Rassismus in der Europäischen Union

Rassismus wohnt dem Menschen nicht inne, sondern er ist ein historisch vergleichbar junges Unterdrückungssystem. Besonders der Rassismus gegen Flüchtlinge, Roma und Sinti hat das vergangene Vierteljahrhundert in der Europäischen Union geprägt.
2. Mai 2015 |

Rassismus ist ein Produkt unserer Lebensbedingungen in einer Klassengesellschaft und im Gegensatz zu einfacher Xenophobie, Ignoranz oder Vorurteilen eine systematische Methode der Unterdrückung, die immer wieder verstärkt und in neuen Verhältnissen reproduziert wird. Fremdenfeindlichkeit selbst ist nicht eine dem Menschen angeborene Eigenschaft, aus der sich Rassismus dann entwickelt hat, wie eine häufig verbreitete Theorie besagt.

Der Mensch ist im Gegenteil unter anderem deshalb eine so erfolgreiche Spezies, weil er ein besonders neugieriges Lebewesen ist, das immer schon durch soziale Interaktion voneinander gelernt hat, vor allem dann noch, als seine Ausbreitung über den Globus zur Entstehung vielfältigster Kulturen geführt hat.

Erfindung der „Untermenschen“

Man kann nachweisen, dass Rassismus als Ideologie der Kolonialherren und Plantagenbesitzer entstanden ist. Diese neue Ideologie erfüllte bald verschiedene, den herrschenden Klassen nützliche Funktionen. Sie diente zur Unterdrückung der afrikanischen Sklaven und der eingeborenen Bevölkerung und zur Rechtfertigung ihrer unmenschlichen Behandlung.

Rassismus konnte als Erklärung für eine Ungereimtheit herhalten, die einer Erklärung bedurfte – denn zur selben Zeit als sich der Sklavenhandel ausbreitete, griff die neue radikale Ideologie der Aufklärung um sich, und damit die Vorstellung, dass alle Menschen gleich sind und gleiche Rechte haben. Die Erfindung einer Gruppe von „Untermenschen“ sollte also rechtfertigen, weshalb diese Gruppe solch unmenschliche Behandlung erfuhr.

Rassistische Arbeiter?

Rassismus bot den freigelassenen weißen Sklaven und Kleinbauern, die als koloniale Siedler in die eroberten Gebiete kamen, eine Art Kompensation für ihr eigenes Elend. Denn sie lebten zwar besser als Sklaven und Indigene, aber doch unter ärmlichsten Verhältnissen, während die Plantagenaristokratie im Luxus schwelgte. Dies erklärt erst, warum Rassismus von weißen Arbeitern angenommen wurde und für politische Ziele eingesetzt werden konnte.

Ein gutes Beispiel ist der Antisemitismus in Wien im späten 19. Jahrhundert. Die liberale „Judenpresse“ war das Feindbild sowohl der Kaisertreuen als auch der Deutschnationalen. In den Kirchen wurde gegen Gewerkschaften gepredigt, deren oft jüdische Anführer wurden zum furchteinflößenden Feindbild heraufbeschworen, und später dichtete man eine jüdisch-bolschewistische Verschwörung herbei, wenn die Arbeitgeber am Widerstand der Gewerkschaften verzweifelten.

Politische Nützlichkeit

In Wien blühte zu selben Zeit, den letzten Jahrzehnten der Monarchie, eine andere Ausformung von Rassismus, nämlich gegen die Völker im Osten der Habsburger Monarchie. Ein beherrschendes Thema der Zeit war der oft romantisierte Vielvölkerstaat, der von den Sozialisten auch Völkergefängnis genannt wurde. Der Nationalismus der Deutschen prallte auf den Nationalismus der um Unabhängigkeit strebenden Tschechen, Kroaten, Ungarn, Polen, usw. Das augenscheinliche Missverhältnis innerhalb der Monarchie – zwischen Aristokratie und der Bevölkerung, den Industriegebieten und den ländlichen Zonen, zwischen Ost und West, usw. führte zu gewaltigen Spannungen.

