafenarbeiter in Barcelona entschieden auf einer Massenkundgebung, nicht mehr auf dem Schiff Rhapsody zu arbeiten – auf der Polizisten und Fahrzeuge der spanischen Polizei und der Guardia Civil stationiert sind. Mit der Aktion, sagten sie, wollten sie „die Bürgerrechte verteidigen“. Auch die Hafenarbeiter von Tarragona beschlossen, nicht auf Polizeischiffen zu arbeiten.

Generalstreik angekündigt

Die katalanische CGT, eine Gewerkschaft mit zehntausenden Mitgliedern, veröffentlichte folgendes Statement: „Nach der Diskussion mit anderen Gewerkschaften, haben wir einen Aufruf zum Generalstreik ab dem 3. Oktober vorgeschlagen. Wir wollen weder eine Arbeitsrechtsreform, die uns versklavt, noch den Autoritarismus jener Leute, die denken, sie könnten unsere Rechte zerschlagen.“ Andere größere Gewerkschaften überlegen, ob sie sich dem Streik anschließen.

Es gab Solidaritätsdemonstrationen in Gemeinden und Städten in ganz Katalonien. Auch in Madrid, Malaga, Almeria, auf den Balearischen Inseln, in Cantabria und in vielen anderen Städten Spaniens. Diese Mobilisierungen zeigen, dass das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte die Regierung wie ein Bumerang treffen könnte. Eine beliebter Cartoon zeigt Angehörige der Guardia Civil sagen: „Mein Herr, wir haben Wahlzettel, Plakate und Gelder beschlagnahmt. Aber haben Sie eine Idee, was wir mit den Wählern tun sollen?“

Weitere Radikalisierung

Doch der konservative spanische Premierminister Mariano Rajoy legt einen drauf. Im Parlament sagte er: „Was in Katalonien passiert, ist ein Versuch die Verfassung zu zerstören.  Wir haben es hier mit Leuten zu tun, die das Gesetz brechen, also muss der Staat konsequent eingreifen.“ Es gibt Spekulationen darüber, dass die Regierung Artikel 155 der spanischen Verfassung geltend machen wird, um die Selbstverwaltung Kataloniens auszusetzen.

Das würde die Konfrontation zuspitzen. Doch es kann sein, dass die Regierung die dafür nötige parlamentarische Mehrheit nicht erhält. Rajoy und seine Unterstützer aus anderen Parteien mussten schon am Dienstag im Parlament eine Niederlage einstecken. Ein Antrag, der der Regierung für ihre Intervention in Katalonien dankte, wurde abgelehnt.

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Der Kampf für demokratische Rechte könnte sich durch Massenproteste und Streiks in einen größeren Kampf gegen die Minderheitsregierung und deren Sparprogramm verwandeln. Quim Arrufat von der CUP sprach am Donnerstag per Telefonleitung zu einer Solidaritätskundgebung in London: „Wir werden am 1. Oktober wählen, und mit unserer Stimme sagen wir Nein zu Rajoys Regime. Es geht hier nicht um Kultur oder Identität – es geht um die Macht des Volkes. Wir wollen dem Regime, den Banken und der Armee die Kontrolle entziehen.“

Der Artikel ist zuerst in der britischen Zeitung Socialist Worker erschienen. Übersetzung aus dem Englischen von Alexander Akladious.