Klimakatastrophen-Kapitalismus

Mit dem rapiden Voranschreiten der Klimakrise wird das 21. Jahrhundert zum Zeitalter des Überflusses für einige Wenige und des unerträglichen Leidens für die meisten. Extreme Wetterbedingungen machen weite Teile der Erde unbewohnbar, die Opfer sind überwiegend arme Leute und Arbeiter_innen, nicht aber die hauptverantwortlichen Kapitalisten, die sich in sichere Enklaven des Luxus verschanzen und aus Naturkatastrophen noch Profit schlagen. Klimasolidarität bedeutet Fluchtgerechtigkeit und ein starkes Bündnis zwischen Antirassismus- und Umweltbewegungen.
29. November 2021 |

Die gewaltvollen Auswirkungen der Klimaveränderungen sind sichtbar wie nie zuvor. Extreme Dürreperioden in Ländern wie der Türkei, Armenien und Iran, haben diesen Sommer Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben. Weltweit kam es zu Überflutungen und Waldbränden, von denen die schlimmsten in Sibirien auftraten. Diese waren mit 17,8 Millionen Hektor fast doppelt so groß wie Portugal und damit auch größer als weltweit alle anderen Brände vereint. Ohne eine radikale Verringerung des CO2 Ausstoß werden Naturkatastrophen in diesem Ausmaß die grausame Realität bleiben. Ein Forschungsteam des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse prognostizierte, dass Menschen, die im Jahr 2020 geboren sind, durchschnittlich doppelt so viele Waldbrände, drei Mal so viele Ernteausfälle und Überschwemmungen und sieben Mal so viele Hitzewellen erleben werden, wie Menschen, die im Jahr 1960 geboren sind.

Doch neben der Klimakrise ereignet sich noch eine zweite große Krise: Wir sehen nun das höchste Level an relativer und absoluter Ungleichheit in der Menschheitsgeschichte. Das reichste Ein-Prozent besitzt mehr als doppelt so viel als die unteren 50 Prozent zusammen. Der Ökosozialist Ian Angus bringt es auf den Punkt: „Das 21. Jahrhundert ist also gekennzeichnet durch rekordbrechende Ungleichheit, gemeinsam mit rekordbrechenden Klimaveränderungen. Die Linie verläuft nicht nur zwischen reich und arm, Komfort und Bedürftigkeit: es ist eine Linie zwischen Leben und Tod.“

Was ist an Katastrophen natürlich?

Was eine Krise ist und wie schlimm sie sich auswirkt, hängt immer von sozialen und politischen Umständen ab. 99% der Wetterkatastrophen ereignen sich in Ländern des globalen Südens, 75% der Betroffenen sind Frauen. Menschen-gemachte Katastrophen, wie vor allem die Klimakatastrophe treffen die am härtesten, die am wenigsten, bis nichts dazu beigetragen haben. Eine Statistik von Oxfam international zeigt: Die wohlhabendsten 10% allein sind in den Jahren von 1990-2015 für mehr Emissionen verantwortlich als die unteren 90% zusammen. Die tödlichen Wetterveränderungen sind das Resultat davon, dass im Kapitalismus die Profitgier einer reichen Elite über die Bedürfnisse aller andern gestellt wird.

Desaster-Kapitalismus

Besonders stark von Naturkatastrophen betroffen ist Haiti. Das Erdbeben vom 14. August dieses Jahres war das stärkste seit 1842 und schätzungsweise 650 000 Menschen waren dadurch auf humanitäre Soforthilfe angewiesen. Spätestens nach dem Erdbeben im Jänner 2010 ist jedoch klar: finanzielle Hilfe kommt nicht aus Selbstlosigkeit.

Was in Haiti passiert, passiert weltweit: Länder, die von Naturkatastrophen geschädigt sind, werden systematisch ausgeschlachtet

Als Port-au-Prince vollkommen verwüstet war, Millionen von Menschen obdachlos wurden und hungerten, Hunderttausende starben, nutzten Konzerne und imperiale Großmächte die Krise, um sich am Leiden zu bereichern. In abgekapselten Zonen wurden ausbeuterische Industrieparks errichtet. Sektoren, die Grundbedürfnisse erfüllen, wie Bildung und Wasser wurden dem Staat entzogen und zur Profitquelle von Privaten. Für die neoliberale Elite Haitis ging mit der Katastrophe ein Traum in Erfüllung. Pierre-Marie Boisson, Vorstand des Energiekonzerns E-Power, erklärte in einem Interview mit openDemocracy: „Das Erdbeben hat ein Trauma geschaffen, welches ausgebeutet werden kann.“ Und weiter: „Erdbeben sollten eine Möglichkeit darstellen, weil sie zerstören. Wo Erdbeben zerstören, müssen wir bauen.“

