Ägyptens Foltergefängnisse

Die Operation Luxor war ein Geschenk Österreichs an Ägyptens Militärdiktator El-Sisi. In Österreich lebende Regimekritiker sollten offensichtlich kriminalisiert werden. Mindestens ein Mann wurde abgeschoben und landete direkt in Sisis Foltergefängnissen. Alaa Abd el-Fattah ist der bekannteste ägyptische Menschenrechtsaktivist, der nun seit beinahe zehn Jahren schwersten Misshandlungen ausgesetzt ist. Ein Bericht aus den Gefängnissen der westlichen Wertegemeinschaft.
30. März 2023 |

Alaa ist ein ägyptischer Schriftsteller, Technologe und politischer Aktivist. In den frühen 2000er-Jahren startete er als Programmierer und Blogger. Gemeinsam mit seiner Frau arbeitete er daran, den Zugang zum Internet für arabische Menschen zu erleichtern. Er übersetzte Fachbegriffe und Benutzeroberflächen ins Arabische und erstellte seine eigene Plattform, die ein Sammelbecken für Online-Aktivismus in Ägypten wurde.

Aus fünf wurden zehn Jahre

Unter jedem ägyptischen Regime wurde Alaa bisher verfolgt oder inhaftiert. Seine erste Haftstrafe saß er 2006 unter Mubarak ab, weil er sich einem Protest für eine unabhängige Justiz angeschlossen hatte. Im Jänner 2011 beteiligte er sich an der Revolution, die ihn umfassender politisierte. Nach der kurzen Regierungszeit Mohammed Mursis schlug die Konterrevolution unter Abdel Fatah El-Sisi zu und griff gezielt die Idole der Revolution an. Und so wurde Alaa zur Zielscheibe und zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er an einem Protest gegen ein drakonisches Demonstrations-Gesetz teilgenommen hatte. Anfang 2019 hatte er diese fünf Jahre abgesessen, doch musste er sich seither täglich von 6 Uhr Früh bis 18 Uhr abends in einer Polizeistation aufhalten. Dort wurde er schließlich eines Tages verhaftet, als er am Abend heimgehen wollte.

Im Tora-Gefängnis bekam er eine „Willkommensfeier“, Schläge und Folter durch zwei Reihen Gefängniswachen beim Betreten des Gebäudes. Bis dahin war er aufgrund seiner Bekanntheit, seines hohen gesellschaftlichen Standes und seiner Statur von solchen Qualen verschont geblieben. Ein Offizier begrüßte ihn mit den Worten: „Wir hassen die Revolution. Diesmal kommst du hier nicht mehr raus.“ Er wurde in den Hochsicherheitstrakt gesperrt, bekam kein Sonnenlicht, keine Frischluft und durfte die Zelle nicht verlassen. Er konnte nicht lesen, kein Radio hören, hatte nichts zu schreiben und nicht einmal eine Matratze. Bis April 2022 verbrachte er in solcher Isolationshaft.

Ungebrochen weiter politisch

Er nutzte in dieser Zeit seine Anhörungen, um politische Reden zu halten, die seine Anwälte aus dem Gedächtnis aufschreiben und seiner Familie zur Veröffentlichung übergaben. Es waren vor allem Beschwerden über die Haftbedingungen, aber auch Analysen der politischen Situation und auch ein Manifest der Grundsätze seiner politischen Überzeugung.

Alaa beschreibt wie Menschen in politischer Gefangenschaft behandelt werden: „Oft kommen die Gefangenen erst an, wenn der Richter schon gegangen ist. Es spielt keine Rolle: Du bist ein Gefangener, deine Zeit gehört nicht dir – und sie ist ohnehin wertlos.“

Offiziell befand er sich die ganze Zeit in Untersuchungshaft, diese wird vom Sisi-Regime gezielt zur Repression politischer Gegner_innen eingesetzt. Bis zu zwei Jahre Untersuchungshaft sind möglich, doch gegen Ende der Frist wird einfach ein neuer Antrag mit neuen Vorwürfen gestellt und die Periode beginnt neu. Alaas Fall ist einer von vielen.

