„Wir können in Österreich noch viel mehr Menschen aufnehmen“

Leonie Lasselsberger und ihre Mutter Monika haben zwei somalische Flüchtlinge bei sich zu Hause aufgenommen. Im Gespräch mit der "Neuen Linkswende" berichtet sie von ihren Erfahrungen und spricht über die aktuelle Flüchtlingspolitik.
26. Mai 2015 |

Neue Linkswende: Wie ist es dazu gekommen, dass ihr Flüchtlinge aufgenommen habt?

Leonie: Vor ungefähr einem Jahr, als sich die Flüchtlingsthematik mit dem Syrienkrieg verschärft hat, hat meine Mama gesagt: Da müssen wir was unternehmen und können nicht einfach nur zuschauen. Wir wohnen zu zweit in einem Reihenhaus in Scheibbs, Niederösterreich, und haben eigentlich genug Platz. Ein Mitglied im Verein “Willkommen in Österreich”, bei dem ich seit seiner Gründung dabei bin, arbeitet bei der Diakonie. Über sie haben wir von den zwei somalischen Frauen erfahren, die eine Unterkunft suchen – und dann haben wir die Initiative ergriffen und Ayan und Dekho bei uns zu Hause aufgenommen.

Wie haben die Nachbarn und euer Umfeld reagiert?

Ja, das war am Anfang schon ziemlich lustig. Ich glaub, dass ein paar am Anfang überrascht waren, was wir da schon wieder machen. Es ist bei uns nicht alltäglich, dass zwei Mädels mit ihren somalischen Gewändern herumspazieren. Aber die Leute haben sich mittlerweile daran gewöhnt. Das Nachbarspaar gegenüber kümmert sich auch um die Beiden. Einmal haben sie Erste Hilfe geleistet, als Dekho einen dissoziativen Krampfanfall hatte aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung – das ist sehr häufig bei Flüchtlingen.

Auch unsere Freunde helfen mit. Wir bekommen immer wieder kleine Spenden, um den Deutschkurs und andere Sachen, für die sie einfach kein Geld haben, zu finanzieren.

Ich glaube, das ist der Vorteil, wenn das im kleinen Rahmen passiert, weil die Leute einfach offener und neugieriger werden: Von wo und warum sind sie geflüchtet? Man setzt sich mit deren Geschichte auseinander, mit den Ländern aus denen sie geflohen sind, die schlimmen Zustände die dort im Bürgerkrieg herrschen. Sachen, die man bei uns in den Medien eigentlich überhaupt nicht hört.

Wie funktioniert das Zusammenleben?

Es funktioniert voll gut, auch wenn es oft schwierig ist – kulturell und auch sprachlich. Wir lernen halt grad gemeinsam Deutsch, was sehr mühsam ist für sie. Wir haben eine Deutschlehrerin engagiert, die dreimal die Woche kommt. Wir leben gemeinsam in einem Haushalt – so wie eine Familie. Wir kaufen gemeinsam ein, wir kochen gemeinsam. Oder die Mädels kochen somalische Speisen. Und wir lernen viel voneinander.

Vor welchen Herausforderungen steht ihr?

Bei Ayan gibt es das Problem, dass sie über Kroatien eingereist ist. Aufgrund des Dublin-III-Abkommens soll sie eigentlich seit Oktober dorthin abgeschoben werden. Wir haben echt schon alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit sie bleiben kann. Sie ist jetzt schon fast ein Jahr hier, aber es ist überhaupt nicht sicher, ob sie in Österreich bleiben kann.

Besteht die akute Gefahr einer Abschiebung?

Im Jänner ist die Polizei gekommen, um Ayan mitzunehmen. Zum Glück war zu diesem Zeitpunkt niemand zuhause. Die Mama war grad mit ihr unterwegs. Die Polizei hat meine Mama angerufen, sie muss sofort die Ayan in die Schubhaft bringen. Woraufhin meine Mama gesagt hat: Nein, sicher nicht!

Die Polizei hat dann meine Mama angezeigt und wir haben Strafe zahlen müssen – 500 Euro. Bei Ayan ist also noch alles offen. Diese Ungewissheit ist das Schlimmste für die Zwei. Sie hält das nicht mehr aus. Jeder Tag, den sie länger bei uns ist, macht es natürlich schwieriger wieder zu gehen. Sie fühlt sich voll wohl bei uns. Wir sind eine Familie. Aber ich hoffe, dass alles gut ausgeht.

Die Politik reagiert auf die wachsende Zahl an Asylanträgen mit Zeltstädten und Reaktivierung von alten Schubhaftgefängnissen. Was hältst du von dieser Politik?

Ich halte so Massenunterkünfte für das denkbar Schlechteste. Privat wo unterzukommen ist viel besser. Man wird in die Gemeinschaft integriert und man hat die Möglichkeit voneinander zu lernen. Es gibt genügend Räumlichkeiten, die frei sind und nicht genutzt werden. Die könnte man Flüchtlingen zur Verfügung stellen. In Scheibbs gibt es mit uns schon drei Familien, die Flüchtlinge privat aufgenommen haben. Es wird echt immer mehr – das ist toll!

Was hältst du von der aktuellen Flüchtlingspolitik?

Das Dublin-Abkommen gehört abgeschafft! Das ist einfach so unmenschlich! Jeder Mensch sollte sich frei bewegen können.

„95 Prozent der Schlepper sind Schutzengel“

„95 Prozent der Schlepper sind Schutzengel“

Es gehört mal eine grundlegende Veränderung her; dass die Grenzen nicht noch mehr geschlossen werden. Vor allem in Österreich könnten wir noch viel mehr Menschen aufnehmen und helfen und nicht alle nur abschieben. Auf politischer Ebene könnte man viel, viel mehr machen. Aber es kann auch jede und jeder selbst anfangen und helfen und nicht nur immer alles auf die Politik abschieben.

Leonie Lasselsberger ist aus Scheibbs in Niederösterreich, studierte Kultur- und Sozialantropologie in Wien und hat sich für den Master „Soziale Arbeit“ beworben. Das Interview führte Judith Litschauer.
Infos & Spenden an den Verein Willkommen in Österreich: willkommen-in-oesterreich.at. IBAN: AT35 2025 7000 0001 9174. BIC: SPSBAT21XXX
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.