Working Class Heroes auf der Viennale

Eine bodenständige und glaubhafte Darstellung US-amerikanischer Arbeiter_innenklasse bietet der diesjährige Eröffnungsfilm der Viennale, das Independent-Kunstwerk „Manchester by the Sea“. Ein wohltuender Kontrast zu vielen Werken der letzten Zeit, die sich in der Kälte des Bildungs- bzw. Kleinbürgertums bewegen.
25. Oktober 2016 |

„Manchester by the Sea“ wird in verschiedenen Kategorien als Oscar-Anwärter gehandelt und hatte seine gefeierte Premiere auf dem legendären Indiey-Festival „Sundance“. Unter anderem könnte auf Hauptdarsteller Casey Affleck der Preis für den besten Schauspieler warten. Er verleiht der Rolle des hart arbeitenden, einsamen Lee Chandler, der praktisch nicht spricht und der als Hausbesorger verstopfte Toiletten reinigt und Wände streicht, unerwartete emotionale Tiefe. Das Drama beginnt sich für Lee zu entfalten, als sein Bruder an einem Herzinfarkt stirbt und Lee Vormund seines 15-jährigen Neffen Patrick (Lucas Hedges) wird. Er kehrt in seine Heimatstadt Manchester by the Sea im Bundesstaat Massachusetts zurück und wird dort mit einer engstirnigen Kleinstadt-Community und der dunklen Vergangenheit seiner Familie konfrontiert.

Isoliert, zornig und jeder Zeit zu wütenden Ausbrüchen fähig, strahlt der schweigsame Working Class Hero eine unglaubliche Traurigkeit aus. Je weiter der Film fortschreitet, desto mehr wird die großartige Erzählkunst von Regisseur und Drehbuchautor Kenneth Lonergan sichtbar. Rückblenden, die fast nicht als solche zu erkennen sind, liefern immer neue Aspekte der Vergangenheit, so wie sich für die Protagonisten Gegenwart und Vergangenheit vermischen. Die klirrende Kälte an der Küste von Massachusetts, der nachvollziehbare Kampf um das Wenige, das sie haben, treiben Lee und den 15-jährigen Patrick durch eine Story, die zur Abwechslung nicht vorhersehbar ist. Ein Film, bei dem es sich lohnt, sich auf ihn einzulassen.

Eine Stadt wie eine ganze Welt

Kairo, zwei Jahre vor der Revolution. Noch regiert der Diktator Hosni Mubarak. Der junge Filmemacher Khalid (gespielt von Regisseur Tamer El Said) arbeitet an einem Filmportrait über diese unglaubliche Stadt. Symptomatisch für seine Generation hat Khalid im Film „Akher ayam el Madina“/„In the Last Days of the City“ nicht nur Probleme mit seiner Beziehung, sondern ihm droht auch der baldige Rausschmiss aus seiner Unterkunft. Kairo in all seiner Schönheit und Melancholie, in seinen Lichtern und seiner Armut breitet sich vor Khalid aus, als er gemeinsam mit seinem Cutter die endlosen Stunden an Material, die er gedreht hat, sichtet.

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Durch das „Film im Film“-Konzept verschwimmen Fiktion und Realität zu einem sehr poetischen Werk. Dem Publikum eröffnet sich ein Kaleidoskop von Eindrücken, während Khalid verzweifelt darum kämpft, irgendeine Art von Konzept, von Chronologie in seinen Film zu bekommen. Er scheitert immer wieder, scheitert einfach an der Vielfältigkeit der Stadt. Für uns hier aber bietet „In the Last Days of the City“ eine einzigartige und faszinierende Möglichkeit tief hinter die Kulissen einer Stadt zu blicken, die im Zentrum der politischen Entwicklung im ganzen arabischen Raum stand und steht.

Eine Retrospektive, liebevoll zusammengestellt vom Filmarchiv Austria, widmet sich dem jüdischen Regisseur Robert Land.

Vertriebenes Talent

Robert Land musste 1933 vor den Nazis aus Österreich in die damalige Tschechoslowakei flüchten, nachdem er das Publikum mit 28 hochklassigen Spielfilmen beglückt hatte. Unter anderem dokumentieren seine Filme wie etwa „Der Fluch“ (1924) das Leben in den jüdischen Gemeinden Osteuropas. Seine Filme waren rauschende Publikumserfolge, so kamen 20 seiner Werke zwischen 1926 und 1933 in die deutschen Kinos.

Die Retrospektive umfasst 13 Filme, darunter fünf Stummfilme, die mit zeitgenössischer elektronischer Musik live vertont werden.

Charakterdarsteller

Niemand spricht wie er, bewegt sich wie er, kann beängstigend sein wie er: Christopher Walken. Bekannt geworden ist er mit seiner Rolle in „The Deer Hunter“, dem besten Vietnam-Film aller Zeiten, der den zerstörerischen Impact des Krieges auf die amerikanische Arbeiter_innenklasse zeigt.

Frischere Erinnerungen wecken wohl Titel wie „Pulp Fiction“ oder „True Romance“. Die Viennale zeigt in einem Tribute u.a. „The Deer Hunter“, „Catch me if you can“ aber auch Walkens legendären Auftritt im Musikvideo von Fatboy Slim.

Der Regisseur des Grauens

Neben Regie-Legenden wie Terence Davies und Abel Ferrara wird auch ein Held des trashigen Horrorfilms nach Wien kommen: John Carpenter (Halloween, Das Ding aus einer anderen Welt, Dark Star). Ihm ist eine Gala-Vorstellung seines Films „They live“ am 2. November gewidmet, bei der er persönlich anwesend sein wird. Zusätzliches wird es am 3. November in der Stadthalle auch ein Konzert mit seiner selbst komponierten Filmmusik geben.

Filmtipps der Viennale

  • Eshtebak: Ägyptische Aktivisten aller politischen Strömungen kommen 2011 in einem Arrestwagen zusammen. 25.10., 21.00 Uhr, Stadtkino 28.10, 11.00 Uhr, Stadtkino
  • I, Daniel Blake: Ken Loachs Anklage gegen den Sozialabbau in Großbritannien. 28.10., 18.30 Uhr, Gartenbaukino 01.11., 12.30 Uhr, Gartenbaukino
  • Angst essen Seele auf (1974): Der legendäre Fassbinder-Film gegen „Ausländerfeindlichkeit“ 24.11., 20.30 Uhr, Filmmuseum, 23.10., 18.30 Uhr, Filmmuseum
  • Eldorado XXI: Leben und Streiken im peruanischen Minenrevier La Rinconda In Anwesenheit der Regisseurin Salomé Lamas 31.10., 16.00 Uhr, Metro Kino 01.11., 11.00 Uhr, Metro Kino
  • Rebel Citicen: Doku über den Filmemacher und Polit-Aktivisten Haskell Wexler 02.11., 20.30 Uhr, Metro Kino
  • Sonita: Afghanische Rapperin im iranischen Exil. 28.10, 23.00 Uhr, Urania (OmeU)
Hier findest du das gesamte Filmprogramm der Viennale.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.