Die Breitner-Steuern im „Roten Wien“
Als die Sozialdemokraten im Mai 1919 in den Wiener Gemeinderat einzogen, hatten sie wahrlich keine einfachen Aufgaben vor sich. Die Stadtkassen waren leer, die Reallöhne sanken, die Inflation trieb die Preise von Konsumgütern in die Höhe. Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Krankheiten breiteten sich aus, es mangelte an sozialen Einrichtungen – kurz, die Schere zwischen Arm und Reich klaffte weit auseinander, und die Folgen des ersten Weltkriegs waren allerorts spürbar.
Unter diesen Umständen entwickelte der Stadtrat und ehemalige Bankbeamte Hugo Breitner innerhalb kürzester Zeit ein völlig neues, progressiv gestaltetes Steuersystem: An die Stelle von Massensteuern sollten nun vor allem Reichen- und Luxussteuern treten. 1922 schreibt Breitner über Zeiten wirtschaftlicher Blüte: „Zwei, drei Dutzend Millionen Kronen … würden genügt haben, mindestens eine andere Richtung in der Verteilung der Lasten anzudeuten. Es ist gar nie versucht worden.“ Er machte den Versuch zur historischen Tatsache und nahm Geld unter Beifall der Arbeiter_innen von jenen, die in Saus und Braus leben konnten, um so zahlreiche kommunale Projekte zu finanzieren.
Den Reichen ging es an den Kragen
Während die Verzehrungssteuer (auf sämtliche Grundnahrungsmittel) und Mietzinsabgaben (fixer Anteil am Mietzins, egal ob Palast oder Kellerwohnung) abgeschafft wurden, bediente man sich an dem, was als Luxus galt. Wer mehr als eine Haushaltsgehilfin hatte, musste zahlen. Wer es sich leisten konnte, auf Pferderennen zu wetten, finanzierte damit Säuglingswäsche für Neugeborgene. Exklusive Bars und Nachtlokale mussten Nahrungs- und Genussmittelabgaben entrichten – womit täglich das Mittagessen für 13.000 Schulkinder gesichert war. „So wurden Austern, Kaviar, Trüffel, Hummer, Pasteten, ausländische Weine mit sieben Prozent besteuert.“
„Das Bürgertum war über die neuen Besitzsteuern sehr erbost.“
Weiters mussten Abgaben auf Automobile, Pferde, Lustbarkeiten (Veranstaltungen), Luxusbetriebe, Fremdenzimmer, Alkohol usw. an die Stadt gezahlt werden. Es dauerte nicht lange, da waren all die neuen Steuern überall unter nur mehr einem Schlagwort sowohl bei Freund als auch Feind bekannt – die „Breitner-Steuern“. Otto Bauer drückte es noch milde aus: „Das Bürgertum war über die neuen Besitzsteuern, die … die sozialdemokratische Gemeinderatsmehrheit in der Gemeinde Wien eingeführt hatte, sehr erbost gewesen.“ Gehasst haben sie sie.
Kommunales Wohnbauprogramm
Das Mieterschutzgesetz, die Wertzuwachsabgabe (der Ankauf von Liegenschaften war höher besteuert als deren Verkauf), die Grundsteuer des Bundes und die Bodenwertsteuer (diese beiden wurden allerdings ab 1923 nicht mehr eingehoben) hatten zur Folge, dass sich der Besitz von und die Spekulation mit Immobilien für das Kapital nicht mehr rentierten und die Stadt Wien so Baugründe zu Spottpreisen aufkaufen konnte.
Mit der Einführung der wohl bekanntesten aller Steuern im Jahre 1923, der Wiener Wohnbausteuer, wurden in der Zeit von 1923 bis 1933 rund 64.000 (!) Wohnungen errichtet. Wie progressiv die Wohnbausteuer, deren roter Schriftzug als Zeichen der Stärke an allen Neubauten angebracht wurde, gestaltet war, zeigen diese Zahlen: „82% aller Wohnungen brachten zusammen nur 22% der Steuer auf, während die teuersten 0,5% der Wohnungen miteinander 45% der Wohnbausteuer brachten.“
Schulreform und Fürsorgeprojekte
Mit den Breitner-Steuern wurden neben dem Wohnbauprogramm die Schulreform und zahlreiche Fürsorgeprojekte finanziert. Von der Schwangerenfürsorge bis zum Friedhof sollte für die Menschen gesorgt werden. Von den Bürgerlichen polemisch „Fürsorgeinflation“ genannt, sind Kindergärten, Horte, Beratungsstellen, Bäder,… errichtet und ausgebaut worden. Auch Unternehmer waren verpflichtet, für jeden Angestellten eine Fürsorgeabgabe zu entrichten.
Trotz der angespannten Weltwirtschaftslage erlangte so das „Rote Wien“ international höchste Anerkennung. Wenn uns die herrschenden Wirtschaftsexperten weismachen wollen, wir würden mit Vermögenssteuern den Wirtschaftsstandort gefährden, lügen sie uns einfach nur an.