Griechisches Gesundheitssystem vor Kollaps: EU-Sparpolitik tötet Menschen

Die absurden Forderungen der Troika haben katastrophale Auswirkungen auf Griechenlands Gesundheitssektor. Viele Menschen haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, doch wo der Staat versagt, hilft sich die Bevölkerung selbst.
6. Juli 2015 |

Die Hälfte der Ärzt_innen und der Pflegekräfte in Griechenland wurde gekündigt. Rund ein Viertel der Menschen verloren durch ihre Entlassung nicht nur ihren Job, sondern auch ihre Krankenversicherung. Selbst jene, die noch auf Löhne und Renten zurückgreifen können, bekommen so wenig, dass sie sich bestimmte Medikamente und Behandlungen nicht leisten können.

Wer glaubt, die Griech_innen würden auf ihrer faulen Haut liegen, so wie es oft von Regierungspolitikern und Medien kolportiert wird, hat sich getäuscht. Mittlerweile gibt es 50 selbst verwaltete Kliniken und Ambulatorien, in denen alle Ärzt_innen und das Pflegepersonal ehrenamtlich ihre medizinische Hilfe anbieten.

Solidarität aus dem Inland

Giorgis Vichas, ein griechischer Arzt und Herzspezialist, der neben seinem regulären Job noch eine sogenannte „Poliklinik“ betreibt, erzählt in einem Interview mit dem Tagesspiegel, wie stark die Kürzungen im Gesundheitssektor die Behandlung von Krankheiten beeinträchtigen. Hart sei es vor allem für Diabetiker, die ihre Diät nicht halten können, kein Insulin bekommen und denen deshalb Folgeschäden wie Blindheit oder Amputation drohe.  Vichas klagt: „Diese Sparmaßnahmen werden die griechische Volkswirtschaft am Ende mehr kosten, als sie der Staatskasse insgesamt einbringen. Allein was bei den Diabetikern in den drei Jahren nach 2010 gespart wurde, wird künftig 200 Millionen Euro an zusätzlichen Kosten verursachen.“

„Die Ärzte versuchen ihr Möglichstes, die Menschen so gut es geht zu versorgen.“

(Betriebsrat Markus Simböck)

Die „Klinik der Solidarität“, welche im Herbst 2011 im nordgriechischen Thessaloniki gegründet wurde, ist ein weiteres Selbsthilfeprojekt. Die Gesundheitsambulanz wird von ehrenamtlichen Ärzt_innen und Pflegepersonal selbst verwaltet und versorgt täglich bis zu hundert Menschen ohne Krankenversicherung mit ärztlicher Behandlung, Schutzimpfungen und Medikamenten. Sie versteht sich, so ein Statement auf ihrer Homepage, als politisches Projekt und setzt sich neben der konkreten Arbeit in der Ambulanz auch aktiv gegen Gesundheits- und Sozialabbau, Rechtsextremismus und Rassismus ein.

Solidarität aus dem Ausland

Markus Simböck, Betriebsrat im Krankenhaus St. Josef in Braunau, hat gemeinsam mit anderen Freiwilligen im Mai 2014 wertvolle Sachspenden nach Thessaloniki gebracht: „Wir konnten 40 Tonnen an Babynahrung und gute 3 Tonnen an elektronischen Geräten, wie beispielsweise ein Ultraschallgerät, beschaffen. Den Hauptteil transportierten wir mit dem Bus, der Rest kam mit der Bahn.“

Die Ambulanz wurde in einem leer stehenden Bürogebäude untergebracht und wird von dem griechischen Gewerkschaftsdachverband GSEE zur Verfügung gestellt. Auf 200 Quadratmetern wird Kranken ärztliche Beratung, aber nur teilweise eine Behandlung angeboten. Simböck erzählt: „Die Ärzte versuchen ihr Möglichstes, die Menschen so gut es geht zu versorgen. Meistens können sie aber nur mit ihrem Wissen weiterhelfen, für eine Therapie fehlen oft das technische Zubehör oder die notwendige Finanzierung. Insbesondere Krebskranke müssen darunter leiden.“

Spenden und kämpfen

Ein Jahr später nach der Gründung der Klinik der Solidarität entstand in Österreich eine Solidaritätskampagne von Weltumspannend arbeiten, dem entwicklungspolitischen Verein des ÖGB, die diese Klinik finanziell unterstützt. Zahlreiche Spendenkampagnen haben sich bereits in Solidarität mit Griechenland gegründet. Jedoch muss man die Sinnhaftigkeit von Spendenaktionen auch hinterfragen. Sicher ist, vielen Menschen wird damit geholfen, wenn sie sich durch Spenden Medikamente oder eventuell sogar eine Behandlung leisten können – allerdings ist das am Ende nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

„Die Menschen haben Nein zur Austerität gesagt – aber das ist erst der Anfang“

„Die Menschen haben Nein zur Austerität gesagt – aber das ist erst der Anfang“

Sotiris Kontogiannis, Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei (SEK) in Griechenland, meinte auf dem antikapitalisitischen Kongress „Marx is Muss“ in Wien, dass die beste Unterstützung für die Griech_innen wäre, sie in ihrem Kampf gegen die Austerität der Troika zu bestärken und die eigenen Regierungen zu bekämpfen. Denn was hilft das Spenden, wenn dadurch die Wurzel des Übels, die neoliberale Sparpolitik, eingebettet in einem grausamen kapitalistischen System, unberührt bleibt? Man muss die Menschen, sowohl in Griechenland als auch im restlichen Europa dazu bringen, ihre Ressourcen in einen revolutionären Kampf gegen die herrschende Klasse und ihr bestehendes System zu stecken.

Weitere Infos: klinik-der-solidaritaet.at
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.