1938 verboten? Burschenschafter als Geschichtsverdreher und NS-Verbrecher

Die Organisatoren des Linzer Burschenbundballs schreiben in ihrer Einladung, dass die waffenstudentischen Verbindungen 1938 „vom NS-Regime aufgelöst“ worden wären. Aufgelöst ja, aber freiwillig und feierlich mit gehissten Hakenkreuz-Fahnen, um sich in die NSDAP einzugliedern. FPÖ-Politiker und Burschenschafter schreiben ganz gezielt die Geschichte der Nazi-Verbrechen um.
1. Februar 2016 |

Unwahrheiten halten sich oft hartnäckig. 2002 behauptete FPÖ-Politiker Martin Graf, die deutschnationalen Korporationen wären „in Österreich zwischen 1938 und 1945 verboten gewesen“. Dass sich die Burschenschaften selbständig auflösten, weil sie im Dritten Reich ihre Erfüllung fanden, verschweigt Graf. Seine eigene Burschenschaft „Olympia“ führte bereits 1933 nach der Machtergreifung der Nazis in Deutschland das Führerprinzip ein.

Vom Wichs ins Braunhemd

Die Burschenschaft „Aldania Wien“, die heute sieben FPÖ-Abgeordnete im Wiener Gemeinderat stellt, schrieb 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland an ihre Mitglieder, dass das „gesteckte Kampfziel“ erreicht sei: „Eine neue Zeit ist erstritten und stellt an uns neue Aufgaben … in den Reihen der braunen Bataillonen Adolf Hitlers.“ Satzungsgemäß würde sich die Verbindung auflösen und alle Korporierten das „Braunhemd“ übertreifen – statt dem traditionellen Wichs, mit dem die Burschenschafter heute beim Akademikerball tanzen.

Die deutschnationalen Verbindungen sind 1938 mit wehenden Fahnen in das Lager der Nazis übergegangen – sie wurden in Kameradschaften des „Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes“ (NSDStB) übergeführt. Die Burschenschaft „Bruna Sudetia“ wurde in „Kameradschaft Otto Planetta“ umbenannt – nach dem Nationalsozialisten, der den austrofaschistischen Kanzler Engelbert Dollfuß ermordet hatte.

Der Historiker Michael Gehler analysierte, dass sich die Corps und Burschenschaften bereits ab 1933 voll und ganz in den Dienst des Nationalsozialismus gestellt hätten. Gehler stellte in einer Untersuchung der Innsbrucker Burschenschaften fest, dass vor 1938 die überwiegende Mehrheit der burschenschaftlichen Studenten zu geheimen Nazi-Organisationen gehörten und nach 1938 an die 80 Prozent Mitglieder der NSDAP waren.

Freiheitliche Geständnisse

Der spätere erste FPÖ-Obmann Anton Rheinthaller, Burschenschafter der Landsmannschaft „Salzburger zu Wien“, wurde nach 1938 Unterstaatssekretär in Berlin und Reichstagsabgeordneter und erklärte in seiner Antrittsrede stolz: „Der nationale Gedanke bedeutet in seinem Wesen nichts anders als das Bekenntnis der Zugehörigkeit zum deutschen Volk.“

Der ehemalige blaue EU-Abgeordnete Andreas Mölzer („Vandalia Graz“) ist auch ein stolzer Burschenschafter und schämt sich nicht dafür, dass im Österreich der Zwischenkriegszeit „die studentischen Korporationen zu Vorkämpfern des Nationalsozialismus geworden“ waren.

Walter Rosenkranz („Libertas Wien“), Abgeordneter für die FPÖ im Parlament, will nicht verschweigen, dass „natürlich auch Burschenschafter, vor allem die jungen Aktiven, als Mitarbeiter zur NSDAP“ gewandert sind und dass der Anschluss unter Burschenschaftern „durchwegs verständlich“ zu „begrüßen und zu unterstützen“ war. 2009 lobte Rosenkranz den Nationalsozialisten Hans Tita Probst, der während des „Juliputsch“ 1934 getötet wurde, für seine Rolle im „Steirischen Abwehrkampf“ gegen die Slowenen.

Organisatoren des Holocausts als Mitglieder geehrt

In der Kriegs- und Vernichtungsmaschine der Nazis spielten deutschnationale Burschenschafter aus Österreich eine wesentliche Rolle:

  • Ernst Kaltenbrunner („Arminia Graz“) wurde als Chef des Reichssicherheitshauptamtes zu einer Zentralfigur der nationalsozialistischen Terror- und Tötungsmaschine.
  • Irmfried Eberl („Germania Innsbruck“) war Euthanasiearzt und Kommandant des Vernichtungslagers Treblinka.
  • Hermann Richter („Sängerschaft Scalden“), ein SS-Obersturmbannführer, folterte in den Konzentrationslagern Gusen und Dachau Lagerinsassen und entnahm Menschen bei vollem Bewusstsein Organe, um zu beobachten, wie lange sie ohne diese überleben konnten.

Bis heute werden diese Kriegsverbrecher als Mitglieder geführt. Ende der 1990er-Jahre ließ Oberstaatsanwalt Harald Eisenmenger (Corps „Arminia Turicensis“) unter Burschenschaftern eine Liste von „Gefallenen und Verstorbenen“ zirkulieren, denen „stets ein ehrendes Andenken“ bewahrt werde sollte – darunter NS-Luftwaffenkommandant Hans-Ulrich Rudel, Gestapo-Chef Herbert Kappler und der verurteilte Kriegsverbrecher Walter Reder (SS-Obersturmführer und Hauptverantwortlicher für das Massaker von Marzabotto).

Zeichen der Treue: Die blaue Kornblume

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten die deutschnationalen Burschenschaften mit staatlicher Unterstützung schnell wieder ihren Betrieb aufnehmen und übernahmen den SS-Leitspruch „Unsere Ehre heißt Treue“. Die blaue Kornblume wurde zum Symbol für die ungebrochene Treue zum Nationalsozialismus. „Andere werfen ihre Symbole über Bord – wir wollen sie pflegen“, schrieb die rechtsextreme „Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik“ (AFP) in ihren Statuten und bat ihre Anhänger, sich eine blaue Kornblume zu besorgen und zu tragen.

Johann Gudenus: Mit dem Parteizeichen der illegalen Nazis zur Angelobung

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Nachdem das Tragen des Hakenkreuzes 1933 in Österreich verboten wurde, diente die blaue Kornblume als Erkennungszeichen der illegalen Nationalsozialisten. Jedes Mal, wenn sich freiheitliche Abgeordnete bei der Angelobung im Parlament die blaue Kornblume anstecken oder behaupten, sie wären 1938 verboten worden, verhöhnen sie damit ihre Gegner.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.