Rassismus und Revolution in den USA

Die kaltblütige Ermordung von George Floyd durch den Polizisten Derek Chauvin sorgt in den USA für Massenaufstände auf den Straßen des ganzen Landes. Der rassistische Polizeimord ist kein Einzelfall – Rassismus ist tief verwurzelt in der Logik des kapitalistischen Systems. Nur eine Revolution kann uns davon befreien. Der Artikel erschien zuerst bei der britischen Zeitschrift Socialist Worker. Übersetzt aus dem englischen von Katharina Anetzberger.
2. Juni 2020 |

Während Amerika vor Wut über den Mord an George Floyd brannte, flehten Mediensprecher die Demonstrierenden an, die Straßen zu verlassen und stattdessen „demokratische“ Methoden anzuwenden, um ihrer Wut Luft zu machen.

Doch Cornell West, einer der führenden Intellektuellen des schwarzen Amerikas, wandte sich an CNN, und prangerte diese Methoden als Schwindel an. „Das System kann sich nicht selbst reformieren. Wir haben es mit schwarzen Gesichtern in hohen Positionen versucht“, betonte er.

Die Alternative, sagte er, sei „Revolution“ und „mit Revolution meine ich das demokratische Teilen von Macht, Ressourcen, Reichtum und Respekt“.

Wests Aufruf hätte in den späten 1960er-Jahren ein breites Echo gefunden, als die schwarzen Ghettos in ganz Amerika jeden Sommer explodierten. Polizeirassismus, Arbeitslosigkeit und Armut von Schwarzen und das Leben in Slums brachten die Menschen auf die Straße.

Damals war das Establishment fast ausschließlich weiß. So vermischten sich die Ideen, das System zu stürzen, leicht mit denen, Schwarze zu wählen, um die Weißen an der Spitze zu ersetzen.

Selbst die radikalsten Gruppen, wie die Black Panther Party, verbanden ihr Engagement für die Revolution mit der Vorstellung einer Reform des Systems. Sie stellten eine Vielzahl von Sozialprogrammen zusammen und führten Wahlkampagnen durch, während sie gleichzeitig mit deutlich zur Schau getragenen Gewehren zur Kontrolle der rassistischen Polizei patrouillierten.

Repression

Die Strategie, Schwarze in hohe Ämter zu wählen, begann als Ergänzung des Kampfes. Doch als die kämpferischen 1960er-Jahre einer Rezession und der Repression in den 1970er-Jahren wichen, wurde sie immer wichtiger.

Im März 1969 hatten landesweit 994 schwarze Männer und 131 schwarze Frauen ein Amt inne. Bis Mai 1975 hatte sich diese Zahl auf 2.969 Männer und 530 Frauen mehr als verdreifacht.

Und als die Zahl der Schwarzen in hohen Ämtern in die Höhe schoss, wurde auch die Bewegung auf den Straßen kleiner. Jetzt konnte man, wenn man wollte, dass etwas getan wird, zu einem schwarzen Bürgermeister, Senator oder Kongressabgeordneten gehen, anstatt sich auf die Kraft von Protesten und Organisationen zu verlassen.

Ein weiterer Effekt dieser Strategie war die Vergrößerung der schwarzen Mittelschicht. Es gab nicht nur Schwarze in hohen Ämtern, sondern ihre Kinder konnten nun auch die Elite-Institutionen besuchen, die ihnen einst verschlossen waren.

Sie können in den Vorständen von Weltkonzernen sitzen und in Wohngegenden leben, die einst nur wohlhabenden Weißen vorbehalten waren.

Die Strategie erreichte ihren Höhepunkt mit der Wahl von Barack Obama im Jahr 2008.

Es ist schwer, die Wirkung von Obamas Wahl zum ersten schwarzen Präsidenten eines Landes, das ihn etwas mehr als hundertfünfzig Jahre zuvor als Sklave in Ketten gelegt haben könnte, zu überschätzen.

Die Erwartungen waren extrem hoch und wurden von Obamas offenen Slogans „Hope“ und „Change“ angetrieben.

