Konsumkritik: Falsche Diagnose – Falsche Therapie!

Jeder Mensch, der sich im Kampf gegen die komplexe Umweltkrise engagiert, mit der wir heute konfrontiert sind, muss sich der Frage stellen, ob Konsumentscheidungen genug bewirken können oder ob wir unsere politische Energie auf die Überwindung von Kapitalismus konzentrieren müssen.
27. Juli 2021 |

Während die erste Strategie sehr populär ist und faktisch am Ende jeder Sendung oder jedes Artikels über Klimawandel zum Ausdruck gebracht wird, wird die zweitere komplett unterschlagen. Führende Politiker lieben es, den Konsumenten die Verantwortung für die Klimakatastrophe zuzuschanzen. So kommen sie ungeschoren davon, obwohl sie nichts für die Rettung des Klimas unternehmen, und sie müssen ihre Freunde, die großen Kapitalisten, nicht dazu zwingen, auf Profite zu verzichten. Die Botschaft klingt dann meistens halbwegs hoffnungsfroh: „Wir haben es selbst in der Hand. Die Macht des Konsumenten kann die Welt verändern.“

Umgekehrt hat noch niemand aus den Medien oder von der Politik gehört: „Ihr habt es selbst in der Hand, ihr müsst nur das System stürzen, das den Planeten zerstört.“ Aber genau das muss geschehen. Im Magazin Nature ist eine Studie erschienen, die zeigt, dass die fossile Industrie eingestellt werden muss, wenn wir die Erhöhung der globalen Temperatur auf unter 1,5° begrenzen wollen. Alleine die schon getätigten bzw. aktuell geplanten Investitionen in die Ausbeutung fossiler Ressourcen reichen aus um uns darüber hinaus zu katapultieren. Denn das Kapital will die Früchte seiner Investitionen ernten, also das Öl, Gas und die Kohle fördern und verbrennen, in das es investiert hat.

Konsumkritik bzw. der Fokus auf die Macht des Konsumenten tendiert dazu diese Zusammenhänge zu ignorieren und hat noch mehrere große Schwachpunkte:

Konzernchefs sind Verbrecher

Erstens ignoriert Konsumkritik den größten Widerspruch unserer Gesellschaft. Der besteht in der Spaltung unserer Gesellschaft in Klassen: die Klasse der Arbeiter_innen, die alle Werte mit ihrer Arbeit schafft und die der Kapitalisten, die sich den Löwenanteil dieser Werte aneignet und die neben der wirtschaftlichen Macht auch die Fäden der politischen Macht in Händen hält. Dabei ist zwar wichtig festzuhalten, dass das berühmte reichste 1 Prozent mehr konsumiert und mehr Umwelt zerstört als alle Nicht-Millionäre zusammen.

Das alleine greift aber zu kurz: der wichtigere Unterschied besteht in der politischen Macht der Kapitalisten. Irgendwo entlang des Aufstiegs zur sozialen Spitze wird Quantität zu Qualität, führen quantitative Einkommenszuwächse zu qualitativen Veränderungen. Die reichsten Kapitalisten werden zu den wahrhaft Mächtigen dieser Welt. Sie heben sich vollständig von der Masse ab und entscheiden, was und wie produziert wird, und sie nutzen dazu alle Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen. Schon 1965 hat der Präsident des American Petroleum Institute seinen Mitgliedern mitgeteilt, dass das von ihnen produzierte Kohlendioxid bis zum Jahr 2000 „deutliche Veränderungen im Klima“ verursachen könnte.

Die Schuldzuweisung an uns, als Konsumenten, ist eine bequeme Methode von der wirklichen Verantwortung für die existenzbedrohende Klimakrise abzulenken.

Und was war ihre Reaktion? Sie haben Milliarden darauf verwendet, die Öffentlichkeit über die bedrohliche Entwicklung zu belügen. Sie haben Wissenschafter bezahlt und Pseudo-Naturschutzorganisationen finanziert, die sehr effektiv die Stichhaltigkeit der Klimawissenschaft in Zweifel gezogen haben. Sie haben Politiker bestochen, damit sie verbindliche Beschlüsse von Regierungen und internationalen Abkommen torpedieren. Sie haben Geheimdienste und Polizei auf Umweltschützer losgelassen und sie haben dafür gesorgt, dass ihre Handvoll Pseudowissenschafter mindestens so häufig in Medien zitiert werden, wie das Gros der seriösen Klimawissenschafter und haben so über Jahrzehnte Zweifel gesät. Aber vor all diesen Verbrechen haben sie ihre Investitionen in die Förderung und Verwertung von fossilen Brennstoffen ins Unermessliche gesteigert. 1965 hat die Weltwirtschaft 11.269 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre gepumpt, 2019 waren es schon 36.441 Millionen Tonnen. 1965 war der CO2 Wert noch relativ unbedenkliche 320ppm, 2016 haben wir den für die Klimaerwärmung kritischen Wert von 400 ppm CO2 in der Atmosphäre dauerhaft überschritten.

