Eine Schicksalskoalition? Die Extreme Rechte in Europa und Israel
Dass die immer mehr an Einfluss gewinnende extreme Rechte in Europa mit Benjamin Netanjahu, dem mittlerweile am längsten amtierenden israelischen Ministerpräsidenten Israels, einen ungewöhnlichen Bettgenossen gefunden hat, mag schließlich angesichts des historisch bedingten Verhältnisses der europäischen extremen Rechten zu Antisemitismus zwar verwundern. Sieht man genauer hin, zeig sich jedoch, dass es nicht nur durchaus ideologische Überschneidungen der beiden Seiten gibt, sondern auch die Suche nach transnationalen Bündnispartnern sowie nach politischer Legitimation im Mainstream eine große Rolle zu spielen scheinen. Wie diese „Schicksalskoalition“ als etwas mit langer historischer Tradition zu verstehen ist, und was die Beweggründe der involvierten Akteure dafür sind, solch eine Koalition aufrechtzuerhalten, wird in Folge nachgezeichnet.
Akt 1: Schicksalshafte Anbiederung
Wir erinnern uns an das Jahr 1999, als mit der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) erstmals in der Nachkriegsgeschichte im deutschsprachigen Raum eine Partei vom rechten Rand in Regierungsverantwortung gelangte. Der Tabubruch war vollzogen, die internationale Ächtung folgte prompt. Nicht nur die Europäische Union distanzierte sich klar von Österreich und etablierte Sanktionen auf der Ebene der Diplomatie, sondern auch Israel antwortete rasch mit Kritik und Unverständnis. Die damals amtierende Regierung unter der Führung von Premier Ehud Barak (Arbeiterpartei Avoda) ließ unter anderem sogar den Botschafter abziehen. Eine Kooperation mit einer Partei dessen damaliger Vorsitzender (Jörg Haider) Teile der NS-Politik relativierte, konnte und wollte man sich in Israel zur Jahrtausendwende (noch) nicht leisten.
Die Bekämpfung „islamischen Terrors“, vor allem vor dem Hintergrund der zweiten Intifada, sollte fortan als zentraler Stützpfeiler der Kooperation zwischen der europäischen Rechten und Israel gelten.
Doch ein aus dem Wandel des parteipolitischen Klimas in Israel erwachsener Sinneswechsel sollte bald folgen. Jörg Haider scheiterte zu seiner Zeit noch in seinem Bemühen, Anerkennung jüdischer Organisationen und Interessensvertretungen sowohl im In- als auch im Ausland zu gewinnen. Anders jedoch stand es um Gianfranco Fini, der im Jahr 2003 zusammen mit dem damaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Italien, Amos Luzzatto, nach Israel reiste um sich und seine Partei, die Alleanza Nationale (AN), von ihrem postfaschistischen Image reinzuwaschen. Fini, der 1994 noch meinte, Mussolini sei für ihn „einer der größten Staatsmänner“, ließ sich rund ein Jahrzehnt später vor der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem mit Yarmulke auf dem Kopf ablichten, und genoss dabei die vollste Gastfreundschaft der damaligen Regierung Israels unter Ariel Scharon (zur Zeit Likud).
Nicht nur die diskursive Absolution der postfaschistischen Vergangenheit Gianfranco Finis und der AN stand 2003 jedoch auf dem Tagesplan. Fini nutzte auch die Gelegenheit, Sharon und seinen Parteikollegen zu versichern, dass er felsenfest hinter der israelischen Sicherheitspolitik gegenüber der palästinensischen Bevölkerung und dem „antiterroristischen Schutzwall“ stehe. Die Bekämpfung „islamischen Terrors“, vor allem vor dem Hintergrund der zweiten Intifada, sollte fortan als zentraler Stützpfeiler der Kooperation zwischen der europäischen Rechten und Israel gelten. Islamfeindliche und antimuslimische, schließlich also rassistische Politik gegenüber arabischstämmigen Menschen im Allgemeinen, gilt somit schon seit Jahrzehnten als der wohl wichtigste ideologische Anker rechtsextremer Bewegungen in Europa und in Israel.
