Pentateuch oder Die fünf Bücher Isaaks
Der Kunde eines Schneiders im polnischen Kolodez fragt ihn, beim Begutachten seiner Ware: „Herrlich! Ich versteh nur nicht, warum du für eine gewöhnliche Uniform einen Monat gebraucht hast, wo doch euer Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen hat!“ Dieser antwortet: „Danach schaut sie auch aus! Und jetzt sieh dir mal diese herrliche Uniform an!“
„Ihr Marxisten schafft es auf großartige Weise Prognosen anzuführen, nur um dann auf noch großartigere Weise zu erklären, warum eure Prognosen nicht eingetreten sind.“
Mit dieser Schnurre über die Schleißigkeit Gottes beim Erschaffen der Welt, leitet Wagenstein die Erzählung ein und legt damit den Grundstein für eine unglücksame Verkettung grausamer Zufälle. Wagenstein, der selbst als Partisan im antifaschistischen Widerstand kämpfte und dem verhängten Todesurteil nur knapp durch den Vorstoß der Roten Armee entglitt, bohrt in seinem Schreiben tief in die Geschichte des europäischen Judentums und verknüpft sie mit dem Pentateuch, dem Urtext des Judentums. Seine Bilanz: „Wenn ich jedoch bedenke, was mit den Juden im endlosen Lauf der Zeit geschehen ist, und meine bescheidene Rechnung plus Mehrwertsteuer hinzufüge, könnte ich ausrufen: Ich danke dir Gott für diese hohe Ehre, aber konntest du dir nicht ein anderes Volk auserwählen?“
Wenn Gott Fenster hätte, hätte man ihm schon längst die Scheiben eingeschlagen!
So geht es auch dem Protagonisten, Isaak Jakob Blumenfeld, dem Sohn des polnischen Schneiders, der sich für Politik herzlich wenig interessiert, aber leidvoll am eigenen Leib erfahren muss, dass sich die Politik anscheinend für ihn interessiert. Mit gerade einmal achtzehn Jahren wird er, als verträumter und tollpatschiger Jüngling in die Österreichisch-Ungarische Armee gesandt, um für einige Zeit unter strenger militärischer Aufsicht am Exerzierplatz auf- und abzumarschieren. Hier schon, in der kaiserlichen Kaserne macht er sich den Feldwebel und künftigen SS-Offizier, genannt „Zuckerl“ zum Feind, weil Isaak das Ende des Krieges mit einem unangemessen breiten Lächeln verkündet und dann noch die Dreistigkeit hat, kein kommunistisches Flugblatt – noch nicht einmal ein Bild Lenins oder Trotzkis – bei sich zu tragen, für das man ihn hätte bestrafen können. Ohne also die Front je gesehen zu haben, kehrt er, als Pole, in das Dorf heim: „Man könnte sagen, daß mein Vater Jakob Blumenfeld die Nadel auf der einen Seite des Kaftans als Österreich-Ungar hineingesteckt und den Faden auf der anderen Seite als Pole herausgezogen hat.“ In ähnlich wahlloser Manier wird Isaak von nun an von einer Misere in die nächste gespült, wird verwechselt, inhaftiert, mal von den Deutschen, mal von den Russen, in jedem Fall als Kriegsverbrecher. Als Leser kommt man schnell zu dem Schluss, dass sein Lebensschicksal anscheinend herzlich wenig mit ihm zu tun hat. Der Krieg, bäumt sich selbstentlarvend zu immer grausameren Irrationalitäten auf. So verliert Isaak die Liebe seines Lebens, weil sie im falschen Moment auf Kur ist und entgeht dem Tod selbst nur knapp, weil er im falschen Moment aufsteht. Die einzige Konstante ist der philosophische Rabbiner und Isaaks Schwiegervater Schmuel Bendavid, mit dem sich seine Wege ein aufs andere Mal kreuzen. Die letzte Begegnung findet in einem Zwangsarbeitslager in Sibirien statt: „Den nächsten Satz werden andere schreiben, aber sie haben nicht das Recht unsere Irrtümer zu wiederholen.“