Spielfeld-Prozesse: „Wirtschaftsflüchtling“ aus den Trümmern syrischer Kampfgebiete

Die österreichischen Behörden führen schon vor der offiziellen Verordnung eines „Notstands“ de facto Eilverfahren an der Grenze bei Spielfeld durch. Asylsuchenden werden Fangfragen gestellt, um sie als „Wirtschaftsflüchtlinge“ abzuweisen.
17. Juli 2016 |

„Ich habe gesagt, wir möchten nach Deutschland, weil in Syrien Krieg ist. Ich bin auf der Suche nach Sicherheit“, beschreibt Shadi. Die ös­terreichischen Behörden machten seine fünfköpfige Familie mit der Begründung, dass sie wollten nur ein besseres Leben in Deutsch­land, kurzerhand zu „Wirtschaftsflüchtlingen“. Sie flohen aus Homs, einer heftig umkämpften syrischen Großstadt. Die älteste Tochter (11) ist durch die grausamen Szenen, die sie mitansehen musste, schwer traumatisiert und in psychotherapeutischer Behandlung (siehe Zeichnung links).

Zeichnung Krieg in SyrienDie Familie, die derzeit in Graz lebt, ist akut von der Abschiebung bedroht. Ihre Einstufung als Wirtschaftsflüchtlinge ist kein Unfall, sondern die Umsetzung von Vorgaben der Regierung. Die Beamten stellen den Flüchtlingen „Fangfragen“, die fast nur falsch beantwortet werden können, und in der Deportation dieser schutzbedürftigen Menschen nach Slowenien enden. Sie werden gefragt, was sie im Zielland (meist Deutschland) tun wollen. Geben sie irgendeine andere Antwort als „Ich will um Asyl ansuchen!“, werden sie abgewiesen. Sagen sie, sie wollen eine Ausbildung fortsetzen, arbeiten oder Wohnung suchen, notiert der Beamte „Wirtschaftsflüchtling“.

Dolmetscher auf Regierungsseite

Auf dem Einreiseverweigerungsformular von Ahmed Sh. ist vermerkt: „Kein Krieg im Dorf“. Der Familienvater stammt aus der Stadt Dariya nahe Damaskus, die auch als Stalingrad Syriens bezeichnet wird. Vor dem Krieg lebten dort 80.000 Menschen. Nach Protesten ließ Assad die Stadt bombardieren und seine Shabiya-Terromiliz terrorisiert die Bevölkerung und vergewaltigt Kinder und Frauen.

Allem Anschein nach sind auch die Dolmetscher, die den Polizisten zur Seite stehen, emsig daran beteiligt, Flüchtlinge zur Deportation zu verdammen. Gestellt werden die Dolmetscher in Spielfeld übrigens von der berühmt berüchtigten Sicherheitsfirma Group4Security (G4S), die trotz Skandalen immer wieder Millionenaufträge vom Innenministerium erhält. Zitat des amtshandelnden Polizisten auf die Frage, wie er sagen könne, ob der Dolmetscher die ausschlaggebende Info „Kein Kriegsgebiet“ gedol­metscht oder eigenständig ergänzt habe? „Gedolmetscht!“ Und wie er das wisse? „Das merkt man einfach, ob jemand korrekt und neutral dolmetscht.“

Die Täter sind in der Regierung

SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil kündigte an: „Bei Zurückweisungen werden wir alles, was rechtlich möglich ist, ausreizen.“ An der Grenze Zurückgewiesene haben jetzt keine Möglichkeit mehr, diese weitreichende ad hoc Entscheidung vor Ort unabhängig überprüfen zu lassen. Zugang zu Rechtsberatung ist nicht gewährleistet.

Zurückgeschobene werden ins slowenische Anhaltelager Postojna gebracht. Sie müssen dann in Slowenien um Asyl ansuchen oder werden nach Kroatien abgeschoben. Die Zukunft der Menschen in kroatischen Lagern ist ungewiss, denn auch Abschiebungen in die Türkei stehen im Raum. „Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen“, hat Außenminister Kurz angekündigt und dafür gesorgt, dass sich seine Prophezeiung erfüllt.

Ex-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Außenminister Sebastian Kurz (beide ÖVP) luden am 24. Februar die Außen- und Innenminister der Balkan-Staaten nach Wien ein und beschlossen die Fluchtwege an Land dicht zu machen. Griechenland, stark betroffen von der hier beschlossenen Schließung der Balkan-Route, wurde von dem Treffen nicht einmal verständigt. Mit der Schließung der Landroute werden Flüchtlinge auf die oft tödliche Fluchtroute auf das Meer gezwungen. 2016 ist laut Flüchtlingshochkommissariat UNHCR das bisher tödlichste Jahr. Bis Ende Mai sind mindestens 2.499 Menschen ertrunken.

Asyl in Not: „Wir werden die Notstandsgesetze zu Fall bringen“

Die österreichische Regierung trägt die Hauptverantwortung in Europa für diese Toten. Am 27. April verabschiedete das Parlament die umstrittene Gesetzesnovelle, welche die Regierung ermächtigt, per Notverordnung eine Obergrenze von 37.500 Flüchtlingen pro Jahr durchzusetzen. Asylanträge können dann ganz offiziell per Eilverfahren abgelehnt werden. Wer die Attraktivität Österreichs für Flüchtlinge senken will, nimmt schon ein paar tausend Tote in Kauf.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.