Venezuela: Das Ende des „Sozialismus im 21. Jahrhundert“?

Hunderttausende protestieren in Venezuelas Straßen – gegen Präsident Nicolas Maduro, wie auch für ihn. Bereits zum zweiten Mal in nur drei Jahren rufen gewaltsame Proteste der Rechten eine politische Krise in Venezuela hervor. Dies offenbart die Schwäche von Chávez‘ Sozialismus des 21. Jahrhunderts, und hat bedeutende Konsequenzen – nicht nur für Venezuela sondern für die Linke weltweit.
13. Juni 2017 |

Lebensmittelknappheit, lange Schlangen vor Supermärkten, Massendemos und Straßenschlachten: In den letzten Wochen spitzte sich die Situation in Venezuela zu. Die Wirtschaft basiert fast ausschließlich auf Erdöl und ist aufgrund sinkender Weltmarktpreise angeschlagen. Die Inflation wird teilweise auf 400% geschätzt.

Seit mehr als einem Jahr regiert Präsident Nicolas Maduro, Nachfolger von Hugo Chávez, Venezuela im Ausnahmezustand, was de facto die Bolivarianische Verfassung von 1999 aushebelt. Als Antwort auf den „Wirtschaftskrieg“, der für die Krise verantwortlich sei, wurde der „Chavismo“ durch ein Regieren per Präsidenten-Dekret ersetzt. In der politischen Krise setzt Maduro auf Armee und Repression. An die 50 Menschen kamen bereits ums Leben.

Wirtschaftskrise

Die industrielle Produktion sank seit 1997 um 40%, die Landwirtschaft ist paralysiert und 90% der Lebensmittel werden importiert. Das Finanzsystem lässt durch den Devisenhandel enorme Renditen zu. Die großen Handelsunternehmen nützen die Situation aus, horten Waren oder vernichten sie, um so höhere Preise zu erzwingen. Bürgerliche, wie auch Beamte des Staats- und Militärapparats, bereichern sich – auf Kosten des Staatshaushalts und des Volkes. Mittlerweile braucht es 17 Mindesteinkommen, um sich den Grundwarenkorb leisten zu können.

Kapitalistischer Staat

Der venezolanische Staat und die PSUV haben sich in ihren Vorschlägen und Versprechen vom eigentlichen „Chavismo“ entfernt – von ihm ist nur der Name geblieben. Der venezolanische Staat ist ein kapitalistischer, der sich in den globalen Markt (re)integriert.

Der venezolanische Staat und die PSUV haben sich in ihren Vorschlägen und Versprechen vom eigentlichen „Chavismo“ entfernt – von ihm ist nur der Name geblieben.

Die Militarisierung (11 der 32 Ministerien sind von Militärs besetzt) zeigt, dass nichts von der partizipativen Demokratie übrig ist, die Chávez einst ankündigte.

Die überwiegende Mehrheit der Produktionsmittel wird privat kontrolliert. Zwischen 1999 und 2011 stieg der Anteil der Privaten an wirtschaftlichen Aktivitäten von 65 auf 71 Prozent. Auch wenn der wichtige Erdölsektor von einem staatlichen Konzern dominiert wird, sind andere wichtige Industrien nach wie vor in privater Hand. Diese Kontrolle ermöglicht es der venezolanischen Bourgeoisie jetzt die Krise zu vertiefen – sei es durch Horten oder Kapitalspekulation.

Die Strategie Maduros

Im Zuge der „Friedensverhandlungen“ Anfang 2014, traf sich Präsident Maduro mit mächtigen Kapitalisten, unter anderem mit der Industriellenvereinigung Fedecámaras – Schlüsselglied im gescheiterten Putsch gegen ­Chávez 2002. Er gestand Kredite von staatlichen Banken zu, erleichterte den Zugang zu US-Dollars durch Abbau der Kapitalkontrollen und öffnete 117.000 Quadratkilometer (12% des Landes mit wichtigen Wasserreserven) im Orinoco-Becken für Minenprojekte des ausländischen Großkapitals. Die Konzession bekam der kanadische Konzern Gold Reserve – ausgerechnet der, den Chávez 2008 aus dem Land warf.

Jetzt lässt Maduro die indigene Bevölkerung von ihrem verfassungsmäßig zugesicherten Land vertreiben. All diese Zugeständnisse an das Kapital verschlechterten die Lebensbedingungen der Arbeiter_innen, was die Regierung noch unpopulärer machte. Die Niederlage der PSUV in den Parlamentswahlen im Dezember 2015 war ein erster Hinweis.

Sozialismus?

Die Polarisierung in Venezuela heute ist nicht zwischen Maduro/Chávez-Anhängern und Opposition, sondern zwischen der Allianz der mächtigen, alten und neuen Bourgeoisie und der ärmeren Bevölkerung.

Für die aktuelle Krise gibt es zwei Lösungen: Die erste bedeutet die Abschaffung aller Kapital- und Wirtschaftskontrollen – wie es die Kapitalisten wollen – und die Arbeiter_innen zahlen den Preis. Die andere Lösung wäre, wichtige Wirtschaftszweige zu verstaatlichen und die Kapitalisten zur Kasse zu zwingen.

Maduro geht weiter auf die Kapitalisten zu, was es ihm unmöglich macht die, von der rechten venezolanischen Opposition und den USA, geschürte Stimmung gegen ihn umzukehren. Gleichzeitig wird er so die Krise nicht im Sinne der Mehrheit beenden können. Als Linke müssen wir die Kräfte unterstützen, die für Arbeitsrechte und Demokratie kämpfen und dafür, was in Venezuela nie umgesetzt wurde: Sozialismus.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.