Die Geschichte der Gastarbeiter in Österreich
Die Bundeswirtschaftskammer forderte gemeinsam mit der ÖVP seit den 1950ern eine Öffnung des Arbeitsmarktes für Arbeitskräfte aus dem Ausland im Interesse des Kapitals. Es war nie ein Akt der Solidarität für Länder wie der Türkei, in der damals eine hohe Arbeitslosigkeit herrschte. Ein möglichst großes Angebot an Arbeitskräften in Österreich gab der Wirtschaftsspitze auch die Möglichkeit, gegen die Machtposition der Gewerkschaften vorzugehen und die Verhandlungsmacht der Arbeiterseite zu schwächen. Die einzig richtige Reaktion der Gewerkschaften wäre gewesen, für gleiche Löhne und gleiche Rechte aller zu kämpfen. Die Unternehmer waren unter Druck. Es herrschte Arbeitskräftemangel. Stattdessen wurde das Raab-Olah-Abkommen geschlossen, benannt nach den Präsidenten der Wirtschaftskammer und des Gewerkschaftsbunds Julius Raab und Franz Olah. Dieses sollte ausländischen Arbeitskräften den Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt erleichtern.
Das Wort „Gastarbeiter“ sollte klarstellen, dass die angeworbenen Arbeitskräfte nur vorübergehend in Österreich erwünscht waren. Es war quasi der Grundstein für die über 30-jährige Gastarbeitergeschichte Österreichs. 1964 schloss Österreich ein Abwerbeabkommen mit der Türkei. Auch Arbeiter_innen aus dem ehemaligen Jugoslawien waren in Österreich gefragt. Offiziell sollen von 1964 bis 1971 40.000 türkische und jugoslawische Arbeiter_innen über den Amtsweg gekommen sein. Dabei wurden die Menschen nicht mitgezählt, die über Verwandte und Bekannte eine Stelle bekommen haben. Bis Mitte der 80er-Jahre kamen ca. 200.000 bis 220.000 Menschen als Gastarbeiter_innen nach Österreich.
Diskriminierung
Der Weg nach Österreich führte über Anwerbekommissionen und einem ärztlichen Gesundheitsattest für Beschäftigungen mit ungünstigen Arbeitszeiten, Wochenend- und Nachtarbeit, sowie niedrigentlohnte Hilfstätigkeiten. Gastarbeiter_innen mussten deutschsprachige Verträge, die sie nicht verstehen konnten, unter Druck unterschreiben. Man klärte sie nicht über ihre Rechte auf, oder dass sie mehr verdienen durften als den gesetzlichen Mindestlohn, besonders an Nacht- und Wochenendschichten. Teils bekamen sie nur ein Viertel von dem Lohn der österreichischen Kolleg_innen. Wer wusste, was ihm eigentlich zustand, traute sich oft nicht, seine Rechte einzufordern. Denn das Visum war an die Beschäftigung gekoppelt und Arbeitsverträge meist auf ein Jahr befristet. Wer also zu „aufmüpfig“ war, dem drohte die Abschiebung. Auch der Wechsel in eine andere Firma wurde erschwert, indem Firmen bei der Wirtschaftskammer intervenierten. Der niederösterreichische „Stadtbaumeister Rudolf Jäger“ beschwert sich 1963 etwa, dass acht türkische Bauarbeiter gekündigt haben und bittet die WKO, „auch von Ihrer Seite aus zu versuchen, diese türkischen Bauhelfer aufzugreifen und damit zur Rückkehr zu zwingen.“
Miserable Wohnsituation
Wie wenig sich Arbeitgeber und der österreichische Staat um vertraglich zugesicherte Rechte scherte, wird bei der menschenunwürdigen Wohnsituation von Gastarbeiter_innen deutlich. Versprochen wurden Wohnungen, die den landesüblichen Verhältnissen entsprechen. Der Politologe Hannes Wimmer kam in den 1980er-Jahren in seinen Untersuchungen zu den Wohnverhältnissen der Migrant_innen zu einem erschütternden Ergebnis: Denn stattdessen waren überbelegte Substandardwohnungen der Kategorie D, die mehr Sardinendosen als einem Ort zum Leben glichen, für 80 Prozent die Regel. WCs und fließendes Wasser waren für ein Viertel außerhalb der Wohnung. So machten die Hausbesitzer also noch gutes Geld mit Wohnungen, die längst renoviert gehört hätten.
