„Operation Luxor“: Staatsrassistische Disziplinierung von Muslimen
Eine Woche nach dem schrecklichen Terroranschlag in Wien stürmten unter dem Codenamen Operation Luxor fast eintausend Polizisten über 60 Häuser und Wohnungen von Menschen und Vereinen, die angeblich der österreichischen Muslimbruderschaft und Hamas angehören sollen. Der Schlag wurde von der Staatsanwaltschaft Graz, sowie den Landesämtern für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) in Graz und Wien vorbereitet. ÖVP-Innenminister Karl Nehammer nannte die Razzien einen Schlag gegen die „Wurzeln des politischen Islam“.
Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei der Muslimbruderschaft um keine terroristische Vereinigung handelt. In der sogenannten islamischen Welt ist diese Einordnung vor allem einer politischen Klassifizierung durch die Diktaturen in Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Saudi Arabiens geschuldet – nach dem Militärputsch gegen die erste, seit Jahrzehnten der Diktatur demokratische gewählte Regierung in Ägypten im Jahr 2013. Zehntausende politische Gefangene sitzen seither laut Amnesty International in Haft.
2014 ließ die britische Regierung einen ausführlichen Bericht über die Muslimbruderschaft anfertigen, den sogenannten Jenkins-Report. Dieser attestierte, dass es keine gesicherte Verbindung zwischen der Bruderschaft und Terrorismus gebe. Die Regierung lehnte es folglich ab, sie als terroristische Vereinigung einzustufen. Im aktuellen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) wird die Muslimbruderschaft nicht einmal erwähnt. Zudem ließ die zeichnende Behörde, die Staatsanwaltschaft Graz, bei den Hausdurchsuchungen nicht einmal nach üblichen Materialien wie Sprengstoff, Waffen und Munition suchen, wie aus dem Akt hervorgeht. Ganz grundlegend stellte der Global Terrorism Index des Institute for Economics und Peace erst jüngst einen weltweiten Rückgang der Zahl an Terroranschlägen fest, auch von islamistischen Angriffen. Bei der Operation Luxor ging es sicherlich niemals darum, eine terroristische Bedrohung in Österreich abzuwehren.
Einschüchterung
Ziel war vielmehr die Einschüchterung von muslimischen Aktivist_innen. Von den 70 Beschuldigten wurden 30 verhört. Ihnen stellte das BVT politische Gesinnungsfragen wie „Besuchen Sie eine Moschee?“ oder „Werden die Muslime in Österreich unterdrückt? Was verstehen Sie unter dem Begriff ‚Islamophobie‘? Hat dieser Begriff aus Ihrer Sicht eine Berechtigung?“ Medienberichten zufolge wurde Vereine und Einzelpersonen telefonisch abgehört, die den Zweck verfolgten, „Hilfsgüter für Kinder in Palästina, im Libanon, Jemen und anderen mehrheitlich muslimischen Ländern“ zu sammeln und „Frauen muslimischen Glaubens zu unterstützten, etwa bei Behördenwegen oder bei der Jobsuche“.
Die Polizei trat mitten in der Nacht Türen ein, versetzte Kinder und Familien in Todesangst. Der Salzburger Politikwissenschaft Farid Hafez, seit Jahren eine der wichtigsten Stimmen gegen antimuslimischen Rassismus, berichtete: „Zu meiner absoluten Verwunderung und zu meinem Entsetzen war ich Betroffener der Operation Luxor. Und emotional machte es etwas mit mir, wenn die Cobra um fünf Uhr früh die Tür zerschlägt, die Waffen auf einen richtet und Fenster einschießt. Wenn die Kinder von bewaffneten Spezialeinheiten aufgeweckt werden. Diese Brutalität und Unverhältnismäßigkeit gingen nicht spurlos an mir vorbei.“
Im Folgenden versuchen wir, die bisher bekannten Fakten zu systematisieren. Dazu gehen wir zunächst auf die ideologische Unterfütterung der Operation ein und skizzieren dann die wichtigsten politischen Dimensionen.
Ideologische Aufbereitung
Im Westen dient das Label „Muslimbruderschaft“ und „politischer Islam“ vor allem der Diffamierung von aktiven, gegen Rassismus engagierten Teilen der muslimischen Community. Bei der Operation Luxor ging es zuvorderst gegen Aktivist_innen, wie Hafez, die ihre Stimme gegen das 2014/15 diskutierte Islamgesetz erhoben. „Politischer Islam“ ist, wie der Islamwissenschafter Rüdiger Lohlker sagt, vor allem ein „politisch instrumentalisierter Begriff“. Politikwissenschafter Benjamin Opratko kritisiert, dass der Begriff etwa von der Dokumentationsstelle Politischer Islam, wissenschaftlich falsch und demokratiepolitisch höchst bedenklich, auf „demokratie- und menschenrechtsfeindlich“ reduziert wird.
