Interview mit Hans-Henning Scharsach: „Die Waffengeschäfte des verurteilten Neonazis Peter Binder sind der größte Skandal in der Geschichte der Polizei“
Linkswende jetzt: Der Wiener Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl sprach bei der Pressekonferenz vom „größten Waffenfund der letzten Jahrzehnte“. Innenminister Karl Nehammer erklärte, die Waffen seien für die rechtsextreme Szene in Deutschland bestimmt gewesen, „möglicherweise“ um eine rechtsradikale Miliz aufzubauen. Als Hauptverdächtiger gilt der Neonazi Peter Binder, mit dem sie sich in ihren Büchern mehrfach beschäftigt haben. Was wissen sie über ihn und seinen politischen Hintergrund?
Peter Binder wurde 1993 durch Zufall verhaftet. Bei der Durchsuchung seines Audi an der Grenze bei Kleinhaugsdorf entdeckten Beamte Waffen und Zutaten, wie man sie für die Herstellung von Nitroglyzerin verwendet. Im Landhaus seiner Schwiegereltern fand sich das größte Waffenlager in der Kriminalgeschichte der zweiten Republik, unter anderem automatische Schusswaffen, Panzerfäuste, Minen, Hand- und Mörsergranaten, Sprengstoffe, Kampfanzüge, jede Menge Munition, Stahlhelme und militärische Ausrüstungsgegenstände.
Peter Binder war also damals bereits in der Neonazi-Szene tätig?
Ja, aber die Polizei hat ihn bis zu diesem Zeitpunkt für einen unbedeutenden Mitläufer gehalten. Bei der Vernehmung stellt sich das als Fehleinschätzung heraus. Binder ist zwar kein großer Ideologe, war aber seit 1988 in der militanten Neonazi-Szene aktiv.
Als „Kaderleiter“ von Gottfried Küssels VAPO, die „in tiefer Trauer um Adolf Hitler“ zur „Zertrümmerung des demokratischen Staates“, zur „Neugründung der NSDAP“ und zur „Aussiedlung aller Juden und Fremdrassigen“ aufgerufen hatte, war er für die Logistik der grenzüberschreitenden Vernetzung neonazistischer Zellen verantwortlich. Zudem entpuppte er sich als hochgradiger Waffenexperte und verblüffte die Beamten bei seiner Vernehmung mit Detailwissen über Bombenbau und Zündmechanismen. In seiner Wohnung wurde ein neonazistisches Handbuch für Sprengstofftechnik gefunden mit dem bezeichnenden Titel „How to kill“.
Lange galt Binder als Hauptverdächtiger der Briefbombenserie, die unser Land damals erschütterte. Gemeinsam mit dem Neonazi Franz Radl stand er vor Gericht und wurde freigesprochen. Hat sie dieses Urteil überzeugt?
Das Urteil entsprach dem rechtsstaatlichen Prinzip, „im Zweifel für den Angeklagten“. Die vorgelegten Beweise waren dürftig, um es milde auszudrücken. Was mich nicht überzeugt hat, war die Ermittlungsarbeit. Auch meine Informanten, Aussteiger aus der militanten Szene, zeigten sich verwundert, wie viele Schlüsselfiguren des Rechtsextremismus nicht einmal vernommen wurden, während offensichtliche Nebengleise bis ins letzte Detail verfolgt wurden.
Zudem traf die Polizei bei ihren Hausdurchsuchungen immer wieder auf blitzblank geputzte Wohnungen, ohne Bücher, ohne auch nur einen Notizzettel – ganz so, wie es eine „Instruktion zum Schutz bei Hausdurchsuchungen“ beschrieb, die damals unter Neonazis kursierte. Selbst meine Informanten aus der Exekutive wollten nicht ausschließen, dass es in ihren Reihen eine undichte Stelle gab, durch die Verdächtige vor Durchsuchungen gewarnt wurden.
Gibt es Belege für diese „braunen Flecken“ innerhalb der Polizei?
Anhaltspunkte dafür gibt es genug. Mehrfach schon wurden in Polizeikasernen ausgelegte rechtsextreme Schriften gefunden. Anfang 1993 kursierte innerhalb der Polizei ein Flugblatt, in dem eine „Notwehrgemeinschaft der Sicherheitswachebeamten“ – abgekürzt NS – ihre „lieben Kollegen“ für einen braunen Putsch gegen die „Regierung aus Freimaurern und Juden“ zu mobilisieren versuchte.