Der international vielkommentierte Freundschaftsbesuch Gianfranco Finis kann folglich als der Stein gedeutet werden, der die fortweilende Anbiederung der europäischen Rechten an Israel ins Rollen gebracht hat. Auch wenn es natürlich zuvor bereits Annäherungsversuche gegeben hat, so trugen die Erstarkung der rechtsextremen Partei Likud in Israel, sowie eine veränderte Nahost-Konfliktdynamik im Zuge der zweiten Intifada, mit Sicherheit dazu bei, die Hemmschwellen sukzessive abzubauen. Die ideologischen Überschneidungspunkte waren bereits offensichtlich. Man musste sich nur noch trauen, es offen auszusprechen.
Akt 2: Enge Freundschaften
Dass dieser Abbau der Hemmschwellen tatsächlich auch mit Ehrgeiz verfolgt wurde, lässt sich am Besuch einer 30-köpfigen Delegation der Europäischen Allianz für Freiheit (EAF) im Dezember 2010 in Tel Aviv zeigen. Die nur ein paar Monate vor dem Besuch in Israel gegründete EAF, eine politische Partei auf europäischer Ebene, bestand bis zu ihrer Auflösung 2017 aus einer Ansammlung von Einzelpersonen aus dem rechtspopulistischen bis rechtsextremen Milieu. Der ehemalige Vorsitzende der EAF, Godfrey Bloom, ordnete seine Partei zwar als politisch diverse Organisation ein, deren Mitglieder jedoch vor allem in einem Punkt klar übereinstimmten: Die Konstruierung Europas als hegemoniales Feindbild. Der extremen Rechten in Europa geht es in Hinblick auf EU-Skepsis jedoch nicht um eine strukturelle Kritik an den neokolonialen Tendenzen des europäischen militärisch-industriellen Komplexes als Ausdruck eines in den Eurasischen Raum verlängerten US-Imperialismus, wie sie etwa zu Recht von linken Bewegungen und Akteuren formuliert wird. Viel plumper wird die EU bei der extremen Rechten als ein Konstrukt kritisiert, das von oben herab die Selbstbestimmung der „Nationen“ und „Völker“ Europas einschränken würde. Statt legitimer struktureller Kritik an der EU werden dahingegen von der extremen Rechten patriotisch motivierte Phantasien ethischer Nationalismen bedient. Neben jener Form von Europaskepsis war jedoch auch, wie schon zuvor, Islamfeindlichkeit ein zentraler Angelpunkt der EAF, mit welchem sie sich nahtlos in die Politiklinie der europäischen Rechten als Kampf gegen die imaginierte „Islamisierung Europas“ einreihen konnte.
Mit dem Label der Terrorbekämpfung wird versucht, islamfeindliche Rhetorik und Politik zu legitimieren und als rechtmäßige Vorgangsweise im Kontext notwendiger israelischer Sicherheitspolitik darzustellen.
Die Delegation der EAF für den Besuch in Israel umfasste damals einige auch heute noch bekannte und durchaus politisch relevante Gesichter, nämlich unter anderem Geert Wilders (Partij voor de Vrijheid, Niederlande), Filip Dewinter (Vlaams Belang, Belgien), und Heinz-Christian Strache (ehemals FPÖ, Österreich). Zahlreiche Vertreter:innen rechtsextremer Parteien, die teilweise Holocaust-Leugner:innen und Antisemit:innen beherbergten, wurden vom Likud eingeladen, um sich über Israels „Krieg gegen den Terror“ auszutauschen.
Mit dem Label der Terrorbekämpfung wird versucht, islamfeindliche Rhetorik und Politik zu legitimieren und als rechtmäßige Vorgangsweise im Kontext notwendiger israelischer Sicherheitspolitik darzustellen. Die Aussagen eines Likud-Abgeordneten aus dem Juni 2011 gegenüber der israelischen Tageszeitung Maariv illustrieren jedoch, dass es sich dabei wahrscheinlich nur um eine Fassade handeln kann: „Ich suche nach Möglichkeiten, den islamischen Einfluss in der Welt zu bremsen.“ Dass die europäische Rechte, die ihrerseits keine größeren Sorgen kennt, als die mögliche Entstehung „islamischer Gottesstaaten“, an der islamfeindlichen Politiklinie des Likuds Gefallen finden kann, verwundert jedenfalls nicht.
