Die Corona-Pandemie: Scheideweg für das Klima

Die COVID19-Pandemie stellt gerade die Welt auf den Kopf. Damit tun sich auch Chancen für das Klima auf. Es gibt allerdings verschiedene Wege damit umzugehen, gute und schlechte.
21. Mai 2020 |

In China sind seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie die Schadstoff- und Treibhausgasemissionen massiv gesunken, weil große Teile der Industrie still liegen und der Straßenverkehr massiv abgenommen hat. Im Februar 2020 sanken die CO2-Emissionen in China um 25% gegenüber dem Vorjahr, das sind 200 Millionen Tonnen CO2 weniger. In Deutschland könnten durch die Corona-Pandemie die CO2-Emissionen um 30 bis 100 Millionen Tonnen sinken, damit würde Deutschland erstmals die selbstgesteckten Klimaziele erreichen, die Emissionen gegenüber 1990 um 40% zu senken. Grund dafür ist ebenfalls der Rückgang der Industrie, insbesondere der Industrie-Exporte und der sinkende Verkehr. Satelliten-Messungen von China und Norditalien, zwei besonders stark von der Pandemie betroffene Regionen, zeichnen auch einen massiven Rückgang der Stickstoffdioxid-Konzentrationen auf. Stickstoffdioxid (NO2) ist ein gesundheitsschädliches Gas, das hauptsächlich bei Verbrennung fossiler Brennstoffe entsteht. Auch in Wien lässt sich der Rückgang bereits messen, dank des abnehmenden Verkehrs.

Die Automobilkonzerne Fiat und Volkswagen, die in Norditalien einige Werke haben, haben Betriebe stillgelegt. PSA und Magna haben die österreichischen Fabriken geschlossen. In Linz mussten Arbeiter_innen die Firmenleitung mit Streiks dazu zwingen, den gesundheitsgefährdenden Betrieb einzustellen. Einem Beispiel, dem viele folgen sollten. Der Flugverkehr, der in den letzten Jahren besonders von staatlicher Seite aufgepumpt wurde, ging zurück und Flughäfen weltweit stellten ihren Betrieb ein. Andere Firmen stellten die Produktion zumindest teilweise auf die Herstellung von Atemschutzmasken um.

Plötzlich stehen hunderte Milliarden an Steuergeldern den Unternehmen zur Verfügung. Österreich greift der Wirtschaft mit 38 Milliarden Euro unter die Arme. Die USA schürt ein Hilfspaket von über 3 Billionen (3000 Milliarden) Dollar. Offensichtlich ist Geld da, das für Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit verwendet werden könnte.

Scheideweg

Der Lockdown könnte die Chance sein, Gelder neu zu verteilen, Produktionen umzustellen und zu demokratisieren. Ansätze eines solchen Weges wurden beispielsweise im Klima-Corona-Deal formuliert. Doch weder die Wirtschaft noch Regierungen haben vor mit den Geldern auf Nachhaltigkeit umzustellen. Der aktuelle Rückgang der Emissionen könnte nur von kurzer Dauer sein.

Kapitalismus antwortet auf einen derartigen Lockdown nicht mit Demokratisierung und Solidarität, sondern mit Massenarbeitslosigkeit, verschärftem Wettbewerb zwischen Unternehmen und höherem Konfliktpotential zwischen Staaten. Alles Dinge, die der Klimagerechtigkeit entgegenwirken. Wenn wir die derzeitige Chance für das Klima und die Gesellschaft nutzen wollen, werden wir dafür kämpfen müssen. Gesellschaftliche Kämpfe werden die Richtung bestimmen. Bleibt unsere Seite schwach, wird die Welt weiter nach kapitalistischen Maßstäben von Unternehmen und Regierungen gestaltet werden. Die Klimakrise und die Corona-Krise zeigen uns, dass dieser Weg immer verheerendere Folgen für Mensch und Natur haben wird. Wenn wir stark sein wollen, werden wir als Arbeiter_innenklasse kämpfen müssen.