Ab den 1970er-Jahren verrichteten viele jugoslawische Gastarbeiter_innen neben ihrer regulären Arbeit noch den Hausbesorgerberuf. Diese Tätigkeit wurde in Wien immer unbeliebter aufgrund der schlechten Bezahlung und den oft kleinen, finsteren und feuchten Dienstwohnungen. Die Wohnungen verteilten sich auf Gebiete, deren sanierungsbedürftiger Wohnungsbestand den damals angebrachten Wohnansprüchen nicht mehr entsprachen, oder Orte, die eigentlich nach Stadtplanungen gar nicht als Wohngebiete gedacht sind. Darunter fallen Unterkünfte innerhalb von Industrie- und Lagerplatzstrukturen und Baustellenunterkünfte, wo es an Infrastruktur und Kontakt zu einheimischen Nachbarn mangelte. Geruchs- und Lärmbelästigung waren stark.
Bis in die 1970er sollten Firmen eigentlich für die Unterkunft aufkommen. Jedoch zogen sie beinhart einen Teil des Lohns für Logis ab. Darunter konnte man in der Regel schäbige Quartiere erwarten, die man sich zu siebt teilte, und gerade groß genug für vier Stockbetten waren. Waschmaschine oder Bad im Zimmer waren Luxus, zum Waschen durfte man sich mit den Kollegen_innen vor öffentlichen Bädern anstellen. Wer sich das nicht gefallen lassen wollte, hätte theoretisch in eine eigene Wohnung umziehen können. Doch dafür drohte einem rasch der Rauswurf aus der Firma.
Rolle der Gewerkschaften
Das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Gastarbeiter_innen war zwiespältig, denn die Gewerkschaften fanden lange Zeit nicht zu einer solidarischen Haltung gegenüber den Zugewanderten. Gewerkschaften gingen lange nicht der Aufgabe nach, in Konflikten zwischen in- und ausländischen Arbeiter_innen zu vermitteln. Auch traten sie nicht von Anfang an als Interessenvertretung der Gastarbeiter_innen auf, stattdessen galt die bevorzugte Beschäftigung von Österreicher_innen als Priorität. Türkische und jugoslawische Arbeiter_innen galten als Konkurrenz, man fürchtete um Lohndruck und eine geschwächte Position bei Verhandlungen mit Arbeitgebern – anders als davor in der 1. Republik.
Im neuen Betriebsratsgesetz von 1947 dürfen nichtösterreichische Arbeiter_innen keine Betriebsräte werden und sind vom aktiven und passiven Wahlrecht gewerkschaftlicher Vertretungen ausgeschlossen 1974 ermöglichte das Arbeiterverfassungsgesetz zwar Nichtösterreichern das aktive Betriebsratswahlrecht, jedoch nicht die Kandidatur zum Betriebsrat. So verhinderte man die Vertretung der Interessen von Gastarbeiter_innen. Auch die Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes bevorzugten klar Einheimische. Gleichzeitig kam es immer wieder zur Zusammenarbeit mit der jugoslawischen Gewerkschaft und es wurden Gelder für Vereine und andere Aktivitäten von jugoslawischen Arbeiter_innen zur Verfügung gestellt.
Frauen als Gastarbeiterinnen
Anstatt weibliche Gastarbeiter nur als Anhängsel ihrer Männer kleinzureden, muss auch ihre Situation genau betrachtet werden. Zwar war der Großteil der Gastarbeiter Männer, trotzdem schufteten Frauen aus Jugoslawien und der Türkei in österreichischen Betrieben, vor allem in der Textilindustrie. Gastarbeiterinnen sind also kein alleiniges Phänomen des Familiennachzugs. Zu den Problemen, die sie mit männlichen Gastarbeitern teilen, kommen noch weitere Formen der Diskriminierung hinzu. Im Vergleich zum männlich geprägten Baugewerbe oder der Schwerindustrie waren die Gehälter im Gastgewerbe und der Textilindustrie viel niedriger. Wer besser ausgebildet war, wurde dennoch häufig in unqualifizierte Jobs gedrängt: So wurde z.B. der türkischen Buchhalterin vom Arbeitsmarktservice bloß Stellen als Reinigungskraft vorgeschlagen. Es fehlte an Kinderbetreuungsplätzen, besonders am Land. Anspruch auf Karenz gab es kaum, dafür waren die meisten Frauen noch nicht lang genug in Österreich. Sie hatten also die Wahl, bei ihren Kindern zu bleiben und damit sowohl Job als auch ihr Visum zu verlieren, oder ihre Kinder rasch nach der Geburt zu den Verwandten in die Heimat zu schicken oder sie in staatliche Obhut zu geben.