Nach der Rassentrennung

Mainstream-Kommentatoren sprachen nun von den USA als eine „post-rassische“ Gesellschaft. Aber es dauerte nicht lange, bis sich Risse auftaten.

Vor allem viele ärmere Schwarze fragten nun: Wie kommt es, dass wir einen schwarzen Präsidenten, einen schwarzen Generalstaatsanwalt und schwarze Polizeikommissare haben, aber wir können keine Bullen wegen Mordes anklagen, wenn sie unbewaffnete Schwarze töten?

Wie kommt es, dass schwarze Amerikaner sechsmal so häufig wie Weiße inhaftiert werden? Warum werden weiße Männer mit Vorstrafen genauso häufig angeheuert wie schwarze Männer ohne Vorstrafen?

Wie kommt es, dass das Wohlstandsgefälle zwischen Schwarzen und Weißen immer größer wird? Und warum ist die Kluft zwischen armen Schwarzen und reichen Schwarzen sogar noch schneller gewachsen?

Fragen wie diese untergraben die Vorstellung, dass die Wahl schwarzer Beamter die Antwort für die am meisten Unterdrückten sei.

Wenn Obama mit all seiner Raffinesse, Cleverness und seinem Charme die rassistische Natur der Vereinigten Staaten nicht ändern konnte, war das nicht der Beweis dafür, dass etwas Grundlegenderes, Systemisches für den Rassismus verantwortlich ist und nicht die Hautfarbe des angeblich Verantwortlichen?

Dieser Punkt wäre von dem radikalen schwarzen Denker Malcolm X gut verstanden worden, der 1964 darauf hinwies, dass „man keinen Kapitalismus ohne Rassismus haben kann“. Und Martin Luther King hatte 1967 argumentiert: „Wir müssen jetzt sehen, dass die Übel des Rassismus, der wirtschaftlichen Ausbeutung und des Militarismus alle miteinander verbunden sind… man kann nicht wirklich das eine loswerden, ohne auch die anderen zu beseitigen.“

Beide kamen zu der Einsicht, dass Rassismus im Kapitalismus endemisch ist und nicht bloß eine Verirrung, die durch Reformen und bessere Bildung beseitigt werden kann. Das liegt daran, dass das Überleben von Kapitalismus vom Prinzip des Teilens und Herrschens abhängt.

Staat

Diejenigen, die jetzt auf den Straßen von Minneapolis und darüber hinaus kämpfen, stehen der bewaffneten Macht des Staates gegenüber – einer Maschine, deren Hauptzweck es ist, das System zu verteidigen. Die militarisierte Polizei mit ihren Pfeffersprays, automatischen Waffen und Panzern kann uns als zu stark erscheinen, um besiegt zu werden.

Aber die Revolution hat ihr eigenes Arsenal.

In Büros, Fabriken, Schulen, Krankenhäusern und Transitsystemen arbeiten Millionen von Menschen, ohne die das System nicht funktionieren kann. Die Aufgabe besteht nun darin, die Wut und den Geist des Widerstands, der auf den Straßen herrscht, auf die Arbeitsplätze zu übertragen.

Diejenigen, deren Leben durch die wirtschaftliche Gewalt unserer Herrscher beschnitten wird, müssen das Argument hören, dass dieses System, das bereit ist, ihr Leben dem Gott des Profits zu opfern, dasselbe System ist, das bösartigen Rassismus benutzt, um uns gespalten und unterdrückt zu halten.

Die uralten Vorurteile, die es einigen Arbeiter_innen erlauben, sich aufgrund ihrer Hautfarbe überlegen zu fühlen, können gebrochen werden. Nachdem sich 40 Millionen Amerikaner_innen in die Warteschlange der Arbeitslosenversicherung einreihen, kann diese falsche Behauptung mit Leichtigkeit widerlegt werden.

Eine Revolution ist keine leichte Aufgabe, aber die Reihen derer, die dafür kämpfen wollen, sind durch eine Welle des Abscheus vor den rassistischen Morden durch die Polizei angeschwollen – und vor dem bösartigen System der Ausbeutung, das die Bullen verteidigen.