Linke müssen Islamfeindlichkeit bekämpfen

Die Unterdrückung und Ausgrenzung der muslimischen Bevölkerung Österreichs muss als eine Form von Rassismus verstanden und bekämpft werden. Religionskritik darf uns nicht daran hindern, mit religiösen Muslim_innen Schulter an Schulter gegen Rassismus zu kämpfen.
28. März 2018 |

Speziell in Österreich wird jede mögliche Form von Rassismus gepflegt, selbst Antisemitismus in seiner grauslichsten, von den Nazis übernommenen Form, feiert hierzulande in den deutschnationalen Burschenschaften Urstände. Wie Berichte von „Drogenrazzien“ zeigen, machen bestimmte Polizeieinheiten bevorzugt Jagd auf Menschen afrikanischer Herkunft, beschimpfen diese aufs Übelste und misshandeln sie aus eindeutig rassistischer Motivation heraus. Aber islamfeindlicher Rassismus nimmt eine ganz besondere Stellung ein.

Erstens schenkt er den herrschenden Eliten der Welt, die über so viele Fragen zutiefst gespalten sind, einen einigenden äußeren Feind. Putin, die EU-Eliten und Trump sind über viele Fragen einander Spinnefeind, aber sie haben einen gemeinsamen Feind – den „islamistischen Terror“. Weil zu erwarten ist, dass die internationalen Konflikte noch weiter zunehmen werden, müssen wir auch davon ausgehen, dass Islamfeindlichkeit für die Herrschenden als einigendes Element wichtiger wird. Das bedeutet auch, dass die Angriffe gegen die muslimische Bevölkerung noch schlimmer werden. Kopftuchverbote sind sicher nicht das letzte Mittel, um zu diskriminieren.

Zweitens wirkt islamfeindlicher Rassismus bis tief in die politische Linke hinein. Antisemitismus, Rassismus gegen Menschen afrikanischer Herkunft oder dunkler Hautfarbe werden innerhalb der Linken ganz selbstverständlich abgelehnt. Gegenüber Muslimen ist die Haltung nicht so unmissverständlich solidarisch. Hier entfaltet besonders die beliebte Vermischung von Antiislamismus und Islamfeindlichkeit eine schädliche, spaltende Wirkung. Innerhalb der linken Szene in Wien mussten Musliminnen hart darum kämpfen, ihren angestammten Platz in der antirassistischen Bewegung einnehmen zu können. Und dieser Kampf ist nach wie vor nicht entschieden.

Gegen Islamfeindlichkeit

Deshalb braucht es ein Bewusstsein unter allen Linken und allen Antirassist_innen, dass wir es bei Islamfeindlichkeit überhaupt mit Rassismus zu tun haben und es braucht eine selbstbewusste Reaktion der Betroffenen selbst. Wir brauchen eine antirassistische Bewegung, die sich aktiv darum bemüht, die muslimische Bevölkerung Österreichs in die Bewegung zu inkludieren.

Keine antirassistische Bewegung kann ihre Herausforderung meistern, die Rassisten zurückzudrängen und ihre Angriffe mittels massenhafter Solidarisierung zu neutralisieren, wenn nicht die Betroffenen selbst eine Führungsrolle in der Bewegung einnehmen können. Was wäre die Civil Rights Movement ohne Martin Luther King und der NAACP wert gewesen? Und deshalb müssen die Linken mit dem weit verbreiteten Fehlurteil brechen, dass Religion „die Wurzel allen Übels“ ist.

Marx und die Religionskritiker

Es war ein Lehrer von Karl Marx, Ludwig Feuerbach, der Religion als eines „denkenden Menschen“ unwürdig nannte. In seiner Antwort gegen Feuerbachs Thesen formulierte Marx Mitte der 1840er-Jahre seine Vorstellungen vom historischen Materialismus.

 

Malcolm X (im Bild rechts mit Martin Luther King), Anhänger der islamistischen „Nation of Islam“, wurde zur Ikone der Schwarzenbewegung, als Islamfeindlichkeit noch nicht Leitideologie war. Foto: Marion S. Trikosko, US News & World Report Magazine

 

Feuerbach behauptete, dass Religion den Menschen degradiere, indem sie illusorische Ideale wie Gott oder den Himmel über die Menschheit und die materielle Welt stelle. Für Feuerbach waren also Ideen die Schöpfer von Gesellschaft, ihr prägendster Einfluss. Marx stützte sich auf Feuerbach, als er dessen konservative Schlüsse widerlegte. Sehr prägnant antwortete er: „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen.“ Er setzte fort, indem er beschreibt, wie die realen Erfahrungen von Unrecht und Leid zu Religiosität führen. „Dieser Staat, diese Sozietät produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewusstsein, weil sie eine verkehrte Welt sind. Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt.“ Wolle man wirklich die Religion bekämpfen, dann nicht, indem man die Religiosität bekämpft, sondern indem man das Unrecht bekämpft, das Menschen religiös werden lässt. „Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist.“

