Katalonien: Die Schlacht zur Verteidigung des Referendums hat begonnen

Der spanische Staat versucht mit aller Macht die Menschen in Katalonien daran zu hindern, am 1. Oktober in einem Referendum über die katalanische Unabhängigkeit abzustimmen. Für Linke ist es wichtig zu verstehen, was in der Unabhängigkeitsdebatte auf dem Spiel steht, schreibt David Karvala aus Barcelona.
20. September 2017 |

Katalonien plant für den 1. Oktober 2017 ein Referendum über die Frage „Wollen Sie, dass Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik wird?“. Doch der spanische Staat setzt zur Zeit alle administrativen, gesetzlichen und sogar geheimdienstlichen Mittel ein, um die Abstimmung zu verhindern.

So durchsuchte die Militärpolizei die Büros der katalanischen Abteilungen für Wirtschaft und Außenpolitik sowie des Regierungschefs. Außerdem hat die Minderheitsregierung des konservativen Premierministers Mariano Rajoy angekündigt, dass sie die Kontrolle über die Finanzen der katalanischen Regierung direkt kontrollieren möchte. Dies könnte ein erster Schritt zur Aussetzung der katalanischen Autonomie sein.

Katalonien und die Autonomie

Katalonien ist eine Nation mit etwa 7,5 Millionen Einwohner_innen im Osten der iberischen Halbinsel, die Hauptstadt ist Barcelona. Seit 1978 besitzt Katalonien den Status einer Autonomen Gemeinschaft innerhalb des spanischen Staates. In zahlreichen Politikfeldern, so etwa der Bildungs-, der Gesundheits- und der Wirtschaftspolitik, verfügt Katalonien über bestimmte Kompetenzen. Doch der wachsende Unmut mit Kataloniens Lage als „autonome Gemeinschaft“ im Rahmen des spanischen Staats hatte den seinerzeitigen sozialistischen Präsidenten in Katalonien, Pasqual Maragall, im Jahr 2005 zu dem Versuch veranlasst, den Autonomiestatus von Katalonien zu ändern.

Es war die Sabotage dieser Initiative durch die spanische konservative Partei, die PP, die die Zustimmung für die Unabhängigkeit zu einer Massenbewegung werden ließ. Nachdem das spanische Verfassungsgericht sein Veto gegen den nur marginal, aber in einem Referendum bejahten reformierten Statuts eingelegt hatte, entwickelte sich eine neue Dynamik.

Millionen für die Unabhängigkeit 

Gleich am Tag nach dem Gerichtsurteil, am 10. Juli 2010, gingen eine Million Menschen unter der Parole „Wir sind eine Nation. Wir entscheiden“ auf Barcelonas Straßen.

Ein weitverbreiteter Irrtum ist es, dass die katalanische Regierung für die Unabhängigkeit eintritt. Die Mitte-Rechts Koalition Convergència i Unió (Konvergenz und Einheit) regierte das Land seit über zwanzig Jahren, ohne je die Unabhängigkeit ernsthaft zu erwähnen. Nur das Heranwachsen der Bewegung brachte die Führer  von Convergèncias dazu, auf der Welle der Unabhängigkeitsbewegung mit zu reiten, um nicht unterzugehen. Sie wurde von ihrer kleinbürgerlichen Basis, den „Mittelschichten“, unter Druck gesetzt, nicht vom katalanischen Großkapital. Die Bourgeoisie in Katalonien ist geschlossen gegen die Unabhängigkeit. Sie will Stabilität, keinen Bruch mit dem spanischen Staat.

Formierung der Unabhängigskeitsbewegung

Seit 2010 gab es ein halbes Dutzend gewaltiger Mobilisierungen für die Unabhängigkeit, die alle zwischen einer und zwei Millionen Menschen aus der Gesamtbevölkerung von 7,5 Millionen umfassten. In Barcelonas Industriegürtel, der in den 1950er- und 1960er-Jahren eine massive Einwanderung erlebte, ist die Bewegung schwächer, aber auch hier wächst die Stimmung für Unabhängigkeit. In mehreren dieser Städte waren gemeinsame Listen der antikapitalistischen und für die Unabhängigkeit einstehenden CUP (Candidatura d’Unitat Popular, Kandidatur der Volkseinheit) zusammen mit Kräften um Podemos bei den Kommunalwahlen im Mai 2015 sehr erfolgreich. Eine solche gemeinsame Liste regiert Barcelona.

