Israel: Das Management eines Genozids

In Gaza kommt die ganze Grausamkeit des modernen Kapitalismus und die Radikalisierung der westlichen Regierungen zutage. Auf den Ruinen der zerbombten Städte werden Konzentrationslager errichtet, Hunger und tägliche Massaker sollen die Menschen in die Lager treiben. Internationale Medien und Regierungen unterstützen Israel bei dem Genozid mit Logistik, Propaganda und Unterdrückung von Protesten. Aber Israel schafft es trotz all seiner Übermacht wieder nicht die Palästinenser:innen komplett zu vertreiben.
14. August 2025 |

Es ist zynisch, doch ein Genozid ist komplexer als das bloße massenhafte Ermorden von Menschen. Viel eher bedarf ein Genozid eines gigantischen logistischen Aufwands der Planung, Bewegung, Spaltung, Konzentrierung, Versorgung und Beseitigung von Menschenmassen. Gleichzeitig muss verhindert werden, dass die am Genozid beteiligten Truppen an der Realität der verübten Gräuel psychisch zerbrechen. Die israelische Strategie lässt vier zentrale Punkte identifizieren: 1. Die territoriale Zerteilung des Gaza-Streifens. 2. Die Aufspaltung der Palästinenser:innen. 3. Hunger als Mittel der Massenkontrolle. 4. Fortgesetzte Grausamkeit.

Genozidaler Staat

Wir sollten im Schrecken über das vor unseren Augen Stattfindende nicht vergessen, dass wir es mit einem lange angekündigten Genozid zu tun haben. Die israelische Politik ist nicht einfach als Rache für den 7. Oktober zu verstehen. Schon bei der Staatsgründung Israels war der Vernichtungswille zu sehen: Sie war von Mord und massenhafter Vertreibung der Palästinenser:innen gekennzeichnet. In der Nakba (arabisch für Katastrophe) wurden um die 750.000 Palästinenser:innen von ihrem Land vertrieben, und das ethnische Gleichgewicht zugunsten der jüdischen Bevölkerung verschoben. In den folgenden Kriegen besetzte Israel immer neue Gebiete samt ihrer arabischen Bevölkerung und damit radikalisierte sich der Zionismus konsequent nach rechts.
Der amerikanische Soziologe William I Robinson hat in einem lesenswerten Essay „Palestine and Global Crisis. Why Genocide? Why Now?“ darauf hingewiesen, dass bereits beim letzten Gaza-Krieg 2014 innerhalb des israelischen Establishments Stimmen für einen Genozid lauter wurden. In der Times of Israel wurde ein Artikel mit dem Titel „When Genocide is Permissible“ (Wann Genozid zulässig ist) veröffentlicht. Moshe Feiglin ein Mitglied der regierenden Likud-Partei forderte die Umsiedelung der Palästinenser:innen ins ägyptische Sinai und ein Anwalt der Regierung, Ayelet Shaked, erklärte: „Das gesamte palästinensische Volk ist der Feind, einschließlich seiner Alten und seiner Frauen, seiner Städte und seiner Dörfer, seines Eigentums und seiner Infrastruktur“. An diese und andere Wortmeldungen anknüpfend, argumentierte Robinson bereits 2014, ob sich die israelische Politik zu einem Genozid ausweiten würde, hängt von den innenpolitischen Entwicklungen, genauso wie der ideologischen Radikalisierung des Rassismus und der strukturellen Krise des Kapitalismus ab.

