Establishment bei Wahlen in Irland abgestraft: „Es ist ein politisches Erdbeben“

Seit der erkämpften Unabhängigkeit Irlands 1922 haben sich die zwei großen konservativen Parteien Fine Gael und Fianna Fáil jeweils in der Regierung abgewechselt. Die Wahlen vom 8. Februar 2020 brechen aus diesem ewigen Kreislauf aus: die linksnationalistische Sinn Féin feiert einen phänomenalen Sieg.
10. Februar 2020 |

Bei den Wahlen zum irischen Unterhaus (Dáil Éireann) wurde das etablierte politische System in Irland in seinen Grundfesten schwer erschüttert. Die beiden großen Parteien, Fine Gael („Familie der Iren“) und Fianna Fáil („Soldaten des Schicksals“), die sich bislang an der Spitze des irischen Staates abwechselten, wurden abgewählt. Fine Gael, die zuletzt mit Leo Varadkar den Premierminister (Taoiseach) stellten, stürzten von 25,5 auf 20,9 Prozent ab; Fianna Fáil von 24,3 auf 22,2 Prozent.

Abgestraft wurde auch die Labour Party, weil sie vorangegangene konservative Regierungen gestützt hat, nur den Grünen verziehen ihre Wähler_innen ihr bisheriges Anbiedern an das Establishment (sie konnten sich auf 7,1 Prozent verdoppeln). Noch im November letzten Jahres sprach Varadkar von der türkis-grünen Regierung als „Prototypen für Europa“. Nach Varadkars grandioser Niederlage ist dieser Traum vorläufig geplatzt.

Entscheidend waren nach einer Ipsos-Wahltagsbefragung mit Abstand die Themen „Gesundheit“ (für 32 Prozent der Befragten war es das wichtigste Thema) und „Wohnen/Obdachlosigkeit“ (26 Prozent). Der Brexit wurde praktisch überhaupt nicht diskutiert (1 Prozent).

Historischer Sieg für Sinn Féin

Großer Gewinner ist die linksnationalistische Sinn Féin: Sie konnte ihr Ergebnis zur vorherigen Wahl beinahe verdoppeln und kam auf 24,5 Prozent. Erstmals seit der Unabhängigkeit gewann eine linke Partei die Wahlen.

Der Sieg hätte in Sitzen gerechnet noch deutlicher ausfallen können. Sinn Féin hat nämlich nur 42 Kandidat_innen aufgestellt. Damit können sie gemäß dem repräsentativen irischen Wahlsystem Sitze nicht besetzen, die ihnen eigentlich zustünden. Über ein halbes Dutzend Kandidat_innen erhielt mehr Stimmen als nötig, um gewählt zu werden. Diese Mehrstimmen sind verlorene Stimmen, weil sie nicht in Mandate umgesetzt werden.

Barrett, Smith, Kenny wiedergewählt

Die revolutionäre Linke, angetreten im Bündnis Solidarity-People Before Profit (S-PBP) konnten Sitze verteidigen (in Stimmen 2,6 Prozent) und den Wahlkampf maßgeblich beeinflussen. Richard Boyd Barrett holte wieder einen Sitz für Dún Laoghaire, Brid Smith für Dublin South Central, Gino Kenny für Dublin Mid West.

„Von Beginn des Wahlkampfs an hat People Before Profit gesagt, dass wir den Kreislauf von FF und FG durchbrechen wollen. Diese Botschaft ist angekommen“, sagt Barrett, aktiv im Socialist Workers Network (SWN, Schwesternorganisation von Linkswende jetzt). „Es ist ein politisches Erdbeben. Viele Menschen sind nach links zu Sinn Féin gewandert.“

S-PBP warb im Wahlkampf mit dem radikalen Klima-Manifest „Planet Before Profit“ , dem Recht auf Wohnen und einer guten Gesundheitsversorgung für alle. Besonders unter jungen Menschen hat S-PBP mit 6,6 Prozent fantastisch abgeschnitten.

Irland verändert sich

Mary Lou McDonald, Vorsitzende von Sinn Féin, sagte gleichfalls nach fast einem Jahrhundert Fianna Fáil und Fine Gael, sei es „Zeit für Veränderung, für einen Wandel“. Aber die Sinn Féin-Führung will nach jahrzehntelanger Ausgrenzung  (beide großen konservativen Parteien hatten auch bei dieser Wahl schon im Vorfeld eine Koalition mit Sinn Féin ausgeschlossen) auch zum Establishment gehören. Sie steht von ihrer Basis gehörig unter Druck, nicht weich zu werden.

Die traditionell konservative, katholische irische Gesellschaft verändert sich aufgrund der fantastischen Bewegungen, die in den letzten Jahren Abtreibungsrechte und gleichgeschlechtliche Ehe erkämpften, schneller, als es dem Establishment lieb ist. People Before Profit schrieb nach der Wahl in einer Stellungnahme: „Die Wut an der Wahlurne ist wichtig – aber um das politische Erdbeben zu vertiefen brauchen wir weitere Mobilisierungen.“

Irland beweist, dass die Wut auf das Establishment auch nach links ausschlagen kann.

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