Ilija Trojanow: EisTau

Carl Hanser Verlag, 176 Seiten, 18,90 Euro.
28. Januar 2020 |

„I want you to panic!“ (Ich will, dass ihr in Panik geratet!), schleuderte Greta Thunberg den Mächtigen vor einem Jahr beim Weltwirtschaftsforum in Davos entgegen. Dieses Jahr stand sie wieder am Podium, erinnerte daran und verurteilte die Untätigkeit von Politik und Konzernen, denn alles was sie zu bieten haben, sind Beschwichtigungen und ein Lächeln für das „naive“ Mädchen – sie solle doch nicht so pessimistisch sein.

Beim Lesen von Ilija Trojanows Roman EisTau wandern die Gedanken unweigerlich zu Szenen wie dieser, er ist sozusagen das literarische Pendant. Dass der Roman schon 2011 erschienen ist, macht seine Botschaft umso erschreckender (2019 neu aufgelegt bei FISCHER Taschenbuch).

Der Protagonist, Zeno, sieht sich als Gletscherforscher vor vollendete Tatsachen gestellt: sein jahrzehntelanges Forschungsobjekt, ein Alpengletscher, verschwindet mehr und mehr, bis kaum noch etwas übrig ist. Mit dem Gletscher verschwindet auch Zenos Motivation, weiter als Universitätsprofessor zu arbeiten – was soll er mit den Studierenden noch erforschen? Vom Eis kann er sich jedoch nicht trennen und nimmt daher eine Stelle als Expeditionsleiter auf einem Kreuzfahrtschiff an, Ziel: Antarktis. An Bord ist er der launeverderbende Pessimist, „Lass doch mal gut sein!“, heißt es, wenn er auf die Zerstörung hinweist. Zeno verkörpert den verzweifelten Wissenschaftler, dessen Forschungen und Warnungen jahrelang in den Wind geschlagen werden.

Trojanow präsentiert mit ­EisTau eine Dystopie, die – anders als so oft in diesem Genre – sich genau jetzt abspielt. Eigentlich schon in der Vergangenheit. Trotz aller Verzweiflung ist es aber kein passives darin Versinken. Zenos Trauer schlägt schnell um in Wut. Eine Wut, die genau weiß, auf wen oder was sie sich richtet. Auf ein System der sinnlosen Zerstörung, dessen einziger Inhalt im Geld scheffeln zu stecken scheint. Egal zu welchem Preis.

In oft knappen, dafür umso zynischeren Sätzen erfasst Trojanow diesen Irrsinn mit einer faszinierenden Wortgewalt. Sätze, die in ihrer unbestechlichen Wahrheit das scheinbar unbeirrbare Fortschritts-Mantra unserer Zeit bloßstellen: „Wir haben die Vielfalt der Natur erfolgreich durch das Gitter unserer Einfalt gepresst.“

Die Gedanken drehen sich um die Schuld der Menschheit, die in ihrem Bestreben, die Natur zu beherrschen, vergessen hat, dass sie selbst Teil davon ist. Dennoch sitzt nicht die gesamte Menschheit im selben Boot. Einige sitzen auf Kreuzfahrtschiffen, und investieren in die ganz persönliche Zukunft – wie wärs mit einem anderen Planeten? „Misstraut den Überlebenden“, ein Satz, der viel zum Nachdenken in sich birgt.

Dieser Roman macht wütend. Er erzeugt die Art von Wut, die zugleich eine Aufforderung ist. „Etwas muss geschehen. Es ist höchste Zeit“, liest man, die vielen Stimmen der Klimaaktivist_innen in den Ohren.