Als Port-au-Prince vollkommen verwüstet war, nutzten Konzerne und imperiale Großmächte die Krise, um sich am Leiden zu bereichern. Bild: United Nations Development Programme (flickr) | CC BY-NC-ND 2.0

Haiti ist ein Musterbeispiel dafür wie Schocks militärischer oder wirtschaftlicher Natur genutzt werden, um neoliberale Politik und Privatisierungen weiter voranzutreiben, eine Praxis, die Naomie Klein als Katastrophenkapitalismus beschreibt. Bereits in den 1990er und 2000er Jahren forcierten die internationalen Finanzinstitutionen (IFIs) und die USA Massenprivatisierungen von verstaatlichten Industriezweigen mit allen Mitteln. Die haitianische Regierungsarbeit wurde systematisch boykottiert: einerseits indirekt: indem über NGOs Einfluss auf die sozialpolitische Infrastruktur gewonnen wurde, andererseits durch Bestechung und Förderung von korrupten Politikern. 1998 wurden 70 Prozent aller Mehlmühlen in Staatsbesitz an zwei US-amerikanische Konzerne verkauft. Doch der konstante Widerstand aus der Bevölkerung verhinderte die vollständige wirtschaftliche Ausschlachtung Haitis. Erst nach dem Erdbeben in 2010 war die Opposition, die sich aus und Arbeiter_innenkollektiven und nationalistischen Politikern zusammensetzte quasi entmachtet und Haiti für die kreisenden Geier freigegeben.

Nach dem Schock wird privatisiert

Mit der CIRH, der Interim Haiti Recovery Commission, wurde ein Entscheidungsfindungsorgan installiert, dass die Mitsprache der haitianischen Bevölkerung aushebelt und so die Interessen der USA und ihrer wirtschaftlichen Komplizen einwandfrei durchsetzen konnte.
Binnen weniger Wochen waren die staatlichen Wirtschaftszweige fast ausnahmslos privatisiert. Alexandre Abrantes, Vertreter der Weltbank, beschreibt die Vorgehensweise folgendermaßen: „Wir haben uns quasi darauf geeinigt, dass wir die Sektoren unter uns aufteilen, je nachdem wo jeder von uns einen Marktvorteil hat und noch ein paar Sektoren hinzugefügt, die gut dazu passen.“ Die Inter-American Development Bank (IDB) riss sich Bildung und Wasser unter den Nagel, die Weltbank sackte Energie ein, die United Agency for International Development (Usaid) bekam die neu errichteten Industrieparks, in denen nach dem Sweatshopmodell zu Schleuderpreisen produziert wird.

Ausbeutung in der Steueroase

In diese Industriepark wurde, unter dem Vorwand Jobs zu kreieren und die Wirtschaft zu stärken, Millionen an Hilfsgeldern gepumpt. Tatsächlich aber sollte Haiti, nach dem dominikanischen Modell zu einer Art karibischen Exportparadies werden. Ausländische Unternehmen konnten sich hier ansiedeln und bekamen im Gegenzug das Land, die Kraftwerke und Fabrikhallen zur Verfügung gestellt, außerdem zollfreien Zugang zur USA und unvergleichbar billige Arbeitskräfte. Da dies immer noch nicht ausreichte, um ausländische Investoren anzulocken, wurden sogenannte Freiwirtschaftsgebiete verabschiedet (die in Wahrheit das gesamte Land umfassten) und vollständige Steuerbefreiungen für ausländische Konzerne darstellten.

Die gewaltvollen Auswirkungen der Klimaveränderungen sind sichtbar wie nie zuvor.

Die Unternehmen, die sich dort ansiedelten, sind skrupellos. Es existieren unzählige Berichte von Gewerkschaftsmitgliedern, angestellt etwa bei der koreanischen Firma Sae-A, in denen sie erzählen, dass sie bedroht, geschlagen und verhaftet wurden. Für die heimische Wirtschaft waren die Industrieparks ebenfalls fatal. Errichtet auf den Grundstücken vertriebener Bauern, teilweise sogar im Naturschutzgebiet, vernichteten sie die landwirtschaftliche Infrastruktur.

