Andreas Pittler: Wiener Bagage
Inspektor David Bronstein von der Mordkommission ermittelt wieder. In 14 Kriminalgeschichten entführt uns Autor Andreas Pittler in das Wien des frühen 20. Jahrhunderts. Pittler begleitet die Leser_innen an historische Orte Wiens und lässt längst verstorbene Figuren, Künstler_innen und Politiker_innen wieder auferstehen. Inspektor Bronstein trifft etwa im Café Central auf Leo Bronstein, besser bekannt als Trotzki, der seinem Namensvetter bei der Aufklärung eines Mordes zur Seite steht. Sieben Geschichten sind wahr, die anderen erfunden. Damit können Leser_innen selbst zum Detektiv werden.
Die Geschichten sind durchaus politisch, und nicht nur für historisch interessierte, sondern auch für linke Leser_innen geschrieben. Manche haben den aktuellen Wiener Polizeipräsidenten Gerhard Pürstl nach der Repression gegen die Proteste gegen den FPÖ-Akademikerball mit dem ehemaligen Polizeipräsidenten Johann Schober verglichen, der beim Justizpalastbrand 1927 über 80 Menschen erschießen ließ. Damals konnte es schon vorkommen, dass auch Bronsteins Kollegen „der Respekt vor den Oberen gründlich abhanden“ kam.
Die Geschichten sind nicht zuletzt deshalb so genüsslich zu lesen, weil sie in „Wiener Schmäh“ verpackt werden. Beißend kritisiert Pittler in Person des Inspektors die Untätigkeit der sozialdemokratischen Führung im Februar 1934, als sie die Arbeiter_innen ohne Waffen hilflos der Polizei und den Faschisten auslieferten. „Diese Salonschwadroneure sollten jetzt einen auf Lenin machen?“, fragt er. „Sicher, an so manchem Feiertag der roten Bewegung … konnte es vorkommen, dass [die Führer] sich gerierten, als wären sie in die Wolle gefärbte Revolutionäre reinsten bolschewistischen Wassers. Aber spätestens nach Beendigung der jeweiligen Kundgebung mutierten die Herren Sozialdemokraten im Handumdrehen wieder zu den zahmsten Pudeln, die dankbar und mit treuherzigem Blick reagierten, wenn ihnen der Pikkolo im Kaffeehaus zum Einspänner ein Punschkrapferl hinstellte.“
Pittlers Sympathie mit der Arbeiter_innenbewegung und den einfachen Leuten wird spätestens dann deutlich, als Bronstein in jenen Februartagen das Kommando über ein paar Polizisten zur Ausräucherung eines sozialdemokratischen Widerstandsnests im Wiener Reumannhof übertragen wird. Da muss Diktator Dollfuß schon einmal als „der Gartenzwerg aus dem Mostviertel“ herhalten.
Liebhaber_innen von Krimi-Geschichten sowie politische Leser_innen werden in die „Wiener Bagage“ regelrecht hineinkippen.