Nun ist es nicht so, dass solche Treffen und die dort getroffenen Aussagen nicht international angeprangert oder gar sanktioniert werden würden. Im Gegenteil: Beispielsweise boykottierten die Israelische Botschaft sowie die dortige jüdische Gemeinschaft die Partei Vlaams Belang unter der Führung des Rechtsradikalen Filip Dewinter. Dies hielt jedoch Ofir Akunis, heutiger Wissenschaftsminister im Kabinett Netanjahu, im Jahr 2014 nicht davon ab, sich mit einer Delegation von Vlaams Belang zu treffen und sich positiv gegenüber ihr als wohlgeschätzter Bündnispartner zu äußern. Interessant zu beobachten ist dabei schließlich, dass offizielle Diplomat:innen Versuche der Annäherung an Persönlichkeiten und Parteien aus dem extrem-rechten Spektrum kritisch sehen und eher vorsichtig agieren, während die israelische Regierungskoalition ganz unverfroren eine tiefere Freundschaft und Zusammenarbeit befürwortet, zumindest insofern es für die Förderung der politischen Agenda Israels, schließlich also der rassistischen und orientalistischen Dämonisierung der muslimischen Bevölkerung in Palästina und den angrenzenden Staaten, nützlich erscheint.
In den Jahren nach 2014 folgten noch etliche weitere Treffen und zahlreiche rechtsextreme Politiker:innen wurde Sympathie von Seiten Israels zugesprochen. So gab etwa der Likud-Abgeordnete im Knesset Oren Hazan 2017 bekannt, dass er Marine Le Pen im Falle einer Präsidentschaftskanditatur in Frankreich unterstützen würde. Im Jahr 2018 bezeichnete Benjamin Netanjahu den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán als einen wahren Freund Israels. Dass Miklós Horthy, ehemaliges Staatsoberhaupt des Königreichs Ungarns, welcher bereits 1920 damit begonnen hatte, antisemitische Gesetze zu erlassen, von Orbán als „außergewöhnlicher Staatsmann“ bezeichnet worden war, schien jedoch für das israelische Außenministerium auch kein Grund gewesen zu sein, die israelisch-ungarische Freundschaft zu hinterfragen. Ebenso mit dem von der PiS regierten Polen versuchte Netanjahu sich anzufreunden. Außerdem traf er sich 2018 mit dem ehemaligen italienischen Innenminister Matteo Salvini, der offen die Gräueltaten des italienischen Faschismus relativierte. Sogar die rechtsextreme Partei Vox in Spanien unterstützte Israel 2019, während Vox etwa Kandidaten wie Fernando Paz aufstellt, der die Nürnberger Prozesse als Farce bezeichnet und sich offen an Holocaust-Leugnung beteiligt.
Es stellt sich also die Frage, warum Israel, und spezieller die Regierung unter Führung der Partei Likud unter Benjamin Netanjahu, aktiv die Zusammenarbeit und Freundschaft mit solchen Parteien und Persönlichkeiten sucht, die teils offen antisemitisch sind und ein oftmals ambivalentes Verhältnis zum Nationalsozialismus und dem Holocaust aufweisen. Warum wird dieser Widerspruch hingenommen?
Akt 3: Europaskepsis Islamfeindlichkeit
Drei Aspekte sind schließlich meiner Ansicht nach zentral, um zu erklären, warum sich Netanjahu seine politischen Freunde in der europäischen extremen Rechten sucht, und warum diese solch eine Freundschaft nicht nur duldet, sondern aktiv fördert.