Auf dem Flugblatt erklärten sich die NS-Polizisten außerstande, die Sicherheit der „Umvolkungspolitiker“ zu garantieren, deren „verbrecherisches Handeln jede Schutzwürdigkeit verwirkt“ habe. Das „Hereinholen von Fremden und die Zerstörung des geschlossenen Siedlungsgebietes der deutschstämmigen Bevölkerung“ seien „als Hochverrat zu bewerten“.
Wie kann es sein, dass ein Mann wie Binder nach den Waffenfunden, den anschließenden Ermittlungen und seiner Verurteilung siebenundzwanzig Jahre lang weiter Waffen schmuggeln und der Neonazi-Szene liefern konnte?
Das ist wahrscheinlich die größte Blamage, oder, besser gesagt, der größte Skandal in der Geschichte von Polizei, Justiz und Verfassungsschutz. Vor allem aber ist es ein Versagen der Innenminister. Augenscheinlich konnte Binder seine Waffengeschäfte selbst nach seiner Verurteilung unbehindert fortsetzen.
In jedem anderen westlichen Land wäre er nach Aufdeckung der kriminellen Delikte regelmäßig beobachtet und kontrolliert worden. In Österreich konnte er seine Waffengeschäfte über bayerische Motorrad-Rockerklubs sogar während seiner Freigänge vom Gefängnis aus abwickeln, wie sich bei den Einvernahmen herausstellte.
Auch bei den aktuellen Ermittlungen scheint es Pannen gegeben zu haben, wie ein zweiter Waffenfund beweist.
Die Polizei hatte Waffenlager in einer Wiener Wohnung und einem Lagerhaus im niederösterreichischen Bezirk Korneuburg gefunden, bei ihren Ermittlungen jedoch übersehen, dass Binder auch eine Wohnung in Guntramsdorf hatte. Es bedurfte des Hinweises eines Einheimischen, um dieses dritte Waffenlager zu entdecken. Weil dort neben vollautomatischen Waffen, Handgranaten, Minen und Munition auch zwei Kilo des Sprengstoffes TNT gefunden wurden, musste das Haus vorübergehend evakuiert werden.
Dass Polizei und Verfassungsschutz nicht einmal die Wohnadressen eines gefährlichen Neonazis und Waffendealers kennen, ist nur ein weiteres Glied in der Kette von Pleiten und Pannen. Unmittelbar danach platzte der nächste Skandal. Die von Justiz- und Innenministerium eingesetzte Untersuchungskommission zum Terroranschlag vom 2. November in der Wiener Innenstadt kommt zu dem Ergebnis: Hätte die Zusammenarbeit von Polizei, Verfassungsschutz und Justiz funktioniert, der Anschlag hätte verhindert werden können.
Die unterschiedlichen Dienststellen hatten verabsäumt, die Ergebnisse ihrer Ermittlungen auszutauschen und an die Staatsanwaltschaft weiter zu geben. Die bekannten Vorwürfe, im ÖVP-dominierten Verfassungsschutz käme es bei der Postenvergabe mehr auf politische Einstellung und Zugehörigkeit denn auf Kompetenz an, erhalten durch diese Serie an tödlichen Ermittlungsfehlern jedenfalls zusätzliche Nahrung.
Sie befassen sich in ihren Büchern mit den Verbindungen zwischen FPÖ und der militant rechtsextremen Szene. Haben die Waffenfunde und Briefbomben-Ermittlungen dafür Hinweise geliefert?
Mehr als nur Hinweise. Binder selbst hat sich, wie viele andere Neonazis, als Bewunderer Jörg Haiders zu erkennen gegeben. Binders Eltern erklärten Journalisten gegenüber, „der Peter ist halt ein Haider-Fan“. In Blättern der Neonazi-Szene wurden und werden Gemeinsamkeiten mit der FPÖ immer wieder thematisiert.
Dabei wurde und wird der „nationalkonservativen Sammelbewegung FPÖ“ das Scheitern vorhergesagt und ein „Endsieg der nationalsozialistischen Systemalternative“ angekündigt. Keinen Zweifel lassen neonazistische Publikationen jedoch daran, dass beide Seiten dasselbe Ziel verfolgen, nur eben mit unterschiedlichen Mitteln.
Das Anti-Ausländer-Volksbegehren scheint zu einem Schulterschluss zwischen FPÖ und militanter Neonazi-Szene geführt zu haben.
Genauso ist es. Das Jahr begann mit Jörg Haiders Anti-Ausländer-Volksbegehren und endete mit einer Briefbombenserie, die zum Ausgangspunkt weiteren Bombenterrors wurde. Dieses Volksbegehren versöhnte die militante Neonazi-Szene mit der stets als „systemtreu“ verhöhnten FPÖ. VAPO-Führer Gottfried Küssel zeigte sich glücklich über Haiders Ausländerpolitik und erinnert stolz daran, in den 1980er Jahren selbst für die FPÖ kandidiert zu haben. Nazi-Terrorist Gerd Honsik konstatierte, „unsere Sache hat starke Bataillone gefunden“.
