Hans Weinhengst: Turmstraße 4

Edition Atelier, 208 Seiten. 22,00 Euro.
25. Januar 2018 |

Wien, Anfang der 30e-Jahre: die Weltwirtschaftskrise hält die ganze Stadt in Atem, Arbeitslosigkeit macht sich breit. Auch die Bewohner des Hauses in der Turmstraße 4 bleiben nicht davon verschont. Allen Widrigkeiten zum Trotz finden Karl und Martha – die Kinder zweier Arbeiterfamilien – ihre Liebe zueinander. Alles könnte so schön sein, doch nach und nach stoßen die beiden an ihre Grenzen.

Karls Bruder verliert seine Arbeitslosenunterstützung und versucht durch einen Raubüberfall an Geld zu kommen, seine Schwester ist schwerkrank und Marthas Vater begeht Selbstmord. Als Martha auch noch Kerner kennenlernt, der ihr mit einem festen Einkommen ein sicheres Leben bieten kann, gerät ihre Welt endgültig ins Wanken.

Arbeitslosigkeit, soziales Elend, politische Unsicherheit. All das schildert Hans Weinhengst in seinem Roman am Beispiel zweier Arbeiterfamilien. Die Verzweiflung, die ein Leben zwischen der Hoffnung auf eine Einnahmequelle, dem ewigen Schlangestehen vor Fabriken und der sich ständig wiederholenden Absagen und Rückschläge mit sich bringt, ist auf jeder Seite greifbar.

Angesichts all der Armut und der gleichzeitig vollgestopften Geschäfte kommt Karl schließlich zu dem Schluss: „Ein Arbeiter ist nichts wert.“ Vom Staat ist keine Hilfe zu erwarten. Während Aufstände der unzähligen Arbeitslosen von der Polizei brutal niedergeschlagen werden, können erstarkende Faschisten ungehindert Menschen auf der Straße verprügeln.

Karl beschließt, in Deutschland sein Glück zu versuchen. Doch auch da findet er nur eines vor: Arbeitslosigkeit und Hunger. Die Grenze zwischen Arm und Reich scheint unüberwindbar: „Die ihnen unangenehmen Seiten dieser wunderwaren Gesellschaftsordnung, etwa das Vagabundieren, wollen die Herren nicht akzeptieren und durch Verbote, Gesetze und Erlässe verhindern.“

Der 1934 erschienene Roman wurde erstmals aus dem Esperanto ins Deutsche übersetzt. Weinhengst war längere Zeit Mitglied der Esperanto-Bewegung, die durch die weltweite Verbreitung dieser Plansprache eine Einheit aller Menschen anstrebte. Er übertrug unter anderem Arbeiterlieder ins Esperanto.

Trotz aller Resignation vermittelt der Roman auch Hoffnung. Weinhengst schildert etwa die verbesserten Lebensumstände in den neuen Gemeindebauten und beschreibt den Kampf einiger Arbeiter „gegen das Kapital“. Der Autor stammte selbst aus dem Arbeitermilieu, war im Widerstand gegen die Faschisten aktiv und bietet so ein einzigartiges, authentisches Zeitzeugnis aus der Zwischenkriegszeit. Eine ungeschönte, bewegende und realistische Darstellung der Arbeiterklasse.