Er wurde schließlich vor ein Staatssicherheitsgericht gestellt, dabei wurden der Verteidigung die Prozessakten nicht vorher gezeigt, das Urteil dieses Gerichts kann nicht angefochten werden. Er wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er einen Tweet weiterverbreitet hatte, der die Folter eines Gefangenen durch einen Sicherheitsbeamten beschrieb. Dieselben Leute hatten auch ihn gefoltert. Die zwei Jahre bis dahin wurden nicht auf die Haftzeit angerechnet. Es ist klar, dass er im Gefängnis verrotten soll.

Peinlich für den Westen

Am 2. April 2022 begann Alaa einen Hungerstreik im Hochsicherheitstrakt. Es war die einzige Möglichkeit für ihn wieder über seinen Körper entscheiden zu können. Bis 10. November hielt er diesen aufrecht und erwirkte in dieser Zeit grundlegende Verbesserungen seiner Haft. Seit seiner letzten Inhaftierung läuft die Kampagne #FreeAlaa, die vor allem von seiner Familie getragen wird. Sie veröffentlichten 2021 ein Buch mit Sammlungen seiner Texte, das Ende 2022 unter dem deutschen Titel „Ihr seid noch nicht besiegt“ veröffentlicht wurde.

Im November 2022 wurde sein Fall nochmal einer größeren Öffentlichkeit bekannt, da mit der COP27 in Ägypten ein Scheinwerferlicht auf das Regime und seine Verbrechen gerichtet wurde. Westliche Regierungschefs warnten Sisi, dass es auf sie alle zurückfallen könnte, wenn ein enger westlicher Verbündeter, wie Ägypten, so grausam gegen Menschenrechtsaktivisten vorgeht.

Derzeit gibt es zehntausende politische Gefangene in Ägyptens Gefängnissen. Würde Alaa freigelassen, könnte das einen Wendepunkt im Status der mit politischen Gefangenen umgeinläuten. Noch gibt sich das Regime unerbittlich. Es muss sehr repressiv vorgehen, weil es keine breite Basis der Unterstützung in der Bevölkerung mehr gibt. Ein kleiner Zirkel, der sich aus Offizieren, Geheimdienstleuten und Polizei zusammensetzt, beherrscht das Land.

EUROS für Folterknechte

Ägypten erhält jedes Jahr hunderte Millionen Euro aus der EU, um Menschen am Überqueren des Mittelmeers zu hindern und in Lager zu stecken. Die Internationale Organisation für Migration der Vereinten Nationen (IOM) bestätigte zuletzt, dass nach den Afghan_innen die meisten undokumentierten Flüchtlinge aus Ägypten kommen. Der Großteil sind junge Männer, die keine Zukunft sehen und dieser politischen Verfolgung ausgesetzt sind.

Alaa macht sich keine Illusionen, dass die ägyptische Revolution besiegt wurde. Viele Revolutionär_innen sind von den Erfahrungen der Konterrevolution traumatisiert worden und wollen sich der Realität nicht stellen. Er nimmt die Niederlage aber nicht einfach so hin: „Wir wurden besiegt, lasst uns untersuchen, warum wir besiegt wurden, was unsere Fehler waren, was wir aus dieser Niederlage lernen können und wie wir vorankommen können.“

Wir sind noch nicht besiegt

Eine der letzten wichtigen Reden ließ Alaa auf der RightsCon, eine bedeutenden Menschenrechts-Konferenz, übermitteln. Seine zentrale Aussage: Wir stehen weltweit vor großen Umbrüchen, in welche Richtung diese gehen, wird noch ausgefochten. Er appelliert: Im Gegensatz zu mir seid ihr noch nicht besiegt. Also kämpft. Konkret fordert er: „Repariert eure eigene Demokratie, spielt nicht das Spiel der Nationen, verteidigt Komplexität und Diversität.“ Die größte Hilfe, die wir Alaa und den zehntausenden politischen Gefangenen bieten können, ist unsere Regierungen unter Druck zu setzen. Ägypten ist auf die Beziehungen mit und das Geld aus dem Westen angewiesen. Also reparieren wir unsere Demokratie, oder noch besser begründen wir sie neu als Arbeiter_innendemokratie.