Interessant ist, dass die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien eine ähnliche Entwicklung wie die schottische Unabhängigkeitsbewegung vollzieht: Um die Unabhängigkeit zu erreichen, die zugleich die Sehnsüchte der Menschen aufgreift, muss sie mit realer sozialer Veränderung einhergehen.

Mehrere Maßnahmen der gegenwärtigen katalanischen Regierung spiegeln diese Entwicklung wider: Garantien für die Lieferung von Energie an arme Familien in der Winterzeit, Stopp von Zwangsräumungen, Maßnahmen des sozialen Wohnungsbaus, Verbot von Fracking, eine Steuer auf Atomkraft, Gesetze zur Förderung der Gleichstellung von Frauen am Arbeitsplatz und gegen sexuelle Belästigung und das Verbot von Stierkämpfen.

Zwar wurden all diese Gesetze auf Antrag der konservativen PP vom spanischen Verfassungsgericht verworfen. Doch diese sozialen Initiativen der Regierung in Katalonien zeigen den gegenwärtige Trend. Die mitte-rechts Regierung Convergència (die nach massiven Korruptionsskandalen neu als PedeCat firmiert), verliert an Boden zugunsten der mitte-links Parteien: So hat die an der Regierung beteiligte ERC (Esquerra Republicana de Catalunya, Republikanische Linke Kataloniens) ihrerseits Unterstützer_innen an die antikapitalistischen CUP verloren.

Zunehmende Repression

Die konservative PP intensiviert nun, mit der Unterstützung der Sozialisten, die Repression gegen die Regierung in Katalonien. Führenden katalanischen Politiker_innen wird wegen Unterstützung des Referendums der Prozess gemacht.

Gegen ein Drittel aller katalanischen Gemeinden wird wegen solcher „Vergehen“ ermittelt, wie das Öffnen ihrer Ämter am Nationalfeiertag Dia de la Raza (Tag der Rasse), einem von Franco eingeführten gesetzlichen Feiertag. Ein Gemeinderat wurde verhaftet und vor ein spezielles Anti-Terror-Gericht in der Hauptstadt Madrid gezerrt, weil er gesagt hatte, „da wo gehobelt wird, fallen auch Späne“. Der Spruch wurde ihm in dem Mund verdreht, er wolle Gewalt und die Verfassung zerstören. Die spanische Zentralregierung scheut vor nichts zurück, um eine demokratische Abstimmung zu verhindern.

Was kann die Linke machen?

Ich meine: Die Linke in Katalonien steht vor der Herausforderung, für ein „Ja“ beim Referendum zu kämpfen. Sie sollte dabei ihre eigene Unabhängigkeit von der Rechten bewahren. Ein Teil der Linken unterstützt jedoch den Angriff gegen das Referendum. Sie reden von Internationalismus und der Arbeitersolidarität, scheinen aber Lenins insistieren darauf, dass Internationalismus die Verteidigung der Rechte „der unterdrückten (oder kleinen) Nation“ bedeutet, vergessen zu haben.

Für Sozialist_innen anderswo ist die Frage: Willst du abseits stehen, während eine rechte Partei (und einige Verbündete auf der Linken, die es besser wissen sollten) die Demokratie mit Füßen tritt? Nein. Die Linke sollte sich, der Widersprüche jeder nationalen Bewegung bewusst, für das Recht des katalanischen Volks, seine eigene Zukunft zu bestimmen, eintreten. Internationale Solidarität ist gefragt, um den Zusammenbruch eines der ältesten imperialistischen Staaten Europas herbeizuführen.

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Die Schlacht zur Verteidigung des Referendums hat begonnen: Aber es muss der Linken auch um den Aufbau eines anderen Kataloniens gehen, nicht nur für die Veränderung einer Flagge einzutreten. Hierfür ist die Organisation und Aktivität der Beschäftigten in den Postämtern, den Druckereien, den Schulen und anderen Gebäuden, wo die Abstimmung durchgeführt wird, entscheidend. Es gibt starke Argumente für einen Proteststreik in Katalonien gegen die Repression. Die Linke international und vor allem im übrigen spanischen Staat sollte die Solidaritätsarbeit verstärken. Wenn wir durch Massenmobilisierung das Referendum gewinnen, sind wir auch besser für die Kämpfe in der Zukunft gerüstet.

David Karvala ist Aktivist in Barcelona und Mitglied des revolutionären Netzwerks marx21 in Spanien. Aus dem Englischen von David Paenson. Zuerst erschienen auf Socialist Worker. Die Übersetzung des Artikels ist auf marx21 erschienen.