Éric Vuillard: 14. Juli
Das Volk begehrt auf, beherrscht über Wochen die Straßen von Paris, stürmt die Symbole für den Prunk der herrschenden Klasse, plündert Luxusläden. Truppen werden um die Stadt zusammengezogen, die einfachen Leute verteidigen sich, rüsten sich gegen die Repression. Man glaubt, man befinde sich inmitten des Aufstands der französischen Gelbwesten.
Éric Vuillard beschreibt in seinem Buch 14. Juli die Bewegung, die in den berühmten „Sturm auf die Bastille“ 1789 mündete. „Die Nacht des 14. war wohl die unruhigste, die glücklichste, aber auch die qualvollste, die eine Stadt je erlebt hat.“ Sein Roman, der wieder eine Geschichte von unten ist, wurde 2016 geschrieben, also vor dem fulminanten Ausbruch der Gelbwestenbewegung, und ist nun in gelungener deutscher Übersetzung erschienen.
„Der Wille des Volkes hat soeben die Bühne der Geschichte betreten“, feiert Vuillard die Menschen, die sich nicht länger unterdrücken lassen, „und so beginnt die Intifada der kleinen Händler, der Handwerker von Paris, der armen Kinder.“ Er lässt den Mut der Armen, die nichts mehr zu verlieren hatten, auferstehen, stellt ihn als Selbstverständlichkeit dar. Da ist der Wagenbauer Louis Tournay, der die Zugbrücke der Bastille zu Fall bringt. Da ist der kleine Weinhändler Cholat, der nicht mehr Weinfässer rollt, sondern Kanonen zur Belagerung der Festung heranschafft.
Es ist nicht die Geschichte der bekannten Gesichter der Revolution, wie von Camille Desmoulins. Im Gegenteil, Vuillard macht sich lustig über die Versuche der angeblichen Führer, die sich als Revolutionäre ausgeben: „Sobald ein Gemüt ins Gären kommt, wird es eingesperrt, sobald hundert oder tausende Gemüter ins Gären kommen, hetzt man ihnen die Gendarmen samt Gewehr auf den Hals, aber wenn zehntausende Gemüter auf einen Schlag ins Gären kommen, ja, dann schickt man eine Abordnung, knotet einen Rotzlappen an den stick und wedelt ein bisschen herum.“ Diejenigen, die später als die Führer der Revolution anerkannt wurden, waren schockiert von den Massen, die ihre Geschicke selbst in die Hand nahmen.
Vuillard gelingt es brillant in verallgemeinernden Passagen, die Dynamik von Revolutionen zu erfassen, die an die Beschreibung der Russischen Revolution von Leo Trotzki erinnert. Vuillard schreibt: „Ähnlich die Rebellion. Sie bricht aus, bringt die Welt zum Umsturz und verliert allmählich an Kraft, bis man sie verloren glaubt. Doch eines Tages erwacht sie aufs Neue. Ihre Geschichte ist unregelmäßig, springend, unterirdisch und stockend.“
Vuillard, selbst ein begeisterter Unterstützer der Gelbwesten, hat der Französischen Revolution mit 14. Juli ein kongeniales Monument gesetzt. Das Prädikat lesenswert wäre völlig untertrieben.