Sie wussten was sie tun und sie haben die Weltöffentlichkeit hintergangen, um es tun zu können. Und das ist nur ein Beispiel dafür, wozu die herrschende Klasse im Kapitalismus imstande ist. Kein Wunder also, dass es einer der mächtigsten Ölkonzerne der Welt war, der die Idee und die Kampagne des ökologischen Fußabdrucks erschaffen und über die ganze Welt populär gemacht hat, wie wir in unserem Magazin auf Seite 14 beschreiben.

Unterschätzte Macht des Kapitals

Zweitens kann man die Konzerne nicht aushungern. Seriösen Klimaaktivist_innen sind die oben aufgezeigten Fakten vom Übergewicht der Konzerne bewusst. Dennoch setzen die meisten den Hebel zur Veränderung beim Konsum an. Sie stimmen uns insofern zu, als die Aktivitäten dieser Konzerne Umweltzerstörung, Artensterben und Klimawandel verantworten. Aber, so argumentieren sie, die Konzerne werden dazu erst befähigt, weil wir Konsumenten ihre Waren konsumieren, ihr Benzin verbrennen oder ihre Services in Anspruch nehmen. Haben also doch die Konsument_innen die Kontrolle darüber, was produziert wird?

Mitnichten – im Kapitalismus orientiert sich die Produktion nicht an den Bedürfnisse der Menschen, sondern an der Erwartung mit dem Produkt einen Gewinn zu erzielen. Sonst würden nicht immer neue Bürohäuser gebaut werden, obwohl Menschen obdachlos sind und der Wohnungsmangel die Mietpreise in die Höhe treibt. Amazon vernichtet wöchentlich wahrscheinlich mehr als eine Million Produkte. Allein in einem Lager in Schottland sollen es 130.000 pro Woche sein, weil der Lagerplatz für den Konzern „wertvoller“ ist als die Ware.

Würde tatsächlich ein signifikanter Teil der Bevölkerung auf den motorisierten Verkehr verzichten, dann fänden sie Mineralölkonzerne neue Kanäle ihr Produkt zu verwerten. Die Superreichen haben nicht nur ein enormes Übergewicht bei der Gestaltung der Märkte, sie nutzen ihre Macht um unsere Konsumgewohnheiten zu manipulieren. Das Kapital erzeugt über Werbung und ähnliche Methoden Nachfrage nach ihren Produkten, eine Methode, die der Ökonom John Kenneth Galbraith „Nachfragemanagement“ genannt hat. So sind wir heute von essentiellen Services ausgeschlossen, wenn wir keinen PC und kein Smartphone haben, können nicht in die Arbeit pendeln, wenn wir kein Auto haben, oder stehen sozial im Abseits, wenn wir uns und unsere Kinder nicht entsprechend kleiden und ausstatten. Uns wird ständig das Gefühl vermittelt, dass wir dies oder jenes ergattern müssen, um dazuzugehören. Mag ein kleiner Teil der Menschen sich dem entziehen, für die große Masse bleibt dieses Gefühl eine Realität.

Warenfetischismus

Marx hat dafür den Begriff des Warenfetischismus geprägt. Damit meint er, dass im Kapitalismus alles, auch der „Wert“ von Menschen nach seinem Tausch- oder Geldwert beurteilt wird. Da die einfachen Werktätigen keine Kontrolle darüber haben, was sie produzieren, und weil wir vor allen Dingen nicht demokratisch und kollektiv darüber entscheiden können, leiden wir unter dem quälenden Phänomen der Entfremdung. Wir produzieren auf Geheiß unserer Bosse für einen anonymen Markt. Warenfetischismus ist eine Folge dieser Entfremdung. Und Entfremdung bleibt solange ein bestimmendes Element, solange wir dieses System nicht kollektiv bekämpfen und überwinden. Eine ganz entscheidende Kritik an der Strategie der Konsumkritiker ist, dass sie diesen kollektiven Kampf untergraben, dass sie das System ungeschoren davonkommen lassen, das wir stürzen müssen. Dabei ist es kein Wunder, dass sie ihren Fokus in einer von Entfremdung dominierten Welt auf Konsum richten und nicht auf Klassenkampf. Auch sie sind Opfer des Systems und Kinder ihrer Zeit.