So gut wie alle neonazistischen Organisationen und braunen Hetzblätter trommelten für Haiders Volksbegehren. Zu den engagiertesten Befürwortern zählte die „Österreichische Landsmannschaft“ unter Führung freiheitlicher Landespolitiker. Deren Zeitschrift „Eckartbote“ erinnerte gelegentlich an Hitlers Geburtstag und Heydrichs Todestag, zitierte aus „wissenschaftlichen Untersuchungen“, dass „in den als Gaskammern bezeichneten Gebäuden nie Massenvergasungen vorgenommen worden sein können“ und agitierte mit Ausdrücken wie „multiethnische Bastardisierung“ gegen den Zuzug von Ausländern. Damals wurde deutlich: Der Neonazismus definiert sich als militanter Flügel der „Anti-Ausländer-Partei“ FPÖ, auch wenn deren „Systemtreue“ immer wieder kritisiert wird.
Strache und Hofer haben sich mehrfach von Antisemitismus und Rechtsextremismus distanziert. Wie glaubwürdig ist das?
Der Klagenfurter Universitätsdozent und Rechtsextremismus-Experte Willibald Holzer hat einen Kriterienkatalog für Rechtsextremismus erarbeitet, der keinen Zweifel aufkommen lässt: Die FPÖ ist nach wissenschaftlichen Maßstäben eine rechtsextreme Partei. Dabei muss man differenzieren: Das gilt nicht für die Mehrzahl der Wähler, die den ideologischen Hintergrund nicht erkennen oder sich für diesen nicht interessieren. Das gilt jedoch sehr wohl für einen Teil der Führungskader, vor allem für jene, die aus deutschnationalen schlagenden Studentenverbindungen kommen. Und es gilt für zahlreiche Funktionäre und Mandatsträger der zweiten und dritten Reihe, die sich aus den nationalsozialistischen Traditionen nie gelöst haben.
Dafür haben sie in ihrem Archiv Belege gesammelt?
Natürlich, jede Menge. Zuerst einmal die Gerichtsurteile über FPÖ-Politiker wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung, Holocaust-Leugnung, Denkmal- bzw. Friedhofsschändung, Verhetzung und Herabwürdigung religiöser Lehren. Ergebnis meiner Recherchen ist: Freiheitliche Funktionsträger, darunter auch einzelne Spitzenpolitiker, sind in Neonazi-Gruppierungen aktiv, treten als Redner bei Neonazitreffen auf, nehmen an Nazi-Aufmärschen und Nazi-Feten gemeinsam mit Szenengrößen wie Gottfried Küssel oder Felix Budin teil und beteiligen sich gemeinsam mit Neonazis an Demonstrationen der Identitären.
Sie feiern Hitlers Geburtstag, verherrlichen Nazi-Verbrecher, posten Hitlerbilder und Gedichte der Hitler-Jugend, verbreiten Nazi-Sprüche, stellen NS-Devotionalien zur Schau, vertreiben Bekleidung mit eindeutigen Emblemen und unterstützen Solidaritätsaktionen für einsitzende Neonazis. Natürlich enden diese als Einzelfälle verharmlosten Skandale meist mit Parteiausschluss oder Rücktritt – aber nur dann, wenn der Fall von Medien aufgegriffen wird. Dass eine solche Partei dieses Land mitregieren und sogar den Vizekanzler stellen konnte, zählt zu den schlimmsten Kapiteln der österreichischen Nachkriegspolitik.
Es sind nicht nur politische Delikte, für die FPÖ-Politiker verurteilt wurden.
FPÖ-Politiker wurden wesentlich öfter verurteilt als Politiker aller anderen im Nationalrat vertretenen Parteien zusammen. Gegen die wichtigsten Repräsentanten von Haiders engstem Führungskreis auf Bundes- und Landesebene gab es Gerichtsurteile in Serie. Die Liste der rechtskräftig Verurteilten ist lang: Walter Meischberger, Peter Westentaler, Stefan Petzner, Ewald Stadler, Haiders Nachfolger als Landeshauptmann Gerhard Dörfler, Uwe Scheuch, Harald Dobernig, Gernot Rumpold… Dazu kommen Haiders Werbeberater, Haiders Wirtschaftsmanager, Haiders Lobbyisten, Haiders Banker. Vor kurzem dann das nicht rechtskräftige Urteil gegen Karl-Heinz Grasser.