Dann folgt einer der berühmtesten Sätze von Marx, der fast so häufig missbraucht wird, wie er zitiert wird: Religion „ist das Opium des Volkes“. Wer sich herablassend über Religion oder gläubige Menschen äußern will, der wirft den Satz ein (und zitiert ihn meist falsch als „Opium für das Volk“), und meint damit, das Volke ließe sich mit Religion betäuben und süchtig machen, als willenloses Objekt. Liest man die ganze Passage, dann kommt das Gegenteil zur Geltung: „Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“

Wenn wir Marx’ Religionskritik auf die unterschiedliche politische Geschichte in Westeuropa und den „Orient“ anwenden, dann ist klar, dass der Rückgang von Religiosität in den führenden westlichen Nationen nicht auf einer geistigen Überlegenheit beruht und die Persistenz von Religion in anderen Regionen nicht auf Rückständigkeit. Die marxistische Interpretation von Religion als die Suche nach einer überirdischen Lösung im Jenseits für reales Leiden und Unrecht im Diesseits sollte konsequenterweise auf alle Glaubensbekenntnisse angewendet werden.

Der Feind von außen

Was Peter Pilz in einem Interview mit dem Kurier gesagt hat, drückt ein Vorurteil von vielen Linken aus: der Islam hielte seine Anhänger in Rückständigkeit gefangen, während das Judentum und das Christentum Selbstzweifel angeregt hätten und der Bevölkerung einiger europäischer Nationen einen Weg in die Selbstbefreiung von religiösen Fesseln erlaubt hätte. Pilz erklärte im Interview, dass er bei der Nationalratswahl mit nur einem Thema antreten wolle, der „Verteidigung unserer Kultur.“ Es gebe „nur ein Europa mit seinem Sozialstaat, seiner Presse- und Meinungsfreiheit und dem Versammlungsrecht. Das muss man schützen“.

Der Feind von Europa sei der „politische Islam“, der „unsere Heimat zerstören“ wolle. Bezeichnend ist auch, dass Pilz, der zumindest unter Rechten als Linker gilt, versucht, den bisherigen Tiefpunkt seiner politischen Karriere mit Antiislamismus wieder wettzumachen (gemeint ist der Verlust einer Abstimmung um einen Listenplatz für die letzte Nationalratswahl).

Resultat ist Chauvinismus

Nicht nur von Pilz wird den westeuropäischen Gesellschaften, die über Generationen immer säkularer und atheistischer geworden sind, mittlerweile eine „jüdisch-christliche Identität“ zugeschrieben, die als Vorbedingung für positive Entwicklungen wie die Aufklärung und die Moderne dargestellt werden. Dieser vermeintlich positiven religiösen Geschichte wird die „islamische Welt“ gegenüber gestellt, deren Werte mit der westlichen oder jüdisch-christlichen nicht vereinbar seien. Unsere jüdisch-christliche Geschichte hätte uns die Loslösung von der Religiosität ermöglicht, die islamische dagegen hielte ihre Bevölkerung in einem irrationalen Zustand fest.

„Verteidigung westlicher Werte“: US-Soldaten vergewaltigten, misshandelten und folterten im irakischen Gefängnis Abu Ghuraib Häftlinge zu Tode. Foto: Wikimedia Commons

 

Diese Sichtweise ist mehrfach problematisch: sie führt in eine chauvinistische Haltung, die eine scheinbare kulturelle und geistige Überlegenheit der eigenen Gruppe behauptet, gepaart mit einer verächtlichen Haltung den „Anderen“ gegenüber. Damit lehnt man sich an die Ideologie unserer herrschenden Eliten und der extremen Rechten an, ob man das will oder nicht. Und diese Sichtweise ist wie die von Feuerbach idealistisch, weil sie davon ausgeht, dass die Religion den Menschen und die Gesellschaft (aus-)macht und nicht umgekehrt.

Ungleiche Entwicklung

Ein nüchterner Blick zeigt doch, dass wir in einer Welt leben, die von Ungleichheit geprägt ist. Der russische Revolutionär Leo Trotzki beschrieb die Gegensätze zwischen „fortschrittlichen“ und „rückständigen“ Nationen als typisch für den Kapitalismus. Kapitalismus entwickelte sich in wenigen Regionen der Erde, und das Kapital beutete andere Regionen aus, modernisierte sie zwangsweise und hemmte gleichzeitig ihre Entwicklung. Er nannte das die „ungleichmäßige und kombinierte Entwicklung“.

Auch die postkolonialen Theorien betonen die hemmende Rolle der Kolonialmächte auf die Entwicklung der Kolonien bei gleichzeitiger erzwungener Modernsierung. Diese Beobachtungen erklären viel überzeugender, warum Religion in den führenden Industrienationen einen anderen Stellenwert hat, als etwa in der „islamischen Welt“.