Was wird aus den Armen?

Drittens ist für den größten Teil der Menschheit nicht zu viel Konsum das Problem, sondern zu wenig. Und zwar sowohl in den Industriestaaten (z.B. zu wenig Zugang zu sozialen Services, sozialer Sicherheit, Bildung) und vor allem außerhalb dieser privilegierten Zonen der Welt.

Was antwortet man als Konsumkritiker darauf? Es darf eben nicht sein, dass die Bevölkerung des globalen Südens denselben Lebensstandard wie wir in den Industriestaaten erreicht! Das ist eine ungemein zynische und brutale Ideologie, aber sie ist erschreckend weit verbreitet. Selbstverständlich müssen wir den weniger Privilegierten denselben Lebensstandard zugestehen, wie wir ihn genießen. Aber wenn das unter kapitalistischen Bedingungen erreicht würde, dann steuern wir auf eine globale Temperaturerhöhung von jenseits der 2° Celsius zu. Man nehme nur das Beispiel China: in welch kurzer Zeit ist das Land zum größten CO2-Emittenten der Welt aufgestiegen.

Wir wollen die Angleichung des Lebensstandards aller, nur dass die Organisation unserer Gesellschaft eine demokratische sein muss. Wir können alle Energie, die dazu benötigt wird, nachhaltig produzieren, allen voran braucht es eine global konzertierte Anstrengung um genügend Strom aus Sonnen- und Windkraftwerke zu erzeugen.

Uns fehlt nur die Macht

Eine deutsch-finnische Studie hat errechnet, dass eine Energiewende mit den heute zur Verfügung stehenden Möglichkeiten machbar ist. Über 100 weiterer Studien kommen zu demselben Ergebnis: Wir könnten noch vor dem Jahr 2050 den gesamten Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen decken, weltweit und zu jeder Zeit. Alleine im Stromsektor würden so weltweit zusätzliche 15 Millionen Arbeitsplätze, insgesamt 35 Millionen, bis zum Jahr 2050 entstehen.

Im Kapitalismus orientiert sich die Produktion nicht an den Bedürfnisse der Menschen, sondern an der Erwartung mit dem Produkt einen Gewinn zu erzielen.

Diese Möglichkeiten sind nicht nur uns Klimaaktivist_innen bekannt. Die führenden Politiker mit ihren Beraterstäben, die regelmäßig an den großen Klimagipfel teilnehmen, wissen das genauso, wie die Bosse der Erdölkonzerne schon 1965 wussten, dass ihre Wirtschaftsweise den Klimawandel herbeiführen wird.

Wir müssen Kapitalismus überwinden und wir werden mit demokratischen Mitteln Lösungen finden, wie wir auf nachhaltige Ressourcen umstellen – zum Beispiel Häuser aus nachwachsenden Rohstoffen anstatt aus Beton. Wir können annähernd vollständig aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe aussteigen, wenn wir die Anstrengungen dafür global koordinieren. Allerdings ist das undenkbar, wenn wir uns weiter vom Kapital und seinen Bedürfnissen regieren lassen.

Falsche Diagnose – falsche Therapie

Die Schuldzuweisung an uns, als Konsumenten, ist eine bequeme Methode von der wirklichen Verantwortung für die existenzbedrohende Klimakrise abzulenken. Nicht nur das, sie lenkt auch von den Machtverhältnissen und den gesellschaftlichen Verhältnissen ab, die der Umweltzerstörung im Kapitalismus zugrunde liegen. Der deutsche Philosoph Walter Benjamin hat vor beinahe 100 Jahren beobachtet, dass die Massen, indem sie dazu ermutigt werden, sich vorwiegend als Konsumenten wahrzunehmen, ihre eigene Rolle als Produzenten vergessen. Sie erleben sich zunehmend als Konsumenten und nationale Massen anstatt als Arbeiter_innen und Internationalisten. Aber man kann Kapitalismus, das Wirtschaftssystem, das die Zerstörung der Umwelt zu verantworten hat, nicht verstehen, wenn man die Beziehung zwischen den sozialen Klassen ausklammert. Wie bei einer Krankheit, deren Ursache man falsch analysiert, kann das dazu führen, eine wirkungslose Heilmethode zu wählen, oder schlimmer noch, mit der falschen Therapie die Krankheit verschlimmern.

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