Mohandas Gandhi: Experiments in Civil Disobedience
Indien erlangte seine Unabhängigkeit im Juni 1947: „Ohne einen einzigen Schuss abzufeuern brachte Gandhi das britische Empire zum Einsturz!“ So fasst der Bayrische Rundfunk Gandhis Rolle in dem Geschehen zusammen. Der britische Premierminister der Zeit, Clement Attlee von der Labour Party würde widersprechen. Gefragt nach der Rolle Gandhis im Zustandekommen der britischen Kapitulation, antwortete er mit einem sarkastischen Lächeln: „minimal“. Als wirklichen Beweggrund nannte Attlee die Folgen der großen Meuterei der Royal Indian Navy von 1946. Die machte den Briten unmissverständlich klar, dass sie das Land nicht weiter kontrollieren könnten, weil sie nicht länger auf die Loyalität der indischen Soldaten und Matrosen zählen konnten. Die Meuterer hissten demonstrativ die Flaggen der (Hindu)-Kongresspartei, der Muslim-Liga und der Kommunistischen Partei. Ein Auslöser für den Streik war die Verhaftung von drei führenden aufständischen Offizieren, ein Hindu, ein Muslim und ein Sikh. Zur Zeit des Streiks waren Teilungspläne in ein muslimisch dominiertes Pakistan und ein Hindu-dominiertes Indien in aller Munde. Die kollektive Aktion im Militär und in den Städten wies in die genau gegengesetzte Richtung: Einheit über die Grenzen von Religion hinweg auf Basis der gemeinsamen Klasseninteressen.
Zweierlei Maß
Unabhängige Aktion der ausgebeuteten Klassen war Gandhi zuwider. Kompromiss war sein Markenzeichen. Um überhaupt in die Position zu kommen einen Kompromiss mit den Kolonialherren auszuhandeln, musste er die Massen erst mobilisieren und rechtzeitig wieder demobilisieren. Er verabscheute Gewalt besonders, wenn sie vom einfachen Volk ausging. Gandhi beendete die berühmte Salzkampagne, als der britische Vizekönig von Indien, ihm Gespräche anbot. Am 23. März 1931, während der Gespräche, ließen die Briten den sehr beliebten revolutionären Anführer Baghat Singh, hinrichten – für Gandhi kein Grund, die Gespräche mit dem Vizekönig aufzukündigen.
Seine Konzentration auf Gewaltverzicht hatte etwas Dogmatisches, von der Realität abgehobenes. Gegenüber Äthiopien, das von Italien bombardiert wurde, meinte er: „Hätten die Abessinier jedoch die Haltung der Gewaltlosigkeit der Starken eingenommen, d.h. die Gewaltlosigkeit, die in Stücke bricht, aber nie verbiegt, hätte Mussolini keine Interesse an Abessinien. Er wollte keine Wüste. Mussolini wollte Unterwerfung und nicht Trotz.“ Dasselbe empfahl er den Tschechen beim Einmarsch Hitlers. Berüchtigt ist seine Empfehlung von 1938 an die jüdische Bevölkerung Selbstverbrennung als Akt des Widerstands zu wählen. Diese für seine Mitstreiter sehr ärgerliche Ignoranz der politischen Realitäten zeigten ihn von seiner dunkelsten Seite.
Gegen Sektierertum
Die oben erwähnten meuternden Soldaten ließen sich von den politischen Führern der Hindu- respektive der Muslimpartei zur Aufgabe überreden. Das Sektierertum gewann daraufhin wieder die Oberhand und der Einfluss des scheidenden Empires tat das seine dazu, dass die Teilung Indiens zu einem der traurigsten Kapitel der Geschichte wurde. Während sich dieses Drama entfaltete, zeigte sich Gandhi von seiner nobelsten Seite. Im September 1947, als das sektiererische Morden immer rabiater wurde, begab er sich in Kalkutta in das Haus eines Muslims, und kündigte an, dort bis zu seinem Tod zu fasten, sollte die Gewalt kein Ende finden. Vier Tage später und zehn Kilo leichter endete das Morden vorübergehend. Sein letztes Todesfasten begann er im Jänner 1948, weil Indien sich weigerte Pakistan die 550 Millionen Rupien auszubezahlen, die es laut Teilungsvertrag schuldete.
Diese Aktionen zeigten, dass Gandhi, ganz im Gegensatz zu den nationalistischen Führern, die es sich in ihren neuen Ämtern gemütlich einrichteten, mit dem Herzen wirklich bei der Bevölkerung war.