Logik der Lager

Der stattfindende Genozid ist auch nicht getrennt von der ideologischen und technologischen Entwicklung des „Westens“ zu verstehen. Rassismus tendiert neben seinen klassischen Funktionen der Spaltung der Arbeiter:innen und Unterdrückten sowie der Legitimation von besonders brutaler Ausbeutung (Billigjobs, Sklavenarbeit usw.) immer stärker auch zu einer Logik des Ausschlusses und, daran anknüpfend, Vernichtung. In Anbetracht der zu erwartenden Massenfluchten aufgrund des Klimawandels, sowie der fehlenden ökonomischen Verwertbarkeit der Fluchtbewegungen, zieht der Westen seine Grenzen hoch, errichtet Konzentrationslager an den Außengrenzen und verfolgt im globalen Süden eine Strategie des organisierten Sterbenlassens von Flüchtlingen. Von Trump bis zum größten Gefängnis der Welt in El Salvador – 40.000 Gefangene – überall setzten die demokratischen Staaten auf Herrschaft durch Zwang. Insofern könnte der italienische Philosoph Giorgio Agamben recht gehabt haben, als er das Konzentrationslager zum bestimmenden Prinzip der Moderne erklärte.

Zerteilung Gazas

Seit etwa über einem Jahr warnt der palästinensische Widerstand genauso wie solidarische Wissenschaftler:innen vor dem israelischen Plan, Gaza in mehrere Gefängniszonen aufzuteilen. Sichtbar wurde dieser Plan unter anderem daran, dass Israel mit Bulldozern Bauflächen in Gaza schuf, welche nun mit Mauern und Wachtürmen bebaut werden können. In der Region Rafah in Gaza wird soeben ein erstes Lager für bis zu 40.000 Palästinenser:innen errichtet. Die von Israel und den USA aufgebaute „N“GO „Gaza Humanitarian Foundation“ ist zentraler Bestandteil dieses Plans der Konzentrierung. Hunger soll die Palästinenser:innen in die Lager treiben, in denen wenigstens ein bisschen Essen zur Verfügung gestellt wird. Daniel Levy, wirklich kein Linker, sondern Präsident des „US Mittlerer Osten Friedensprojekts“ fasst zusammen: „Der Standort und die Art der GHF-Verteilungszentren, die Vertreibung und die Ankündigung einer sogenannten „humanitären Stadt“ als Zwischenstation für den Abzug aus Gaza sprechen für Israels längerfristige Absicht, Palästinenser:innen zu vertreiben.“ Schande über alle Linken und Liberalen, die im deutschsprachigen Diskurs die Gaza Humanitarian Foundation als irgendwie progressiv unterstützen.

Aufbau von Warlords

Das letzte Puzzle im israelischen Genozid-Management ist der Aufbau palästinensischer Warlords. Nachdem sich die Widerstandsorganisationen Hamas, Islamischer Dschihad, PFLP und DFLP noch immer in Gaza halten und die völlige Kontrolle Israels durch gelegentliche Militärangriffe untergraben, versucht Israel nun palästinensische Clans und Familien gegen den Widerstand zu organisieren. Yasser Abu Shabab ist der Anführer der sogenannten Popular Forces, welche von Israel bewaffnet und militärisch unterstützt werden. Nach außen stellen sie sich als Beschützer und Verteiler von Essenslieferungen an die Palästinenser:innen dar. In Wahrheit machen sie genau das, was Israel den Widerstandsorganisationen vorwirft. Verteilung von Hilfsgütern zum finanziellen Vorteil. Der palästinensische Journalist Mahmoud Mushtaha fasst in seinem Artikel: „How Israel is engineering Gaza’s social collapse“ zusammen: „Durch die Aufspaltung des Gebiets in rivalisierende Herrschaftsgebiete, die von machthungrigen Clans und kriminellen Banden kontrolliert werden, zerstört Israel die Möglichkeit eines gemeinsamen politischen Widerstands gegen seinen Völkermord.“
Aber Israel kommt mit seinen Plänen Gaza zu entvölkern nicht voran. Die Angst vor der eigenen Bevölkerung hindert die arabischen Regime daran mitzuspielen, und die Palästinenser:innen sind resilient wie seit jeher. Für uns, die wir im Zentrum des westlichen Imperialismus leben, bleibt nur die Aufgabe, alles zu tun, um die Solidaritätsbewegung mit Palästina auszuweiten und zu radikalisieren.