Ilija Trojanow: Nach der Flucht

S. Fischer Verlag, 128 Seiten. 15,50 Euro
16. Mai 2018 |

„Es gibt ein Leben nach der Flucht, doch die Flucht wirkt fort, ein Leben lang.“ So beginnt Ilija Trojanow seinen Roman-Essay Nach der Flucht und lässt damit bereits ahnen: für den Flüchtling endet die Flucht nicht im Auffanglager oder mit einem genehmigten Asylantrag. Vielmehr wird ihn die Erfahrung der Flucht sein ganzes Leben hindurch prägen und begleiten.

Trojanow überrascht mit einer ungewöhnlichen Form, er reiht Gedankensplitter aneinander, die sich wie ein Mosaik aus Erinnerungen, Erfahrungen und Träumen zu einer zutiefst poetischen Sammlung von Momentaufnahmen zusammensetzen. Mit überwältigender Sprachkraft erzählt der Autor, was es bedeutet, Flüchtling zu sein.

Welche Erfahrungen macht das Kind in der neuen Schule? Wie lebt man zwischen verschiedenen Sprachen? Wann wird man nicht mehr als „fremd“, als „anders“ wahrgenommen?

 

Mit kurzen, eindringlichen Sätzen geht der Autor der Frage nach der Bedeutung von Kultur, Heimat und Nationalität nach. Im Gegensatz zur gegenwärtigen Darstellung innerhalb von Politik und Medien fragt er nach den Menschen, die sich hinter diesen großen Begriffen verbergen. Er betrachtet die enorme politische Macht hinter den Projektionen von Fremdheit, Grenzen und „dem Anderen“, die die öffentliche Wahrnehmung von Flucht und Vertreibung prägen und durch die gezielt eine universell einsetzbare Angst geschürt wird. Eine Angst vor Veränderung: „Veränderung ist Bewegung. Der Geflüchtete verkörpert Bewegung. Er bringt Veränderung in die Gesellschaft.“ Zugleich beschreibt Trojanow die Absurdität dabei aus Sicht des Flüchtlings: „Aber ich bin doch derjenige, der Angst hat. […] Nicht einmal euer Vermögen ist so sehr gefährdet wie mein Leben.“

Dem Vermischen der Kulturen stellt Trojanow eine – wenn auch ineinanderfließende – Ordnung gegenüber. Der erste Teil erzählt „von den Verstörungen“, der zweite „von den Errettungen“. Der Autor sieht sowohl die negativen Aspekte der Flucht als auch die positiven Erfahrungen – die Bereicherung, die das Neue mit sich bringt. Er plädiert für offene Grenzen und ein Miteinander der Kulturen.

Trojanow weiß, wovon er spricht. Das Buch widmet er seinen Eltern, die ihn „mit der Flucht beschenkten“. Sie fliehen mit dem Sechsjährigen aus Bulgarien, über Jugoslawien, Italien nach Deutschland, später lebt Trojanow in Nairobi, Bombay, Kapstadt und jetzt in Wien. Diese Erfahrungen gibt er an seine Leser_innen weiter und lässt sie die Besonderheiten der Fremde erleben.

Selten ist die politische Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht so poetisch!