„Schlepper haben mir ge­holfen, nach Europa zu kommen“

Eine afghanische Frau erzählt die Geschichte ihrer beschwerlichen Flucht nach Europa. Sie musste tagelang marschieren und viele Stunden in LKWs verbringen, um nach Europa zu kommen.
3. September 2015 |

Kann sich jemand vorstellen, was es für mich als Frau bedeutet, die Schwierigkeiten zu sehen, zu durchleben, die eine Flucht nach Europa mit sich bringt?

Als ich Afghanistan verlassen habe, um an einem sichereren Ort ein Leben als menschliches Wesen zu führen und um sicher zu sein vor den Gefahren in meiner Heimat, wurde ich nicht nur von einem Fluchthelfer transportiert – ich war in den Händen von 21 „Schleppern“. Jeder davon mit eigenem Benehmen, Verhalten und Methoden und jeder mit einer anderen Sprache. Der Erste erzählte uns, er werde uns auf dem Luftweg und über Straßen nach Europa bringen. Später mussten wir feststellen, dass er gelogen hatte und wir die gesamte Strecke auf dem Landweg zurücklegen mussten. Das war überhaupt nicht sicher, aber in unserem Land war unser Leben in Gefahr und so hatten wir keine andere Wahl.

Wir waren zu Fuß unterwegs, mit dem Auto, im Lastwagen, immer nachts, über Straßen, durch Urwälder und Wüsten. Immer wieder wurde mir gesagt, dass ich als Frau die Strapazen so einer Reise nicht aushalten könnte. Ich erinnere mich, dass wir einmal Rast in einem Wald gemacht haben. Als ich die Schuhe auszog, waren meine Füße blutig. Ich versuchte, tapfer zu sein, zog die Schuhe wieder an, sagte kein Wort und marschierte weiter. Die Schmuggler sagten uns nie etwas über die Routen oder ihre Pläne. Sie warteten immer auf den besten Moment, um uns von einem Ort zum anderen zu bringen. Ich erinnere mich an eine Situation, als der Fahrer eines schon völlig überfüllten Wagens am Handy nach noch mehr Insassen fragte. Für die dreistündige Fahrt gaben uns die Schmuggler je eine Flasche Wasser.

Diese Leute haben mir wirklich geholfen, nach Europa zu kommen. Aber um ehrlich zu sein, die Schmuggler hätten uns niemals die Wahrheit gesagt, denn sie müssen immer befürchten, dass die Flüchtlinge vor irgendeiner Polizei aussagen und Methoden und Fluchtrouten verraten könnten.

Ich kann mich nicht erinnern, welche Grenzen ich überquert habe. Das einzige, woran ich erkennen konnte, dass eine Grenze oder ein gefährlicher Punkt erreicht war, war dass wir dem nächsten Schmuggler übergeben wurden und wir durchgezählt wurden.

Die Schmuggler haben uns immer unter Zwang davon abgehalten, laut zu sprechen oder Mobiltelefone zu benutzen. Obwohl die meisten gar keine Telefone besaßen, wurden wir durchsucht und alle Handys wurden eingesammelt, so dass wir niemandem mitteilen konnten, wo wir waren oder irgendwelche Informationen weitergeben konnten. Auf Fußmärschen wurden wir immer gedrängt schneller zu gehen. Natürlich durften wir auch keine größeren Taschen bei uns tragen.

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Ich erinnere mich, dass einige der Schmuggler uns mit Nahrung und Wasser versorgt haben, damit wir Kraft hatten, um weiterzugehen und den nächsten Übergabepunkt zu erreichen. Andere haben uns nur angetrieben und zum leise sein angehalten. Es ist immer wieder passiert, dass wir nachts geweckt wurden und uns in wenigen Minuten abreisebereit machen mussten. Manchmal war es falscher Alarm, die Schmuggler entschuldigten sich und wir konnten uns wieder hinlegen.

Die Gedanken an unsere Flucht quälen mich jeden Tag und ich kann über einige Erlebnisse überhaupt nicht mehr nachdenken. Die meisten Erinnerungen an diese Vergangenheit habe ich vergessen.

Palwasha Khan

(Name auf Wunsch der Autorin geändert)

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.
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