Hambacher Forst: Kampf dem kapitalistischen System!

Bei den Protesten im nordrhein-westfälischen Hambacher Forst geht es um mehr als die Rettung einzelner Bäume. Der Konflikt ist zu einem Kristallisationspunkt für den Kampf um die gesellschaftlichen Verhältnisse geworden. Die Bewegung fordert einen sofortigen Ausstieg aus der Kohle und stellt damit das kapitalistische System in Frage, das seit jeher auf der Verbrennung fossiler Brennstoffe basiert.
1. Oktober 2018 |

Seit Mitte September räumt die Polizei im Auftrag des Energiekonzerns RWE die Besetzung des Hambacher Forsts. Dabei fährt sie gewaltiges Geschütz auf – mittels Wasserwerfern, Hebebühnen und Kränen werden die Baumhäuser der Besetzer_innen zerstört und Blockaden aufgelöst. 3.500 vermummte, mit Schlagstöcken und Tränengas bewaffnete Polizisten gingen am ersten Räumungstag auf 150 Umweltschützer_innen los.

Um die Profitinteressen der Kohleindustrie zu sichern, ist der deutsche Staat bereit, über Leichen zu gehen. Während Räumungen am 19. September stürzte der Journalist und Aktivist Steffen Meyn von einer Hängebrücke 20 Meter in die Tiefe und starb noch an Ort und Stelle. Der von der nordrhein-westfälischen Landesregierung angekündigte Räumungsstopp war schon kurze Zeit später vorbei – noch während der Gedenkveranstaltung für den Verstorbenen marschierte die Polizei in den Wald und nahm bald darauf die Räumungen wieder auf.

Breiter Widerstand

Vor sechs Jahren wurde der Hambacher Forst besetzt – oder besser das, was von dem hunderte Jahre alten und artenreichen Wald noch übrig war. Der Großteil des einst 5.500 Hektar großen Waldgebietes ist bereits dem Braunkohleabbau zum Opfer gefallen. An seiner Stelle klaffen jetzt riesige Kohlegruben, die sich mehrere hundert Meter tief in die Erde gefressen haben. Die letzten 500 Hektar des Forsts werden seit Jahren gegen weitere Rodungen verteidigt.

Auch in Wien zeigten sich am 30. September über 200 Menschen solidarisch mit den Aktivist_innen im Hambacher Forst. Foto: System Change, not Climate Change

 

Den Besetzer_innen hat sich über die Jahre eine große Bandbreite an Widerständigen angeschlossen. Das deutsche Anti-Kohle-Netzwerk Ende Gelände organisierte Massenaktionen zivilen Ungehorsams in den Tagebauen und an der Infrastruktur der Energie-Giganten RWE und Vattenfall. Lokale Bürger_inneninitiativen kämpfen gegen die Vernichtung ihrer Siedlungen und die Zerstörung des umliegenden Naturraums.

Evangelische Pfarrer_innen unterstützten Sitzblockaden im Wald. Hacker legten als Reaktion auf die aktuellen Räumungen die RWE-Internetseite für einen Tag lahm. Große NGOs wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) reichten Klagen gegen den Energiekonzern RWE ein und Greenpeace-Aktivist_innen besetzten die Staatskanzlei von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Die Gewerkschaft Verdi in Nordrhein-Westfalen forderte schon Anfang September von Laschet einen Rodungsstopp. Tausende Solidarische reisten wiederholt in den Forst, um sich an Protestmärschen zu beteiligen, auch wenn versucht wurde, sie durch das Streichen von Zugverbindungen daran zu hindern.

Die Anfänge der Kohlekraft

Die Nutzung von Kohle als Energieträger hat eine lange Geschichte – schon die Römer bauten im heutigen Großbritannien Steinkohle zur Energiegewinnung ab. Im deutschen Ruhrgebiet ist der Kohleabbau ab dem Mittelalter überliefert. Die intensive Förderung von Kohle begann jedoch erst im 16. Jahrhundert in England und trieb die Industrialisierung voran. Mittels Verfeuern von Steinkohle in Dampfmaschinen wurden die Maschinen der Textilfabriken und die Eisenbahn in Gang gesetzt.

Seit der Industrialisierung ist Wirtschaftswachstum an die Nutzung fossiler Brennstoffe gekoppelt. Der Umstieg von der zuvor genutzten Wasserkraft auf Kohleverbrennung ermöglichte es Unternehmen, Arbeiter_innen noch mehr auszubeuten. Sie waren nicht mehr an Gewässer gebunden und konnten die Fabriken vom Land in die Städte verlegen, wo ein konzentriertes Industrieproletariat entstand. Aufstände konnten durch das Umsiedeln der Betriebe leichter bekämpft werden. Für die Stadtbevölkerung und die Arbeiter_innen in den Fabriken bedeutete der Einsatz von Kohle starke Luftverschmutzung und gesundheitliche Probleme.

Etwas später breitete sich auch auf dem europäischen Kontinent der Kohleabbau aus. Deutschland wurde, neben Großbritannien und den USA, zu einem wichtigen Zentrum der Kohleproduktion und ist es bis heute. Es entwickelte sich eine große Schwerindustrie, die von Kohle abhängig war. Unter dem Nazi-Regime wurde die Kohleförderung forciert, da der Rohstoff für die Benzinherstellung und die Eisen- und Stahlproduktion eine kriegswichtige Ressource darstellte. Es verwundert daher nicht, dass auch die Europäische Union (EU) in der 1951 gegründeten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) ihren Ursprung hat.