Große Gefahr für das Klima

Die Debatten um die Milliarden-Pakete für die Wirtschaft haben bereits begonnen. Der tschechische Regierungschef hat die EU-Kommission aufgefordert wegen der Corona-Krise die Klimaschutzpläne zurückzustellen. Der europäische Automobilhersteller-Verband forderte die CO2-Auflagen für Neuwagen zu verschieben. In Deutschland fordern FDP und CDU die geplante Erhöhung der Luftverkehrssteuer zurückzunehmen. Auch die Rücknahme der bereits beschlossenen CO2-Preise wird diskutiert. Selbst gegen diese völlig lächerlichen Mikro-Klimaschutzmaßnahmen stellen sich Wirtschaft und Politik quer. Die in der Vergangenheit immer wieder von der Politik erträumten, angeblich mit entsprechenden Anreizen erreichbaren Milliarden-Investitionen der Wirtschaft in den Umbau der Produktion zur Nachhaltigkeit rücken in unendliche Ferne.

Auch in der letzten Wirtschaftskrise 2008, so wie in allen Krisen davor, sanken die Treibhausgas-Emissionen kurzfristig um danach schneller anzusteigen als je zuvor. Der Ölpreis ist durch die Corona-Krise massiv gesunken und mit weniger als 23,5 Dollar pro Barrel schon jetzt so niedrig wie seit 2002 nicht mehr – ein Grund mehr für Unternehmen auf Erdöl als Energieträger zu setzen. Die omnipräsente fossile Infrastruktur (über 85% der Primärenergie-Produktion kommt aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe) wird in Krisenzeiten ein noch zentraleres Standbein der Wirtschaft.

Es ist kein Zufall, dass bisher alle seit 1992 jährlich stattfinden Klimakonferenzen ohne nennenswerte Ergebnisse blieben, allen Warnungen aus der Wissenschaft zum Trotz. Die Wirtschaft braucht die Profite und findet sie nicht in einer massiven Umstellung, sondern in der Nutzung und Umverteilung der bisherigen fossilen Infrastruktur.

Gefahr des autoritären Staates

Ein autoritärer Staat wird die Möglichkeiten, dass Menschen sich von unten engagieren und die Gesellschaft mitgestalten können, einschränken. Autoritäre Staaten werden umso mehr die Klimazerstörung der kapitalistischen Wirtschaft gegen die Bevölkerung durchsetzen können. Die Klimabewegung durfte schon spüren wie Braunkohle-Tagebauten mit Gewalt von Polizisten gegen Blockaden verteidigt und Proteste gegen Gas-Pipelines mit Tränengas besprüht wurden.Die Klimabewegung muss auf Kontrolle von unten setzen, anstatt auf die Gnade der staatlichen Autorität. Wir müssen die Regierungen vor uns hertreiben, nicht umgekehrt.

Notwendige Maßnahmen

Gerade deswegen sollte man die Debatte um staatliche Maßnahmen nicht vernachlässigen. Wir sollten fordern, dass die Klimakrise von staatlicher Seite mindestens genauso ernst genommen wird wie die Corona-Pandemie. Die Milliarden an Steuergeldern, die für die Wirtschaft zur Verfügung gestellt werden, müssen dazu genutzt werden, die Industrie für nachhaltige Produktion so weit wie möglich umzubauen. Schlüsselindustrien müssen verstaatlicht werden, um eine langfristige Planung zu ermöglichen. Arbeitsabläufe, Lieferketten und vieles mehr müssen umgestellt werden. Gelder müssen für die thermische Sanierung von Gebäuden und für die Verlagerung des Personen- und Warentransports auf die Schiene zur Verfügung stehen. Landflächen sollen zur Aufforstung und zur Renaturierung von Mooren ausgewiesen werden. Bestehendes Know-How muss eingesetzt, Forschung ausgeweitet werden. Die Förderung fossiler Brennstoffe muss sofort gestoppt werden, Finanzmittel für fossile Brennstoffe ebenfalls für den Klimaschutz benutzt werden. Wir können bei einer ökosozialen Umstellung Millionen Arbeitsplätze schaffen. Solche Forderungen konnten vor der Corona-Pandemie von der Politik als Utopismus abgetan werden. Jetzt konnten wir jedoch sehen, wie schnell und wie drastisch Maßnahmen ergriffen werden können.