Die Hausdurchsuchungen und Ermittlungen basieren dabei auf zwei Gutachten von Autor_innen, die insbesondere seit 2014 immer wieder mit fadenscheinigen Anwürfen gegen führende Aktivist_innen aus der muslimischen Community auffielen. Einer davon, Heiko Heinisch, sitzt ebenso im wissenschaftlichen Beirat der benannten Dokumentationsstelle, wie der Verfasser einer wissenschaftlich äußerst mangelhaften „Studie“ zur Muslimbruderschaft in Österreich, Lorenzo Vidino. Dieses Flickwerk an Anschüttungen wird bereits am Deckblatt als wissenschaftliche Arbeit unter der Ägide der Universität Wien getarnt, obwohl die Hochschule mit der Erstellung nie etwas zu tun hatte.
Staatsrassismus
Auf politischer Ebene fällt zunächst die zunehmende Institutionalisierung von antimuslimischen Rassismus ins Auge. Die Mechanismen der Operation Luxor erinnern an das Vorgehen der Behörden bei der Operation Spring im Jahr 1999. Damals erfanden die Ermittler_innen ein fadenscheiniges „Drogennetzwerk“ gegen Aktivist_innen der afrikanischen Community, die sich nach der Ermordung des Schubhäftlings Marcus Omofuma durch drei Polizisten auf der Straße gegen Staatsrassismus organisierten. Die bei „Luxor“ zuständige Staatsanwaltschaft Graz konstruierte bereits 2017, offenbar ein Testlauf, völlig haltlose Anschuldigungen gegen palästinensische Aktivist_innen. Zum Zeitpunkt der aktuellen Razzien arbeiteten bereits fünf Staatsanwälte in einer eigens für die „Islamistenszene“ gegründeten Gruppe.
Zweitens treibt die ÖVP, die Partei der großen Unternehmen und Banken in Österreich, systematisch die Institutionalisierung von Rassismus in Österreich voran. Seit 2014 die Integrationsagenden in das Außenministerium gelegt wurden – Sebastian Kurz war damals zuständiger Minister – , wurden aus selbigem Ministerium vor allem über den ÖVP-nahen Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) immer wieder rassistische Studien in Auftrag gegeben: so die berüchtigte „Moscheestudie“ oder die fabrizierte, wissenschaftlich heftig kritisierte Arbeit über islamische Kindergärten. Auch im „Projekt Ballhausplatz“, internen ÖVP-Dokumenten zur Sprengung der SPÖ-ÖVP-Koalition und Regierungsübernahme durch Kurz, ist explizit die Rede davon, der „Sprücheklopfer“-FPÖ die Themen „radikaler Islamismus“ zu nehmen, aber mit „Lösungen“ zu versehen.
Drittens spielte die FPÖ bei der Vorbereitung und Umsetzung der Operation Luxor eine zentrale Rolle. 2017 im Wahlkampf, exakt am selben Tag, als die bereits erwähnte Vidino-„Studie“ präsentiert wurde, kündigte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache eine „Aktion scharf gegen die Muslimbruderschaft“, „gegen alles und jeden, der radikal-islamistische und damit verbrecherische Ideologien forciert“ an. Drei Monate später war der FPÖ-Mann Herbert Kickl Innenminister. Unmittelbar nach der Angelobung installierte er eine eigene Leibgarde im LVT Wien, die, wie das profil berichtet, auch bei der Operation Luxor im Einsatz war.
Zweifellos verlangt das hier grob Umrissene noch eine ausführlichere Erörterung. So viel steht allerdings bereits fest: Die wirkliche Bedrohung in Österreich geht nicht von einer angeblichen Muslimbruderschaft aus, sondern von einer gefährlichen Verstrickung aus Pseudowissenschafter_innen, Beamten und Politik. Die von der Razzia und von Staatsrassismus Betroffenen verdienen unser aller Solidarität. Jetzt braucht es einen lauten Aufschrei gegen antimuslimischen Rassismus, wie im offenen Brief der Dokumentationsstelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus begonnen, damit die versuchte Einschüchterung nach hinten losgeht. Wir schulden es auch jenen, die von der Operation Luxor traumatisiert wurden.