Polen im Umbruch: Sieg der Bewegung für Abtreibungsrechte

Eine Welle von Massenprotesten in Polen zerschmetterte den Gesetzesentwurf zum kompletten Abtreibungsverbot und verpasste der rechten Regierung eine schwere Niederlage.
11. Oktober 2016 |

Nach den größten landesweiten Protesten und dem „Frauenstreik“ gegen das geplante Gesetz, musste Jaroslaw Kaczynski, Chef der rechten PiS (Partei Recht und Gerechtigkeit) einlenken. Das Parlament stimmte vergangenen Donnerstag mit 352 zu 58 Stimmen gegen das Abtreibungsverbot – einschließlich der 186 anwesenden, von den insgesamt 227, PiS-Abgeordneten. Ursprünglich hatten sie alle das von rechten, katholischen Anwälten eingebrachte „Bürgerbegehren“ unterstützt.

Nun ist Kaczynski unter Druck, umwirbt er doch seit Jahren katholische Reaktionäre, die Basis der PiS zu stellen. Er rechnete nicht mit einer derart großen Opposition gegen das komplette Abtreibungsverbot – niemand tat dies. Der unglaubliche „Frauenstreik“ am Montag, 3. Oktober, gipfelte in Demonstrationen in vielen Städten Polens. Dem Polizeichef zufolge fanden am „Schwarzen Montag“, benannt nach der offiziellen Farbe der Bewegung, 143 Proteste mit insgesamt 98.000 Teilnehmer_innen statt.

Ein radikaler Bruch

Diese Massenbewegung repräsentiert eine fundamentale Änderung: Seit über 20 Jahren wurden Demonstrationen zum Recht auf Abtreibung typischer Weise lediglich von ein paar hundert Menschen unterstützt, die vor dem Parlament gegen die Rechten in der Offensive protestierten.

Aber am „Schwarzen Montag“ waren überall schwarz gekleidete Frauen – auf den Straßen, in Bussen, Straßenbahnen und Zügen. Die Mehrheit waren junge Frauen, einschließlich vieler Studentinnen. Dies ist wichtig, da gerade in den Schulen junge Menschen seit zwei Jahrzehnten mit „Abtreibung ist Mord“ indoktriniert werden. Meinungsumfragen zeigten früher, dass junge Menschen am meisten gegen Abtreibung waren.

Regierung in Zwickmühle

Nun ist die Regierung in der Klemme: auf der einen Seite die Bewegung und auf der anderen die katholischen Reaktionäre. Es wurde gesagt, das absolute Abtreibungsverbot sei vom Tisch – aber ein führendes PiS-Mitglied hat anonymer Weise aufgedeckt, dass weitere Einschränkungen geplant seien. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass PiS doch mit neuen Vorschlägen herausrückt, sobald sie sich sicher fühlt – die Bewegung muss sicherstellen, dass dies nicht passiert.

Die zwei wichtigsten rechtsliberalen Oppositionsparteien, die am Status Quo festhalten wollen, versuchen bereits die Bewegung in Zaum zu halten. Aber die Mehrheit der Aktivist_innen fordert nun sogar die Lockerung des ohnehin sehr restriktiven Antreibungsrechts. Die Bewegung hat eine wichtige Schlacht gewonnen und zeigt, dass sich die Ideen in den Köpfen der polnischen Gesellschaft geändert haben und anfangen die Politik zu prägen. Zehn-, wenn nicht Hunderttausende sind auf den Geschmack des Sieges gekommen, den sie durch ihren eigenen Massenprotest bewerkstelligt haben.

„Mein Bauch gehört mir“: Der Kampf für das Recht auf Abtreibung

„Mein Bauch gehört mir“: Der Kampf für das Recht auf Abtreibung

Andy Zebrowski ist revolutionärer Sozialist in der „Pracownicza Demokracja“ (Arbeiterdemokratie) in Polen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der englischen Zeitung Socialist Worker. Übersetzung: Judith Litschauer

 

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.