Islamismus und Kapitalismus

Wie schon erwähnt, beeinflusst die Vermengung von Islamismus und muslimischer Religion die Haltung vieler Linker. Das geht soweit, dass kopftuchtragenden Frauen generell das Prädikat „Islamistin“ untergeschoben wird.

Der britische Marxist Chris Harman hat 1994 eine Studie über verschiedene islamistische Strömungen verfasst (Der Prophet und das Proletariat). In allen untersuchten Fällen kommt er zu dem Ergebnis, dass erst ein Versagen anderer politischer Strömungen den Aufschwung von islamistischen Strömungen ermöglicht. Erst wenn die Versprechen, die eigene Nation von den Fesseln des Imperialismus und der korrupten eigenen Eliten zu befreien, in aller Öffentlichkeit gescheitert waren, gelang den Islamisten der entscheidende Durchbruch.

Das war so bei der Hamas in Palästina, die erst 2006 die absolute Mehrheit bei Wahlen erringen konnte, nachdem sowohl die Fatah (arabisch-nationalistisch) als auch die PFLP (nationalistisch mit sozialistischem Anstrich) bei großen Teilen der Bevölkerung durchgefallen waren. Eine ähnliche Entwicklung ging dem Aufstieg der Muslimbruderschaft in Ägypten voraus, oder dem der Hisbollah im Libanon. Was all diese Länder auszeichnet, ist, dass das Versprechen, das die Modernisierung mit sich brachte, nicht eingehalten wurde. Die Slums in den Großstädten sind riesig und die Masse der Kleinbauern lebt in ärmlichen Verhältnissen. Gleichzeitig gibt es aber eine bedeutende Schicht von Geschäftsleuten und von Akademikern, die wegen der Korruption der lokalen Eliten nicht die Rolle spielen können, die sie von ihrer sozialen Position erwarten durften.

Von diesem Mix müssen nicht zwangsweise die Islamisten profitieren, geschweige denn die bedeutende Rolle in der Politik einnehmen, wie das in Palästina, Ägypten und dem Libanon der Fall ist. Natürlich ist die Geschichte jedes einzelnen Landes weitaus komplexer als hier dargestellt werden kann, was bleibt, ist die Tatsache, dass jedes Land, ungeachtet der Tatsache, dass Islam die bestimmende Religion ist, eine ganz andere Entwicklung hätte nehmen können.

Muslime in Europa

Imperialismus hat auf die soziale Entwicklung in den muslimischen Ländern einen betont negativen Einfluss, aber zu ihrem Unglück ist der Mittlere Osten eine besonders erdölreiche Region. Ansonsten wäre es den imperialistischen Supermächten nicht so wichtig, diese Region zu beherrschen. Islamfeindlichkeit ist mit dem Irakkrieg zur Leitideologie des von den USA angeführten westlichen Kapitalismus geworden, wie es Arun Kundnani (Islamophobia: lay ideology of US-led empire, zu Deutsch „Laienideologie des von den USA angeführten Weltreichs“) so treffend ausgedrückt hat.

#MuslimBanAustria: 2017 gingen in Wien tausende Musliminnen für das Recht auf Selbstbestimmung auf die Straße. Foto: Linkswende jetzt

 

Islamfeindlichkeit bietet Erklärungen für krisenhafte Ereignisse wie Terrorattacken an, die diesen jede politische Ursache absprechen und sie stattdessen als muslimische Eigenschaft verdinglichen. Politische Widersprüche werden zu kulturellen Gegensätzen erklärt und dem politischen Gegner werden unveränderliche kulturelle Eigenschaften zugesprochen. Diese werden dann auch auf die muslimische Minderheit projiziert, die in Europa selbst lebt. Physische Attacken, verbale Angriffe, Schändungen von Moscheen, Kopftuchverbote, Benachteiligungen bei der Arbeits- und Wohnungssuche und vieles mehr sind die praktischen Konsequenzen von Islamfeindlichkeit.

Spaltendes Gift

Wie wir am Beispiel österreichischer Innen- und Außenpolitik beobachten können, findet diese Form von Rassismus staatliche Unterstützung und wird auch von oppositionellen Politikern weiter angefeuert, wobei diese sich selbst keinen Dienst erweisen. Sie helfen nur dabei mit die Werktätigen zu spalten und im Gegenzug die herrschenden Eliten zu stärken.

#M17 in Wien: Musliminnen lassen sich nicht zum Schweigen bringen

#M17 in Wien: Musliminnen lassen sich nicht zum Schweigen bringen

Wir bekämpfen Rassismus, Vorurteile und Chauvinismus unter Arbeiter_innen aus einfacher Abscheu vor Ungerechtigkeit und Unterdrückung und, weil es keinen erfolgreichen Kampf gegen das herrschende System gibt, solange wir gespalten sind. Alle Gegner_innen des Systems, egal was ihre Hauptmotivation ist, müssen sich Islamfeindlichkeit entgegen stellen, wenn sie Erfolge gegen die Herrschenden erleben wollen.