Der erste Aspekt ist die wie oben angeklungene geteilte kritische Haltung gegenüber der Europäischen Union. Von Seiten israelischer rechtsextremer Parteien, allen voran dem Likud, wird keineswegs mit antieuropäischer Rhetorik gespart. Im Gegenteil wird die Europäische Union als hegemoniales Feindbild kreiert. Dies geschieht vor allem vor dem Hintergrund der offiziellen Haltung der EU in Hinblick auf den israelisch-palästinensischen Konflikt und die Zwei-Staaten Lösung, welche Israel nun seit geraumer Zeit offen ablehnt. Auch die teils kritische Haltung der EU gegenüber den illegalen israelischen Siedlungen ist dabei ein Spannungspunkt. Dahingehend kommt die Koalition mit der extremen Rechten in Europa gelegen, die ihrerseits die EU als Feind des nationalistischen Prinzips und der Selbstbestimmung souveräner europäischer Nationalstaaten konstruieren. Ethnozentrismus und nationale Selbstbestimmung scheinen dabei Teil eines zentralen ideologischen Angelpunkts in Hinblick auf die Kritik an der europäischen Union zu sein, den beide dargestellten Seiten offensichtlich begrüßen. Hierbei soll jedoch kein Missverständnis entstehen: Die Europäische Union scharf zu kritisieren ist in Hinblick auf deren imperialistischen Tendenzen, menschenverachtende Grenzpolitik, sowie kapitalistische Wachstumsdynamik, durchaus sinnvoll und notwendig. Was Israel und die extreme Rechte in Europa anbelangt, handelt es sich jedoch um plumpe, rassistisch und nationalistisch fundierte Kritik an der EU, die eine strukturelle Sichtweise auf EU-Kritik vermissen lässt, jedoch ein breites Mobilisierungspotential in Europa und Israel bietet.
Islamfeindlichkeit, der zweite Aspekt, fügt sich nahtlos in die Konstruktion der EU als Feindbild ein. Von der europäischen extremen Rechten wird schon seit Jahren propagiert, wie oben dargestellt, dass Europa zunehmend islamisiert werde. Die katastrophale Flüchtlingspolitik der europäischen Union sei dafür schuld. Die EU sei außerdem an den radikalen Islam und an muslimische Flüchtlinge verloren gegangen und nur starke Nationalstaaten mit dichten Grenzen und restriktiver Bekämpfung von Migration mit allen Mitteln könnten dem noch etwas entgegensetzen. Menschenverachtende Flüchtlings- und Migrationspolitik, in den meisten Fällen untermauert mit antimuslimischem Rassismus, ist folglich eine Politik, die die Regierung unter Netanjahu in Israel vor dem Hintergrund der Siedlungspolitik in den besetzten palästinensischen Gebieten natürlich gutheißt, zumal die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus Palästina und die damit verknüpfte Verwehrung von fundamentalen Grundrechten gegenüber geflüchteten Palästinenser:innen ein zentraler Ausdruck israelischer Sicherheitspolitik in Palästina ist. Gerechtfertigt wird diese Vorgehensweise seitens Israels schließlich über das Konstrukt der Terrorbekämpfung, eine Rhetorik welche die europäische extreme Rechte schließlich auch selbst aktiv verwendet, wenn sie beispielsweise von importiertem islamischen Terrorismus spricht. Die kollektive Verurteilung breiter Teile muslimischer Geflüchteter als Terroristen und damit ein offener antimuslimischer Rassismus dient folglich sowohl für die extreme Rechte in Europa als auch für Israel als Rechtfertigung für restriktive und menschenverachtende Migrations- und Sicherheitspolitik.
Letztlich erscheint es für die extreme Rechte in Europa von zentraler Bedeutung zu sein, wie am Beispiel Gianfranco Finis deutlich wurde, ihr offensichtliches faschistisches Erbe sowie den damit verbundenen inhärenten Antisemitismus reinzuwaschen. Eine Zweckpartnerschaft mit der politischen Führung in Israel scheint dafür die perfekte Lösung zu sein. Eine pro-israelische Haltung dient als Beweismittel gegen wie auch immer geartete Anschuldigungen des politischen Mainstreams gegenüber der extremen Rechten, judenfeindlich zu sein oder historische Wurzeln im Nationalsozialismus zu haben. In der medialen Debatte können sie sich dadurch als lupenreine Demokraten inszenieren, während sie antimuslimischen Rassismus und Islamfeindlichkeit im Zuge derselben Partnerschaft salonfähig machen.
Die Verbindung der extremen Rechten in Europa und der politischen Führung in Israel ist schließlich also wahrlich als eine Schicksalskoalition zu verstehen, von der beide Seiten nicht nur ideologisch aufgrund der Anschlussfähigkeit rassistischer und antieuropäischer Politiken des jeweils anderen Lagers profitieren können, sondern auf Basis dessen sich auch die politische Legitimation eben jener Politiken organisieren lässt.