Der legendäre Journalist Karl Kraus schrieb anlässlich eines Festzugs zu Ehren Kaiser Franz Josefs am 12. Juni 1908 über Vertreter der Völker des Ostens, sie seien „hässlich, primitiv und kulturell zurückgeblieben“. Der berühmte Architekt Adolf Loos meinte: „Im Jubiläumsfestzuge gingen Völkerschaften mit, die selbst während der Völkerwanderung als rückständig empfunden worden wären.“ Rassismus diente also bald einfachen politischen Zielen. Im zitierten Fall waren es die verschiedenen politischen Parteien, die während des Niedergangs der Monarchie ihre Politik so zu stärken versuchten.

Wer profitiert?

„Weiße“ Arbeiter, besser ausgedrückt die Arbeiter_innenklasse der unterdrückenden Nation, profitieren nicht von Rassismus. Objektiv betrachtet profitieren nur die Kapitalisten bzw. die Arbeitgeber von unterschiedlich schlecht bezahlten Arbeitskräften und Hierarchien zwischen Facharbeitern und Hilfsarbeitern, usw. Dennoch werden Hierarchien und Lohndifferenzen von Gewerkschaften verteidigt und Arbeiter_innen werden indirekt oder direkt dazu verführt, rassistische Argumente zu übernehmen.

1991 stellten die Gewerkschaften fest, dass die Industriellen den Zuzug von Arbeiter_innen aus den ehemaligen Ostblockstaaten tatsächlich ausnutzten, um Löhne zu drücken und Mieten zu erhöhen. Sie sperrten sich dann vehement gegen die Öffnung der Grenzen für Arbeitskräfte aus dem Osten (so genannte „Ostöffnung“) und machten „einheimische“ Arbeiter_innen für Argumente der FPÖ anfällig, die etwa fälschlich behauptete, „Ausländer kommen bei Gemeindewohnungen zuerst zum Zug“ (Jörg Haider im August 1994).

Die Alternative zur Politik des jeweils Machbaren, wäre Politik wirklich „vom Klassenstandpunkt des Proletariats aus“ zu machen: Männer dazu aufzurufen für höhere Löhne von Frauen zu streiken, Inländer für gleiche Löhne von Zuwanderern, Facharbeiter für gleiche Löhne von Hilfsarbeitern, etc. Stattdessen fügen sich Gewerkschaften den augenblicklichen Machtverhältnissen.

Hetze gegen Roma und Sinti

Rassismus gegen Flüchtlinge, Rassismus gegen Osteuropäerinnen in den EU-Kernländern und Rassismus gegen Roma und Sinti finden wir vor allem in Europa. Letzterer erfuhr in den Jahren seit dem Ende des Ostblocks von 1989 bis 1991 einen neuen Aufschwung. Bekanntlich waren um die 500.000 Roma und Sinti Opfer systematischer und industrieller Massenvernichtung durch die Nazis. Deshalb ist es als besonders beschämend einzustufen, dass es in Westeuropa und besonders in den Nachfolgestaaten Hitlerdeutschlands wieder zu Verfolgung und rassistischen Morden gekommen ist.

Am 4. Februar 1994 wurden in Oberwart vier Roma durch eine Rohrbombe ermordet. Sie waren auf Patrouille, weil ihre Gemeinschaft zu dieser Zeit regelmäßig mit Gewalt bedroht wurde. Stimmung gegen die Roma wurde von der FPÖ gemacht. FPÖ-Chef Jörg Haider verunglimpfte die Mordopfer – und entschuldigte damit gleichzeitig die gesuchten Neonazi-Attentäter: „Wer sagt, dass es da nicht um einen Konflikt bei einem Waffengeschäft, einem Autoschieber-Deal oder um Drogen gegangen ist?“ Haiders Unterstellungen und die Angstmache der Regierung vor marodierenden Banden aus dem Osten gingen damals Hand in Hand.

Staatsrassismus

Der Unterschied war, dass Haider diese Form von Rassismus wählte, um den Kern seiner Partei und ihre Anhängerschaft fester zusammenzuschweißen, während die Regierung sich dieses Rassismus bediente, um ihre eigenen politischen Ziele zu verfolgen, vor allem um den Unmut über die Folgen antisozialer Reformen zu zerstreuen. Weitere Beispiele finden wir heute in Frankreich, wo Übergriffe auf Roma durch den Staat verübt wurden.

Beim Bettelverbot in verschiedenen österreichischen Städten, das sich sehr deutlich ebenfalls gegen Roma und Sinti richtet, handelt es sich ganz offensichtlich um Ablenkung, Sündenbockpolitik, Wählermobilisierung, Wählerbeschwichtigung, Rechtfertigung von Missständen und manchmal einfach puren Rassismus der handelnden Politiker_innen.