Kontrolle von unten

Diese Chance nehmen wir alle irgendwie wahr. Wir beobachten derzeit eine große Welle der Solidarität. Menschen stellen aus Rücksicht auf andere ihre Lebensgewohnheiten um und unterstützen gefährdete Menschen. Gewerkschaften mischen sich ein und fordern Unterstützung für die Vielen, die jetzt um ihre Zukunft bangen müssen. Und tatsächlich ist es möglich, klimaschädliche Industrien zu schließen und die bestehende Infrastruktur an Fabriken und anderen Produktionsmitteln für Dinge zu nutzen, die gerade wirklich notwendig sind. Das riesige Potential der Menschen, eine solidarische Welt aufzubauen, wird in Ansätzen sichtbar, auch wenn sich Regierungen (und allen voran die Europäische Union) bemühen die Solidarität exklusiv zu halten, Flüchtlinge und Obdachlose weiter auszugrenzen, Pflegekräfte und Ärzt_innen in unterfinanzierten Gesundheitssystemen Überstunden schuften zu lassen, Unternehmen anstatt Arbeiter_innen zu unterstützen.

Ein zentraler Aspekt dieser ganzen Maßnahmen ist jedoch, welche Rolle die Arbeiter_innen selbst bei der Umstellung der Produktion spielen. Wenn man sie demokratisch einbindet, steht sowohl mehr Know-How zur Verfügung als auch bessere Möglichkeiten Bedürfnisse zu berücksichtigen. Es ist zu erwarten, dass die Wirtschaftsbosse sich nicht freiwillig von ihren Profiten verabschieden. Umso wichtiger sind eine starke Zivilgesellschaft und eine starke Arbeiter_innenbewegung. Die Staaten waren immer ein Instrument, um Wirtschaftsstandorte zu sichern. Jede Maßnahme zum Klimaschutz wird erkämpft werden müssen. Je weitreichender die Maßnahme, desto heftigere Kämpfe muss man erwarten. Wir sind mitten in einer epochalen Krise. Entweder wir nutzen sie als Chance oder wir werden die Folgen mit viel Leid bezahlen müssen.

Wir sehen aktuell, dass Menschen sehr solidarisch sein können, dass wir die Notbremse ziehen können, wenn nötig. Um die Klimakrise zu stoppen, kann es, anders als bei der Corona-Pandemie, nicht bei der Notbremse bleiben. Wir müssen auch das Ruder übernehmen. Wir dürfen die wirtschaftlichen Umwälzungen, die zwangsläufig kommen werden, nicht den bisherigen wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsträgern überlassen, die bisher, allen Warnungen der Wissenschaft zum Trotz, drastische Maßnahmen zur Lösung der Klimakrise abgelehnt haben. Jede solidarische Bewegung, die menschliche Bedürfnisse vor Wirtschaftsinteressen gestellt hat, die sich für Klimagerechtigkeit eingesetzt und Grenzen überwunden hat, wurde und wird von den Regierungen mit Rassismus und Polizeigewalt bekämpft. Dabei sind das alles Dinge, deren Notwendigkeit mit jedem Tag sichtbarer wird. Wenn die Machtverhältnisse so bleiben wie vor der Pandemie, kann man davon ausgehen, dass sich in der Wirtschaftskrise weder um Arbeitslose, Geringverdiener_innen und Flüchtlinge gesorgt wird, noch das Klima geschützt.

Eine Bevölkerung, die mindestens seit einem Jahr regelmäßig für das Klima protestiert, zum Teil auch schon deutlich länger; Arbeiter_innen, die sich eben nicht gefallen lassen, dass sie trotz der Pandemie zur Arbeit fahren müssen und Gewerkschaften, die sie dabei unterstützen; Pflegekräfte, die sich für eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich einsetzen; Menschen, die offene Grenzen fordern, ob als Flüchtling oder als jemand, der mit Flüchtlingen solidarisch ist – das sind die wahren Hoffnungsträger für eine klimagerechte Welt.