Aber Haider selbst wurde nie verurteilt.
Haider entging einem Gerichtsverfahren durch seinen tödlichen Unfall. Aber im Urteil gegen den ÖVP-Politiker Josef Martinz ist ausdrücklich festgehalten, dass dieser die Taten, für die er viereinhalb Jahre Haft ausfasste, „gemeinsam“ mit Haider begangen hatte.
Was sind das für Delikte, für die freiheitliche Spitzenpolitiker verurteilt wurden?
Das ist ein breites Spektrum, von schwerem gewerbsmäßigem Betrug über Untreue, Bestechlichkeit, Spielautomaten-Betrug, Amtsmissbrauch, Urkundenfälschung bis zu Steuerhinterziehung, Nötigung und Falschaussage. Bei FPÖ-Politikern der zweiten und dritten Reihe kommen zahlreiche andere Straftatbestände dazu, von Tötungs-, Gewalt- und Eigentumsdelikten bis zu sexueller Nötigung im Amt, Unzucht mit Minderjährigen, Verbreitung von Kinderpornographie usw. usw.
Wie hat die Freiheitliche Partei auf die vielen Verurteilungen wegen krimineller Delikte reagiert?
Mit Beschimpfungen und Verleumdungen des Rechtsstaates. Wann immer FPÖ-Politiker wegen schweren Betruges, Untreue, Bestechlichkeit und anderer Korruptionsdelikte verurteilt wurden, reagierte die Parteiführung mit Vorwürfen wie „Polit-Prozess“, „Gesinnungsjustiz“ oder „Politwillkür“. Herbert Kickl, Innenminister der türkis-blauen Koalition, empfindet die Verurteilungen von FPÖ-Politikern nicht als Schandfleck seiner Partei, sondern als „Schandfleck für Österreichs Justiz“.
Was hat sich unter Strache geändert?
Unter Strache ist die kriminelle Energie nicht kleiner geworden, wie der Ibiza-Skandal belegt. Da haben Strache und Gudenus versucht, die Kronen Zeitung unter ihre Kontrolle zu bringen, die Pressefreiheit auszuhebeln und den Preis dafür durch abgekartete Auftragsvergaben dem Steuerzahler aufzubürden.
Die wichtigste Veränderung aber war: Strache hat Haiders Buberlpartie gegen eine Burschenpartie ausgetauscht und die wichtigsten Führungspositionen mit Mitgliedern von deutschnationalen schlagenden Studentenverbindungen besetzt und die Partei damit noch weiter nach rechts geführt.
Sie haben ein sehr kritisches Buch über die Burschenschaften veröffentlicht. Können sie in wenigen Sätzen schildern, wie sie diese einschätzen.
Bei den Burschenschaften handelt es sich um verfassungsfeindliche Organisationen. Man kann das als aufgeklärter Demokrat ja kaum glauben: Burschenschaften halten bis heute am Arier-Paragraf der Nazis fest. In der Nazizeit wurde das Prinzip von Abstammung und Volkszugehörigkeit plakativ „Arier-Paragraf“ genannt. Die Burschenschaften bekennen sich bis heute zu diesem Abstammungsprinzip, auch wenn sie den Nazi-Begriff Arier-Paragraf meiden.
Österreich hat sich in seiner Bundesverfassung dazu verpflichtet, alle Spuren des Nationalsozialismus aus Gesellschaft und Politik zu tilgen. Ich glaube wir sind uns einig, was Spuren heißt: Auch kleinste Teile. Der Arier-Paragraf ist aber kein kleiner, kein unbedeutender Teil der nationalsozialistischen Terror-Herrschaft. Dieser Arier-Paragraf war Ausgangspunkt und Grundlage einer Entwicklung, die in den industriell organisierten Massenmord mündete. Der Arier-Paragraf war letztlich Vorbereitungshandlung für den Massenmord.
Das müsste eigentlich auch für das nationalsozialistische Gesellschaftssystem der Volksgemeinschaft gelten, zu dem sich die Burschenschaften immer noch bekennen.
In der wissenschaftlichen Literatur wird die sogenannte Volksgemeinschaft als „Wesenselement der nationalsozialistischen Staatstheorie“ beschrieben. Der deutsche Verfassungsschutz nennt die Volksgemeinschaft „Wunschbild der Neonazis“. Ihr wichtigstes Ziel war die Ausgrenzung von Juden und Andersrassigen. Die Volksgemeinschaft unterschied zwischen jenen, die dazu gehörten und den vermeintlichen Feinden, die diskriminiert, verfolgt und letztlich in Vernichtungslagern ermordet wurden.