Flüchtlinge als Opfer

Die Tatsache, dass es sich beim Rassismus gegen Flüchtlinge um ein sehr junges Phänomen handelt, zeigt plastisch, wie flexibel Rassismus einsetzbar ist. Flüchtlinge kommen aus allen Teilen der Welt und die Fluchtgründe sind vielfältig: Armut, Perspektivlosigkeit, Krieg, bewaffnete Konflikte, politische Verfolgung, Landraub, Klimawandel, Hunger oder korrupte Regierungen können der Anlass sein, die Reise ins Ungewisse anzutreten.

Flüchtlingskatastrophe: Mord im Mittelmeer

Flüchtlingskatastrophe: Mord im Mittelmeer

Erst durch das Grenzregime des EU-Schengenraums kommen sie in eine häufig lebensbedrohliche Situation, da legale Einreise in die EU praktisch unmöglich geworden ist. Seit 1993 sollen laut seriösen Schätzungen verschiedener Flüchtlingsorganisationen an die 17.000 Flüchtlinge beim Versuch in die EU zu gelangen, gestorben sein.

EU-Rassismus

Wie schon zuvor dargestellt hilft Rassismus dabei Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten zu erklären, die im Widerspruch zu offiziellen Ideologien und Geschichtsbildern stehen.

In ihrer Selbstdarstellung ist die Europäische Union ein Friedensprojekt. Die Verleihung des Friedensnobelpreises 2012 hat umgehend den Protest von Flüchtlingsorganisationen ausgelöst. Umgehend wurde auf die Grenzkontrollen durch die „Grenzschutzagentur“ Frontex hingewiesen, die Immigrant_innen auf immer gefährlichere Routen drängt. Frontex gleicht tatsächlich mehr einer brutalen paramilitärischen Einheit als der freundlichen „Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen“, als die sie sich präsentiert.

Als quasi ideologische Rechtfertigung werden den Flüchtlingen verschiedene negative Eigenschaften angedichtet: Sie heißen bei Strache und Regierungspolitikern „Asylbetrüger“, „kriminelle Asylwerber“, „Schmarotzer“ und vieles mehr.

Rassismus widerspricht Erfahrung

Da die herrschenden Klassen die Medien und andere meinungsbildende Instrumente zu ihrer Verfügung haben, können sie einen großen Teil der vorherrschenden Meinung kontrollieren, aber nicht alle Menschen und nicht zu jeder Zeit.

Die Besetzung der Votivkirche zu Weihnachten 2012 durch eine Gruppe von Asylwerbern hat ungeahnten Zuspruch für die Anliegen von Flüchtlingen, bzw. massenhafte Ablehnung der österreichischen Asylpolitik sichtbar werden lassen. Wenige Jahre zuvor wurde die so genannte Bleiberechtsbewegung von einfachen Menschen getragen, die in kleinen Landgemeinden Flüchtlinge als Nachbarn hatten, und diese vor der Deportation schützen wollten. Oft haben sich ganze Dörfer gegen Abschiebungen gestellt.

Ideologischer Kampf

Rassistische Propaganda fällt nicht einfach auf fruchtbaren Boden, sondern breitet sich oft erst mit viel Mühe und mit dem Einsatz von zusätzlicher Gewalt aus. Gewalt wurde etwa mehrfach notwendig, um Flüchtlingshelfer_innen aufzuhalten, zu kriminalisieren und von der Bevölkerung zu isolieren. Auch an diesem Punkt ist von Bedeutung, welche politischen Kräfteverhältnisse herrschen und wie sich Rassisten und Antirassist_innen politisch aufstellen.

Vom Kampf um die Abschaffung der Sklaverei bis zum Widerstand gegen die Flüchtlingspolitik heute war es entscheidend, welche politische Kraft sich durchsetzen konnte. Die „Abolitionisten“ im 19. Jahrhundert haben beeindruckend die rassistischen Mythen aus der Zeit der Sklaverei widerlegt und so ihren Beitrag zur Abschaffung der Sklaverei und dem Sieg über die Sklavenbesitzer geleistet. Auch heute wird es entscheidend sein, die grässliche Propaganda zu widerlegen, die Rassismus untermauern soll.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.