Radikalität gegen den Klimawandel: Mit der Masse – nicht gegen sie

Im deutschen Wochenmagazin taz diskutieren Luisa Neubauer von Fridays for Future und Tadzio Müller von Ende Gelände über die Erfolge und Misserfolge der Klimaschutzbewegung.
13. Juli 2020 |

Ende Gelände hat großartige Blockadeaktionen der großen Braunkohlereviere organisiert, Fridays for Future hat weltweit Millionen Menschen auf die Straßen mobilisiert – die größte Klimabewegung jemals. Sie, bzw. wir alle sind nun mit der Tatsache konfrontiert, dass die Politik auch entgegen dem Willen der Mehrheit die Weichen für noch mehr Treibhausgas-Emissionen gestellt hat. Ende Mai ist in Deutschland das neue Kohlekraftwerk Datteln 4 in Betrieb genommen worden, die Autoindustrie und die Luftfahrt erhalten massive Förderungen, die österreichische Regierung stellt 600 Millionen Euro zur Verfügung, um den Flugverkehr wieder hochzufahren, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Aktivist_innen müssen sich die Frage stellen, kann man die Autoindustrie ausschalten, ohne die tausenden Menschen, deren Arbeitsplätze von dieser abhängen, gegen sich aufzubringen?

Jobgarantie

Wird sich die Klimabewegung gegen große Teile der Bevölkerung stellen müssen, weil diese ihren Status Quo nicht aufgeben wollen oder wird man mit der Arbeiter_innenklasse für radikale Veränderungen kämpfen können? Um die Klimakrise zu bewältigen, müssen fossile Sektoren vollständig ausgeschaltet werden. Da etwa 85% der weltweiten Primärenergie von fossilen Brennstoffen gewonnen wird, heißt das nicht weniger, als die gesamte Wirtschaft umzukrempeln. Wenn wir Regierungen dazu zwingen können, Klimaschutz durchzusetzen, droht mit jeder Maßnahme, die von oben durchgesetzt wird, für Millionen Menschen Arbeitslosigkeit und Armut. Damit Klimaschutz und die Interessen der Arbeitenden sich nicht widersprechen, muss die Arbeiter_innenklasse selbst die Bedingungen von Arbeit und Produktion demokratisch gestalten können, die Produktionsmittel werden dazu vergesellschaftet werden müssen. Der Green New Deal von Bernie Sanders setzt auf Jobgarantien, die für die Transformation auf nachhaltige Energiegewinnung nötig werden. Die Klimagerechtigkeitsbewegung sollte auf das radikale Potential von Massenbewegungen mit der Arbeiter_innenklasse im Zentrum setzen. Gewerkschaften müssen ein wichtiger Partner werden.

Ein erster Schritt

Fridays for Future und Extinction Rebellion haben in den letzten zwei Jahren die Klimabewegung sehr vorangetrieben. Was diese Bewegungen vor allem geschafft haben, ist das in der Bevölkerung vorhandene Bewusstsein über die Klimakrise mit dem Bewusstsein zu verbinden, gegen die politische und wirtschaftliche Ordnung kämpfen zu müssen. Fridays for Future hat eine junge Generation von Kämpfer_innen für das Klima hervorgebracht. Eine Generation, die sich darüber bewusst ist, dass ihre Zukunft auf dem Spiel steht, und die sich nicht ihrem Schicksal, das heißt, den politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen, ergeben möchte. Das ist ein unglaublich wichtiger Schritt und eine gute Voraussetzung für alle weiteren.

Klimabewegung ist nicht alleine

Die Klimabewegung ist nicht die einzige Bewegung, die versucht an den Grundfesten des Kapitalismus zu rütteln. Mit dem Begriff „Klimagerechtigkeitsbewegung“ betonen wichtige Teile der Klimabewegung, dass die verschiedenen Themen einbezogen werden müssen und der Kampf für Klimaschutz auch ein Kampf gegen globale und soziale Ungerechtigkeit etc. sein muss. Alle diese Kämpfe sollten sich als Teil einer globalen Rebellion für eine bessere Welt betrachten. Zudem können wir keine wirklich bessere Welt jenseits von Kapitalismus erkämpfen, wenn wir nicht alle Formen unserer Unterdrückung sprengen. Derzeit erleben wir unglaublich tolle Proteste der Black Lives Matter Bewegung sowie Aufstände und Revolutionen im Libanon, Irak, Chile, Hongkong und Sudan. Das sollte auch die Klimabewegung feiern und als Inspiration nehmen.

Massen zu konservativ?

Wenn man nur nach Österreich schaut, hat man den Eindruck, dass solche Massenaufstände hier niemals möglich wären. Oft wird das Argument verwendet „den Leuten“ gehe es noch zu gut, „die Leute wollen ihren Status Quo nicht aufgeben“, „die Leute wollen, dass alles so bleibt wie es ist“. Es gibt sogar ausgereiftere Theorien, die versuchen zu erklären, dass im globalen Norden kein Massenaufstand zu erwarten sei, der Kapitalismus zu irgendeinem Zeitpunkt in Frage stellen würde. Wenn die Konsequenz aus diesen Annahmen nicht völlige Resignation ist (bis hin zur zynischen Verhöhnung von Widerstandsbewegungen), dann scheint als einzige Option der Kampf einer kleinen Elite übrig zu bleiben, die keine Rücksicht auf Bedürfnisse der Massen nehmen muss. Ein demokratischer Gegenentwurf zum Kapitalismus kann jedoch nicht in irgendeinem linken Hinterzimmer entworfen und der Gesellschaft übergestülpt werden. Er muss von unten gestaltet werden.

