Verena Mermer: Autobus Ultima Speranza
Gerade in der Weihnachtszeit umschwirren uns Bilder von Familienidylle, von Ruhe und Besinnlichkeit. Auf die wichtigen Werte sollen wir uns besinnen, heißt es: auf Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, mehr Geben statt Nehmen. Also alles, was sonst keinen Platz hat in unserer hektischen, vom Arbeitsalltag bestimmten Welt.
Von Besinnlichkeit ist in Verena Mermers Roman Autobus Ultima Speranza nicht viel zu spüren. Gemeinsam mit 44 anderen Menschen lässt sie die Leser_innen an einem 22. Dezember am Busbahnhof Wien-Erdberg einsteigen in den pinken Bus mit der Aufschrift „Speranza“, Ziel: Cluj in Rumänien. Mermer selbst pendelte einige Jahre zwischen Wien und Cluj.
Sie versteht es, Gegenwart mit Vergangenheit, Busfahrt mit gedanklichen Reisen zu verknüpfen. Die Sitzplätze der Passagier_innen sind genau beschrieben, lesend nimmt man neben ihnen Platz, lauscht ihren Gedanken und folgt ihren ganz persönlichen Reisen.
Die Reisenden sind hauptsächlich Arbeitsmitgrant_innen, die fern von ihren Familien Geld verdienen müssen, in Österreich, Deutschland, Schweden. Der Bus versammelt unzählige Biografien: Luminita kümmert sich in Mödling um fremde Kinder, während ihre eigenen Kinder sie nur über den Handy-Bildschirm zu Gesicht bekommen und ihr selbst langsam fremd werden. Ioan, einer der Busfahrer, muss seiner Frau wieder mal schreiben, dass er erst mit Verspätung nach Hause kommen wird. Und Tudor musste ins Ausland gehen, weil er im Dorf ein Ausgestoßener ist – sein Vater war bei der Miliz, welche die Aufstände der Jugendlichen gegen Ende der Sowjetunion niederschlug.
Individuelle Geschichten werden eingebettet in den größeren geschichtlichen Zusammenhang. Während sich Ioan an seine Flucht den Eisernen Vorhang hindurch erinnert, wird der Bus angehalten: Grenzkontrolle. Kontrolliert wird zwischen Österreich und Ungarn, weiter nach Rumänien will keiner die Pässe sehen. Auf der politischen Landkarte wurde die rote Linie zwischen Ost und West nie ausradiert.
Im Burgenland ein Erinnerungsfetzen: „Parndorf. Ein Laster mit 71 Toten im Kühlraum. Menschen, die geflohen waren in der Hoffnung auf Zukunft.“ Speranza – italienisch für Hoffnung – lässt auch die Menschen im Roman immer wieder in diesen Bus steigen.
Geschickt flicht die Autorin politische Botschaften ein. Auch, indem sie Filme, die im Bus gezeigt werden, miteinbezieht. Titanic als Symbol für die Ungerechtigkeit innerhalb der Klassengesellschaft. Der amerikanische Superman muss sich mit dem Arbeiterhelden vergleichen lassen.
Ein Bus voll unterschiedlicher Menschen, die eines gemeinsam haben: sie sind erschöpft, fühlen sich ausgesaugt wie von einem Vampir, „unter den Horrorwesen die Symbolfigur des Kapitalismus“. Der Roman ist eine Anklage. An eine Welt, die Menschen aussortiert wie mangelhafte Waren. Verena Mermer holt die Vergessenen auf die Bühne.