Wieso darf sich ein so eindeutig nationalsozialistisch geprägter Begriff im Programm einer Partei wie der FPÖ finden?
Ende der 1990er wurde dieser Nazi-Begriff von Jörg Haider aus dem Parteiprogramm gestrichen. Unter Führung des Burschenschafters HC. Strache und der redaktionellen Leitung des Burschenschafters Norbert Hofer wurde er wieder in das Parteiprogramm von 2011 hineingeschrieben. Und keiner hat es bemerkt.
Österreichs Bundesverfassung verbietet jede Werbung für Großdeutschland. Auch daran haben sich Burschenschafter nie gehalten.
Zum Wesen der Burschenschaften gehört das Bekenntnis zum „deutschen Vaterland“. Die österreichische Nation wird als „Hirngespinst“ lächerlich gemacht oder als „Missgeburt“ verunglimpft. Als die Burschenschaft Olympia, aus der prominente FPÖ-Politiker hervorgegangen sind, den Vorsitz des deutsch-österreichischen Dachverbandes „deutsche Burschenschaft“ übernahm, hat sie allen Ernstes gefordert, Österreich in die deutsche Wiedervereinigung einzubeziehen. Deutlicher lässt sich Verfassungsfeindlichkeit nicht artikulieren. Dass die österreichische Justiz trotz solch eindeutiger Tatbestände nicht reagiert hat, dass Burschenschaften nicht verboten wurden, ja, nicht einmal gegen sie ermittelt wurde, das halte ich für Rechtsverweigerung.
Die sogenannten Vorfeld-Organisationen bekennen sich verhältnismäßig offen zu ihren ideologischen Wurzeln, während die führenden FPÖ-Funktionäre Antisemitismus, Rechtsextremismus, Neonazismus und Deutschtümelei in ihren Reihen zu verschleiern suchen.
So ist es. Auf einer Website des burschenschaftlich geführten Freiheitlichen Akademikerverbandes fand sich der folgende Eintrag: „Demokratie schafft immer Unordnung, Sie spaltet das Volk, Sie ist eine Fehlgeburt der Geschichte, die Hure des Westens.“ Demokratie als „Fehlgeburt der Geschichte“ und „Hure des Westens“: Präziser kann man es nicht auf den Punkt bringen, was diesem Land droht, wenn sich die Zivilgesellschaft den burschenschaftlichen Anschlägen auf unsere politische Kultur des demokratischen Miteinander nicht entschlossen in den Weg stellt.
Autoritäres Staatsverständnis und nationalsozialistische Traditionen sind in der FPÖ fest verankert, wie die zahlreichen blamablen „Einzelfälle“ zeigen.
Es geht nicht nur um diese Einzelfälle. Es geht nicht nur um die Burschenschaften und andere Vorfeldorganisationen. Es geht auch nicht um die in der FPÖ fest verwurzelten Identitären, deren Führungskader aus demselben Burschenschafter-Milieu kommen wie die Spitzenpolitiker der Freiheitlichen. Wo die FPÖ steht, lässt sich am Agieren ihrer Spitzenpolitiker erkennen. Norbert Kickl hat im Parlament jene, die einst vor dem Nazi-Terror flüchten mussten, als „Davongelaufene“ verhöhnt, die heute „verhätschelt“ werden.
Er hat gefordert, sich von der europäischen Menschenrechtskonvention zu verabschieden. Und er hat in der Diskussion um das Demonstrationsrecht „Platzverbot statt Denkverbot“ gefordert. Platzverbot heißt Einschränkung des Demonstrationsrechts. Denkverbot ist jener Ausdruck, mit dem Neonazis seit Jahren gegen das Verbot nationalsozialistischer Wiederbetätigung agitieren. Nichts beschreibt den Zustand unserer Demokratie besser als ein Innenminister, der das Demonstrationsrecht attackiert und sich dabei des typischen Neonazi-Vokabulars bedient. Und nichts lässt mich an unserem Österreich mehr verzweifeln als eine angeblich christlichsoziale Regierungspartei, die einen Kickl zum Innenminister gemacht hat und sich den FPÖ-Wählern anbiedert, indem sie hungernden und frierenden Kindern in griechischen Flüchtlingslagern Hilfe verweigert.
Das Interview mit Hans-Henning Scharsach führte Manfred Ecker. Es erfolgte Corona-bedingt telefonisch und schriftlich und ist ein Vorabdruck aus der Ausgabe N° 33 des Magazins Linkswende jetzt - Erscheinungsdatum 21. Jänner 2021. Das Heft kannst du hier abonnieren oder ein Gratis Probeheft bestellen.