Beispiel Güterverkehr

Laut Pariser Klimaschutzabkommen müssen alle Wirtschaftszweige, einschließlich des Transportwesens, bis spätestens 2050 entkarbonisiert sein, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Die Emissionen steigen aber weiter an, besonders beim Güterverkehr. Es sind nicht nur mehr LKWs unterwegs, auch die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich. Die LKW-Fahrer müssen mehr und länger fahren, verbringen drei bis zwölf Wochen in den Auslieferungs- und Zielländern ihres Transportes, bevor sie in ihre Heimatländer zurückkehren können. Sie leben in ihren LKW-Kabinen, haben selten bis nie Zugang zu Betten oder Duschen, sehr schlechte soziale Absicherung, da sie mit Tagegeld abgespeist werden und niedrige Löhne.

So senken die Unternehmen ihre Transportkosten, was natürlich dazu führt, dass der Anteil des Güterverkehrs auf der Straße immer weiter steigt. Damit steigt parallel der Druck auf andere Sektoren der Güterlagerung und -verteilung. Billiger Transport erlaubt immer mehr Just in Time-Produktion. Hier gibt es also ein riesiges Potential, die Kämpfe für Klimaschutz und die Arbeitskämpfe verschiedener Branchen miteinander zu verschränken. Das geht nur mit den Mitteln der Gewerkschaften. Würden die Arbeitsbedingungen der LKW-Fahrer_innen denen der Schienenarbeiter angeglichen, dann wäre schon viel gewonnen. Aber es braucht mehr, nämlich eine radikale Dekarbonisierung des Transportwesens. Alle Ferntransporte gehören auf die Schienen verlagert und wo das nicht geht, gehören sie elektrisch betrieben, z.B. mit Oberleitungen, wie wir sie aus dem öffentlichen Verkehr aus Städten kennen.

Nachhaltigkeit

Und auch die Verlagerung auf die Schiene wird nur dann zur nötigen Senkung von Treibhausgasen führen, wenn wir viel mehr Strom produzieren, und der dafür verwendete Strom ökologisch nachhaltig produziert wird. Das wiederum werden wir nur mit den Mitteln internationaler Kooperation bewerkstelligen können. Ein Teil des europäischen Strombedarfs kann als Solarenergie in Südeuropa und Nordafrika erzeugt werden, ein Teil in windreichen Regionen oder dort wo Wasserkraft einsetzbar ist. Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Wichtig ist zu sehen, dass jede Transformation mit der Schaffung vieler Arbeitsplätze verbunden sein wird. Die Jobgarantie, wie im Green New Deal vorgeschlagen, ist also keine bloße Wunschvorstellung, sondern könnte von den Gewerkschaften tatsächlich umgesetzt werden, wenn sie den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und für Klimaschutz gemeinsam führen.

Arbeitskämpfe können das stärkste Druckmittel der Klimabewegung werden. Gerade, wenn die Symbiose schwer erscheint, weil Klimaschutz gegen Arbeitsplätze ausgespielt wird, ist es wichtig Solidarität zu zeigen. Das Zusammenspiel zwischen Klimabewegung und Arbeiter_innenbewegung ist für beide Seiten essentiell.
Wenn Arbeiter_innen nicht nur das Druckmittel des Streiks verwenden, sondern auch die demokratische Kontrolle über die Produktionsmittel und damit über ihre Arbeitskraft verlangen, ist der offene Kampf zur Überwindung des Kapitalismus eröffnet.

Revolutionärer Pol

Das ideologische Gerüst des Kapitalismus ist vielseitig und jede Bewegung hat damit zu kämpfen: Versuche das Selbstbewusstsein der Massen zu zermürben, Spaltungen reinzutreiben, vermeintliche Retter zu präsentieren, Androhung von Arbeitslosigkeit und Armut oder schlicht rohe Polizei- und Militärgewalt. Massenbewegungen sind nicht von heute auf morgen revolutionär und in jeder Hinsicht progressiv.
Revolutionäre werden für radikale Ideen kämpfen müssen, gegen Unterdrückung, Rassismus und andere Spaltungsversuche, wenn Bewegungen wachsen und dem Kapitalismus gefährlich werden wollen. Wir werden dafür kämpfen müssen, dass die Bewegung ihr Potential und die Arbeiterklasse ihre wichtigsten Waffen gegen Kapitalismus erkennt.

Ein demokratischer Gegenentwurf zum Kapitalismus kann nicht von einigen Wenigen von oben herab diktiert werden. Wirklich radikale Veränderungen wurden und werden von Massenbewegungen erkämpft und auch weiterentwickelt. Die Klimabewegung hat viele potentielle Verbündete, von Black Lives Matter bis zur Gewerkschaft. Der Widerstand gegen das System geht vielseitig und inspirierend weiter und es gibt eine realistische Perspektive aus dem Kapitalismus heraus zu einer demokratischeren, klimagerechten Welt.