Kulturvereine
Viele angeworbene Arbeiter_innen stammen aus ländlichen, religiös geprägten Gebieten der Türkei. Als Reaktion auf die Ausgrenzung durch die Mehrheitsgesellschaft, mieteten sie Kellerwohnungen und Hinterhöfe in Industriegebieten, um Gebetsstätten mit kleinen Teestuben zu errichten. Die so gegründeten islamischen und türkischen Vereine waren sowas wie ein sicherer Hafen, in dem man sich solidarisieren und austauschen konnte. Der 1990 gegründete Türkisch-Islamische Union für Kulturelle und Soziale Zusammenarbeit in Österreich (ATIB) bietet soziale, kulturelle, religiöse und sportliche Aktivitäten, sowie muslimische Begräbnisse und Deutschkurse. Das Bedürfnis, sich nach Momenten der Ausgrenzung in solchen Vereinen zu organisieren, wird bis heute der türkischstämmigen Bevölkerung als Beweis für ihre angebliche Integrationsunwilligkeit vorgehalten.
Treffpunkt „Sidbanof“
In den beengten Wohnungen hielt man sich am besten nur zum Schlafen auf. Seine Freizeit verbrachte man, wenn das Wetter mitspielte, mit der Familie draußen in Parks oder auf Wiesen in den Außenbezirken. Ein besonders bedeutender Ort für alleinstehende Wiener Migrant_innen war der Südbahnhof. Der selbe Ort, bei dem Gastarbeiter_innen zum ersten Mal österreichische Luft schnupperten, entwickelte sich zu einem beliebten Treffpunkt, um Landsleuten aus der alten Heimat zu begegnen und mit ihnen Neuigkeiten auszutauschen. Mal für kurze Zeit den harten Alltag ausblenden, das war auch für den seit 1969 in Wien lebenden Bratoljub Cuk wichtig: „Am Anfang kannte ich niemanden und konnte nicht Deutsch. Dann haben mir die Menschen gesagt, dass ich zum Südbahnhof gehen soll, wenn ich die eigene Muttersprache hören möchte, was ich auch tat.“ Davon waren sowohl Mehrheitsbevölkerung als auch die Wiener Stadtregierung mäßig begeistert. Man schimpfte, dass der Südbahnhof nicht „balkanisiert“ und zum „Basar“ werden dürfe. Um die Migrant_innen räumlich noch weiter von der restlichen Bevölkerung zu trennen, überlegte die Wiener SPÖ 1971, rund um den Südbahnhof ein eigenes Gastarbeiterviertel zu errichten.
Familiennachzug
Obwohl es ursprünglich nicht so vorgesehen und auch von den ersten Gastarbeiter_innen nicht so geplant war, holten Anfang der 1970-Jahre immer mehr ihre Kinder und Angehörigen nach Österreich. Dieser Wunsch ist nachvollziehbar: Dass viele Kinder in Jugoslawien oder der Türkei teils sogar die ersten Lebensjahre ohne ihre Väter aufwachsen mussten, da diese in Österreich für die Familie Geld verdienen mussten, war auf Dauer nicht zumutbar. Doch das österreichische Bildungssystem bereitete sich darauf nicht vor. Lehrkräfte waren weniger bemüht um die Gastarbeiterkinder. Unverhältnismäßig viele landeten in Sonderschulen, mussten die Klassen wiederholen oder brachen die Schulausbildung ab.Diese Form der Diskriminierung verfestigt sich leicht über Generationen, da Österreich ein Land ist, in dem Bildung meist vererbt wird. Die OECD kritisiert noch heute Österreichs Bildungssystem für seine geringe Aufwärtsmobilität.
Die Bedeutung von zusätzlichem Unterricht und Förderung der Erstsprache von Kindern wird oft unterschätzt. Entgegen Expert_innenmeinungen wird selbst Jahrzehnte später in der österreichischen Politik Mehrsprachigkeit unter Schüler_innen problematisiert. Stattdessen hetzen ÖVP und FPÖ gegen Kinder, die daheim nicht Deutsch sprechen, und leugnen, dass Österreich ein multikulturelles Land ist. Besonders deswegen sind Ausstellungen wie „Gastarbajteri“ so bedeutend, da sich ehemalige Gastarbeiter_innen und deren Nachkommen sich so ermächtigt fühlen, aus ihrer eigenen Perspektive zu erzählen und dem rassistischen Mainstreamnarrativ zu widersprechen.
Austrokeynesianismus:
In den Rezessionsjahren 1974/75 wurden 70.000 Arbeitsverträge ganz einfach nicht mehr verlängert.
Das Sozialministerium reduzierte die Zahl der Gastarbeiter_innen per Erlass auf 30.000. Während die österreichischen Arbeiter_innen mit Lohnverzicht die Profite hochhalten sollten, schob man die großteils türkischen Arbeitskräfte ab. So wurden die offiziellen Arbeitslosenzahlen inländischer Arbeitskräfte niedrig gehalten.
Diese rassistische Praxis war ein wichtiger Teil des hochgelobten „Austrokeynesianismus“.