Obdachlosigkeit, schaut nicht weg!

Sabine Rösl, Pensionistin, ehrenamtlich tätig in der Obdachlosenhilfe, schrieb uns einen Leserbrief. Ein wichtiger Appell an uns alle!
4. Januar 2021 |

Ich arbeite schon seit sehr vielen Jahren ehrenamtlich in der Obdachlosenhilfe. Ich war schon bei vielen Organisationen an verschiedenen Stellen im Einsatz: beim Kleiderspenden sortieren, beim Spenden sammeln (z.B. mit Punschstand am Christkindlmarkt), beim Essen kochen für die Obdachlosen und in Notschlafstellen. Im Winter ist es immer besonders schlimm. Wenn es zu kalt ist, um draußen zu schlafen, kommen besonders viele in die Notschlafstellen. Auch jetzt ist es wieder so weit, die Kälte ist da. Aber so wie dieses Jahr habe ich es noch nie erlebt. Wegen der Corona-Maßnahmen hat sich vieles verändert. Natürlich versuchen alle so gut es geht, darauf zu achten. Wir tragen Maske, verteilen Desinfektionsmittel und halten Abstand.

Leider heißt das aber auch, dass in den Schlafsälen für die Obdachlosen viele Betten frei gehalten werden müssen. Es bricht mir das Herz, wenn ich in die verzweifelten Gesichter von erschöpften Menschen schaue, wenn ich ihnen sagen muss, dass kein Bett mehr frei ist. Wenn auch in den anderen Notschlafstellen über ganz Wien verteilt kein Platz mehr ist, dann müssen wir die Menschen wegschicken und können nichts anderes tun, als sie mit warmer Kleidung, Schlafsäcken, Decken oder was gerade da ist, für eine kalte Nacht draußen auszurüsten. Noch dazu sind gerade die Restaurants geschlossen.

Eine Frau hat mir erzählt, dass sie nicht weiß, wo sie hingehen soll, wenn sie ihre Periode hat. Sonst konnte sie die Toiletten bei McDonalds benutzen, aber das geht jetzt nicht mehr. Für uns ist jetzt auch das Spenden sammeln viel schwieriger. Punschstände… können wir dieses Jahr nicht veranstalten. Gott sei Dank gibt es aber trotzdem noch sehr viele Menschen, die helfen wollen. Jeden Tag werden Spenden gebracht: Hygiene-Artikel, Nahrungsmittel, warme Kleidung… Das gibt mir Hoffnung.

Ich möchte alle Menschen bitten, nicht wegzusehen, wenn sie einen hilfsbedürftigen Menschen auf der Straße sehen. Eine wichtige Adresse möchte ich hier ans Herz legen: das Kältetelefon der Caritas. Unter 01 480 45 53 kann man dort jederzeit anrufen, wenn man z.B. sieht, dass ein Obdachloser bei Minusgraden draußen schläft. Es wird dann Hilfe vorbeigeschickt. Bleiben wir solidarisch und helfen einander!

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