Braunkohleland Deutschland

In Deutschland wird heute vor allem Braunkohle gefördert, die in großen Mengen vorhanden ist und über Tage abgebaut werden kann. Die Reserven in den drei großen Braunkohlerevieren in Nordrhein-Westfalen, der Lausitz und in Mitteldeutschland werden auf rund 40 Milliarden Tonnen geschätzt. Der Anteil von Kohlekraft macht in der deutschen Energieproduktion derzeit rund 40 Prozent aus, Braunkohle alleine deckt ein Viertel der Stromerzeugung.

Die Nutzung von Braunkohle zur Energiegewinnung lässt sich heute in keinster Weise mehr rechtfertigen. In Hinblick auf den weltweiten Ausstoß von Treibhausgasen ist Kohle der größte Klimakiller unter den Energiequellen. In Deutschland stammt ein Viertel der Kohlendioxidemissionen aus Braunkohlekraftwerken. Angesichts der dramatischen Folgen des Klimawandels, die bereits jetzt in Form von Hitzewellen, steigendem Meeresspiegel und der Ausbreitung von Krankheiten spürbar sind, ist das Festhalten an der Kohlekraft ein Verbrechen.

In den Tagebauen Deutschlands sind die größten Maschinen der Welt im Einsatz – Schaufelbagger von über 200 Meter Länge und 100 Meter Höhe. Unzählige Siedlungen, Ackerflächen und Wälder sind diesen Monstern schon zum Opfer gefallen. Die Schäden, die dabei entstehen werden noch viele Generationen belasten – ein gesenkter Grundwasserspiegel lässt Quellen und Flüsse versiegen, Wälder absterben und beeinträchtigt die Trinkwasserversorgung in der Umgebung. Braunkohle enthält natürlicherweise radioaktive Substanzen, die sich in Feinstaub anreichern und die Gesundheit gefährden. Doch Kohle ist nicht nur die schmutzigste Energiequelle, sie ist auch wirtschaftlich keineswegs mehr rentabel.

Eine sterbende Industrie

Hinter dem Kohleabbau stehen nicht allein die Interessen des Magnaten RWE. Jahrhundertelange Investitionen von Konzernen, Staaten und Banken in fossile Infrastruktur stehen auf dem Spiel. Allein zwischen 1990 und 2007 investierten die 28 EU-Länder insgesamt 200 Milliarden Euro an Subventionen für den Ausbau der Kohle-Infrastruktur, rechnet die Heinrich Böll Stiftung in ihrem Kohleatlas vor. Nur die Atomindustrie konnte mit 220 Milliarden Euro noch mehr absahnen. Internationale Banken förderten Kohleprojekte zwischen 2007 und 2013 mit 13,5 Milliarden US-Dollar, davon spendierte die Weltbank als größte Geldgeberin 6,5 Milliarden. Rund 90 Prozent dieser Mittel unterstützten den Neubau von Kohlekraftwerken. Diese Finanzspritzen kaschieren auch die Unwirtschaftlichkeit von Kohlekraft, insbesondere im Fall von Braunkohle.

Die rote Linie ist längst überschritten. Die Förderung von Braunkohle lässt sich durch nichts mehr rechtfertigen. Foto: Hambacher Forst Besetzung

 

Im Gegensatz zur kohlenstoffreicheren Steinkohle besteht Braunkohle zu mehr als die Hälfte aus Wasser und hat einen geringen Energiegehalt. Es ist daher drei Mal so viel Braunkohle wie Steinkohle notwendig, um dieselbe Menge Energie zu gewinnen. Aufgrund des geringen Wirkungsgrads von Kohlekraftwerken geht zudem ein Großteil der Energie in Form von Wärme verloren. Der wachsende Sektor der Erneuerbaren Energien macht Fossilen zusätzlich Konkurrenz. Die Nachfrage an Kohle geht in den USA und Europa und sogar im weltgrößten Verbraucherland China zurück. Das schlägt sich im Weltmarktpreis für Kohle nieder, der 2017 so niedrig war wie zur Zeit der Weltwirtschaftskrise 2008. Geschenke an die Kohleindustrie, finanziert durch Steuergelder, sollen diese sterbende Industrie auffangen und erschwinglich machen.

Arbeitsplätze in der Kohlebranche haben keine Zukunft. Jedes Jahr fallen in der EU tausende Jobs weg: Waren 2008 noch 342.000 in der Kohleförderung beschäftigt, waren es 2013 nur noch 328.000. Im deutschen Braunkohletagebau sanken die Zahlen der direkt mit dem Abbau und der Verstromung von Kohle Beschäftigten von 130.000 im Jahr 1990 auf 21.000 heute.

Widerstandsbewegung von unten nötig

Trotz der extremen Unwirtschaftlichkeit und alarmierenden Warnungen aus der Klimawissenschaft nimmt die Förderung und Verstromung von Kohle zu. 2017 waren weltweit insgesamt 1.600 neue oder erweiterte Kohlekraftwerke in Planung. Die Regierungen sind bereit, den Zug über den Abgrund zu fahren, wenn es kurzfristig Profite bringt. Aufhalten kann sie nur eine radikale Widerstandsbewegung, die die kapitalistischen Verhältnisse über den Haufen wirft und die Kontrolle über die Produktion an sich reißt. Der Kampf für den Erhalt des Hambacher Forsts kann die Bewegung radikalisieren und diese Notwendigkeit sichtbar machen.