Selbstvertrauen und Tränen

Interessantes Gefühl, einen Leserbrief für ein Magazin, bei dem man an der redaktionellen Arbeit beteiligt war, zu schreiben. Meine Ausrede: Davor hatte ich keine Zeit - ich kenne Linkswende noch nicht einmal ein ganzes Jahr und in der Zeit ist viel passiert - und von der möchte ich hier gerne berichten:
3. Dezember 2024 |

Kennengelernt habe ich LW und viele meiner jetzigen Genoss:innen auf dem Antikapitalistischen Kongress „Marx is Muss 2024“. Ich hatte schon seit Monaten nach einer Möglichkeit gesucht, mehr zu tun, als nur zwischen Nachrichten von Genozid, Rechtsruck und Grausamkeit von einer besseren Welt zu träumen. Das Nachrichtenverfolgen aufzugeben und zu resignieren steht mir einfach nicht.

Die Vielfalt der Themen, die informierten, breiten Diskussionen, die begeisterten Menschen: das hat mich auf dem Kongress nachhaltig beeindruckt. Anfangs noch skeptisch, wieviel ich mich engagieren wollen würde, sind mir die die Gruppentreffen dann schnell ans Herz gewachsen. Zu dem Zeitpunkt noch teilweise ein hoffnungsvoller Reformist, hab ich mich dazu überreden lassen, auch mal den ein oder anderen Infostand zu besuchen. Dort prallten meine angelernte soziale Distanz und die Angst vor anderen Menschen frontal gegen „die freie Demokratie, in der man sich eigentlich vor niemandem und keiner freien Meinungsäußerung fürchten braucht“. Auch auf meiner ersten Demonstration, bei der wir gegen einen Aufmarsch der Identitären auf die Straße gingen, sah ich enttäuscht, wie, gefühlt, mehr Polizei unsere Demo „begleitete“ als den Rechtsradikalen gegenüberstanden. Trotz Solidaritätskundgebungen von Passanten am Infotisch, die mein Gemüt für kurze Zeit heben konnten, hatte ich eher das Gefühl, das alles für mein Gewissen zu machen, anstatt für eine bessere Welt – auch nicht schlecht, aber nicht was ich wollte.

Natürlich habe ich, meinen Kapazitäten entsprechend geholfen, wo ich konnte – „Wenn scho, denn scho ghörig“. Und jeder Infostand, jede Demo, jedes selbst geklebte Plakat, jeder Satz durchs Megaphon, jede gelesene Broschüre und der eine Magazinverkauf, den ich geschafft hatte, überzeugte mich selbst etwas mehr vom revolutionären Kampf. Der entscheidende Punkt aber, der an dem ich begonnen habe „wir“ zu sagen, wenn ich über Linkswende gesprochen habe, war ein Gruppentreffen und ein Infostand zwei Tage später: In einem Vortrag über revolutionäre Parteien war die Rede von Selbstbewusstsein – dass man selbst von dem überzeugt sein muss, was man sagt, schreibt und tut. Ja, das ist ein Genozid. Ja, das sind Nazis. Denn, wie will man andere davon überzeugen, wenn man es selbst nicht ist?

Alles nochmal hinterfragend, konnte ich sagen: „Ja, von all dem bin ich wirklich überzeugt“. Und schon klappten die Verkäufe und Mobilisierungen besser. Schon stand ich, stolz auf unsere Arbeit, beim Infostand und hatte weniger Probleme damit, Menschen anzusprechen und um Spenden zu bitten. Deshalb habe ich letztens eine junge Passantin angesprochen, die den Tränen nahe und etwas verloren wirkte. Sie hat mir dann unter Freudentränen für unsere Arbeit und unseren Mut gedankt und wollte selbst helfen.

Genau das ist revolutionäre Praxis. Wir helfen anderen, für sich einzustehen, und stehen für die ein, die es nicht selbst können. Und anders, als ich anfangs gedacht habe, geht das nur auf der Straße.