Maja Haderlap: Engel des Vergessens

Kärnten, da denkt man an Jörg Haider und an die Rechtsextremen-Treffen in Bleiburg. In diesem Kärnten spielt der autobiografische Roman Engel des Vergessens von Maja Haderlap. „Ich lerne im selbstvergessenen Kärnten, nicht vergessen zu können“, schreibt sie, und spielt darauf an, dass im Nachkriegsösterreich nur allzu gern der Opfermythos hochgehalten wird.
20. Juli 2020 |

Haderlap erzählt die Geschichte ihrer zur slowenischen Minderheit gehörenden Familie aus der Perspektive des in den 1960er/70er-Jahren heranwachsenden Mädchens. Der Vater schloss sich mit nur zwölf Jahren dem militärisch organisierten Widerstand gegen die Nazis an, den der Kärntner-slowenischen Partisanen. Die traumatischen Erfahrungen verfolgen ihn. Seine Alkoholeskapaden, Aggressionen und Suizidgedanken prägen das Familienleben.

Am einflussreichsten für das Leben der Protagonistin ist jedoch die Großmutter. Beim Brotbacken erzählt sie vom fehlenden Brot im Konzentrationslager Ravensbrück, wo sie als „Politische“ interniert war. Wie ihren Sohn verfolgen sie die Erinnerungen an den Krieg auf Schritt und Tritt. Sie ist gezeichnet, aber auch von einem beeindruckenden Trotz erfüllt. So wie sie als Küchenarbeiterin im KZ Kartoffelschalen für sich und ihre Mitgefangenen stahl, um zu überleben, so kämpfte sie nach dem Krieg gegen den Staat um ihre Opferhilfe. Verzeihen kommt für sie nicht in Frage; ihre Rache besteht im Kampf gegen das Vergessen. Sie hört nicht auf, die Geschichten ihrer gefolterten und ermordeten Nachbarn zu erzählen.
Denn der Krieg war nicht 1945 vorbei, er lebt fort von Generation zu Generation; das Trauma, die Erinnerung, der Kampf um Gerechtigkeit – all das wird weitergegeben. Der Wald ist nicht nur mehr ein Ort, um Pilze zu sammeln, es ist auch ein Ort, an dem sich die Partisan_innen versteckten, an dessen Bäumen die Nazis Menschen aufhängten.

In einem Land, wo die ohnehin wenigen aktiven Gegner der Nazis nach dem Ende des Krieges wieder zu Gegnern gemacht wurden, aufzuwachsen, das heißt für die Erzählerin „fremd zu sein in einem Land, das andere Erzählungen hören wollte.“ Und die Erzählung ihrer Familie, die der slowenischen Partisan_innen, die will Österreich bis heute nicht hören.
Aber Haderlap erzählt sie. Und dafür bekam sie den Ingeborg-Bachmann-Preis; sie habe den vergessenen slowenischen Opfern eine Stimme gegeben, wie es in der Laudatio hieß. So wie die Großmutter kämpft Haderlap durch das Erzählen gegen das Vergessen. Walter Benjamins berühmter Engel der Geschichte wird die Konzentrationslager mit einem entsetzten, aber kurzen Blick gestreift haben. Haderlaps Engel des Vergessens hingegen braucht, trotz seines Namens, die Erinnerung.