Keine Hilfe ohne Preis

Was in Haiti passiert, passiert weltweit: Länder, die von Naturkatastrophen geschädigt sind, werden systematisch ausgeschlachtet – im trojanischen Pferd der Nächstenliebe. Dort hingegen, wo die Krise nicht ökonomisch nutzbar gemacht werden kann, bleibt Hilfe oft aus.
Im Gegenteil zeigt etwa die Umwelt- und Flüchtlingspolitik der EU, dass man bereit ist unzählige Menschen sterben zu lassen, wenn das nötig ist, um die politische Dominanz der herrschenden Klasse und Anhäufung von Kapital in den Händen einiger weniger zu erhalten. Umweltaktivist Stan Goff beschreibt diese Haltung als Exterminismus.
Dieser „ist nicht immer, auch nicht in den meisten Fällen durch offensive Aktion gegen ganze Bevölkerungen gekennzeichnet, sondern äußert sich häufig in kalkulierter Vernachlässigung – deren Instrumente Armut, Krankheit, Unterernährung und „natürliche“ Katastrophen sind… und oft durch wirtschaftliche Isolation und Massenvertreibungen erleichtert werden.“

Climate Justice is Migrant Justice!

In Stop Global Warming. Change the World weist Jonathan Neale darauf hin, dass Klimaveränderungen zu Krieg, Hunger und Flucht führen werden und es in dessen Folge zu Veränderungen der wirtschaftlichen und geographischen Machtverhältnisse kommt. Regierungen nutzen das Militär, um diese Macht zurückzuerlangen. Eine 2003 vom Pentagon in Auftrag gegebene Studie, welche die Implikationen der Klimakrise für die Vereinigten Staaten thematisiert, zeigt deutlich mit welcher Haltung die westlichen Länder der Katastrophe begegnen: einer des Krieges. Die Autoren schreiben darin: „Die Vereinigten Staaten und Australien werden mit hoher Wahrscheinlichkeit Verteidigungsfestungen um ihre Länder errichten, denn sie haben die Ressourcen Selbstversorgung zu erreichen. Grenzen werden gestärkt um ungewollte, verhungernde Migranten draußen zu halten.“

Die Klimakrise ist rassistisch. Die Antwort muss Antirassismus sein!

Die Wahrheit ist: was die Klimakrise betrifft, sitzen wir nicht alle im selben Boot. Während Klimaflüchtlinge an den EU- Außengrenzen von Schlauchbooten gestoßen werden, reagieren die Machthaber auf diese Krise mit Aufrüstung, Internierung, Abschiebung und Tötung. Christian Parenti beschreibt das als die „Politik des bewaffneten Rettungsbootes“. Extreme Wetterereignisse sind der Hauptgrund für Abwanderungen, weit vor politischen Konflikten oder Gewalt.

Sozialist_innen weltweit müssen darum über Lösungen nachdenken, wie wir jetzt und in Zukunft die Sicherheit und Grundbedürfnisse von flüchtenden Menschen sicherstellen und repressiver Politik entgegenwirken können. Das heißt, alle nötigen Anstrengungen zu unternehmen, um Lebensraum zu erhalten und Atomkraftwerke und Giftwellen aus potenziellen Überflutungsgebieten abzuziehen. Vor allem aber heißt das Gefahrenzonen zu evakuieren und Ansiedlungen von Hundertmillionen mit den Betroffenen demokratisch zu planen.

Klimasolidarität ist Fluchtgerechtigkeit

Die Klimakrise ist rassistisch. Die Antwort muss Antirassismus sein. Die Vernichtung von Lebensraum durch Extremwetterbedingungen und Katastrophen hat jetzt schon immense soziale Auswirkungen und wird noch unzählige Menschen dazu zwingen ihren Wohnort zu verlassen. Für uns bedeutet das: Die Antirassismus- und Klimabewegungen müssen zusammen auftreten und handeln. Es gibt keine soziale Gerechtigkeit ohne Klimagerechtigkeit und umgekehrt. In diesem Kampf müssen wir gegen die Institutionen kämpfen, die als einzige Antworten auf die größte Krise der Menschengeschichte Privatisieren und Aufrüsten kennen.

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