Hoffnung und Enttäuschung – Die Frühgeschichte der SPÖ

Die Gründung der ersten nachhaltigen sozialistischen Partei in Österreich war ein großer Schritt für die Arbeiterinnen- und Arbeiterklasse. Einer, von dem sie heute noch zehren, wenn man sich den Lebensstandard der österreichischen Arbeiter:innen ansieht. Es zeigt sich aber in den Schwächen eine Kontinuität seit damals. Die SPÖ ist von Kopf bis Fuß auf Kooperation mit dem Klassenfeind eingestellt und hat in den entscheidenden Momenten immer vor dem Gegner kapituliert.
5. November 2024 |

Die Vorläuferin der heutigen Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ), die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP), wurde auf einer Konferenz zur Jahreswende 1888-1889 gegründet, um Arbeiter:innen verschiedener Nationen auf der österreichischen Seite Österreich-Ungarns zu organisieren, blieb aber in der deutsch-österreichischen Arbeiter:innenklasse am stärksten. Die Hainfelder Konferenz vereinte konservativere mit radikalen Sozialisten in einer einzigen Organisation, die bald am Gründungskongress der Sozialistischen Internationale teilnahm. Die Schlüsselfigur bei dieser Vereinigung war Victor Adler, heute ein Heiliger in sozialdemokratischen Kreisen.
Von Anfang an betonte die Partei die Bedeutung der parlamentarischen Reform und der Teilnahme an Wahlen. Bis 1897 konnte die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nicht an den Wahlen zum Abgeordnetenhaus des Österreichischen Reichsrates (Parlament), geschweige denn zu den Landtagen teilnehmen. Das allgemeine, mehr oder weniger gleiche Wahlrecht für Männer, wurde erst 1907 eingeführt.

Das erste Programm der Partei war ein eindeutig marxistisches Dokument. Das Ziel der Partei war „für das gesamte Volk ohne Unterschied der Nation, der Rasse und des Geschlechts die Befreiung aus den Fesseln der ökonomischen Abhängigkeit, die Beseitigung der politischen Rechtlosigkeit und die Erhebung aus der geistigen Verkümmerung“. Das „klassenbewußte (…) als politische Partei organisierte Proletariat“ wurde als Akteur des „Übergangs der Arbeitsmittel in den gemeinschaftlichen Besitz der Gesamtheit des arbeitenden Volkes [, der] auch nicht nur die Befreiung der Arbeiterklasse bedeutet, sondern auch die Erfüllung einer geschichtlich notwendigen Entwicklung.“ „Der Einzelbesitz an Produktionsmitteln, wie er auch politisch den Klassenstaat bedeutet“, so die Grundsatzerklärung, „bedeutet ökonomisch steigende Massenarmut und wachsende Verelendung immer breiterer Volksschichten.“

Im Programm wird das „allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht ohne Unterschied des Geschlechtes für alle Vertretungskörper mit Diätenbezug anzustreben, als eines der wichtigsten Mittel der Agitation und Organisation“ anerkannt. Diese Klausel wurde durch ein Zugeständnis an die Radikalen vor der Wiedervereinigung ergänzt, indem die parlamentarische Regierung treffend als „eine Form der modernen Klassenherrschaft“ bezeichnet wurde. Melanie Sully stellte in diesem Zusammenhang treffend fest, dass „das Hainfelder Programm als radikaler angesehen werden kann als das Erfurter Programm der deutschen Sozialdemokraten von 1891“.

Die Partei, die bis 1897 keine Vertreter im Reichsrat hatte, betrieb umfangreiche außerparlamentarische Aktivitäten, obwohl ihre Führer von Anfang an die Bedeutung des Wahlkampfes und des Kampfes für das allgemeine Wahlrecht betonten, dessen Erreichung sie als politisches Allheilmittel ansahen. Die SDAP war die treibende Kraft bei der gewerkschaftlichen Organisierung der Arbeiter:innen und unterstützte die von ihnen geführten Streiks, die für die Verbesserung ihres Lebensstandards und der Arbeitsbedingungen von entscheidender Bedeutung waren. Die Partei leistete politische und allgemeine Bildungsarbeit in der Arbeiter:innenklasse und gab Zeitungen heraus, darunter ihr Zentralorgan, die Arbeiter-Zeitung, die ab 1895 täglich erschien, sowie seltener erscheinende Periodika in den Provinzstädten, ferner Flugblätter, Broschüren, Bücher und ab 1907 die theoretische Monatszeitschrift „Der Kampf“.

Ab 1890 organisierte die Partei auch Streiks und Demonstrationen zur Feier des 1. Mai, wie es der Internationale Sozialistenkongress 1889 empfohlen hatte, der die Sozialistische (oder Zweite) Internationale ins Leben rief. In Deutschland gab es am 1. Mai keine Streiks, und Kundgebungen fanden nur am darauffolgenden Sonntag statt. In Österreich fanden bis 1914 alljährlich sozialdemokratische Maistreiks und Kundgebungen statt. Unter den Parolen des Achtstundentags und des allgemeinen Wahlrechts schlossen sich am Montag, dem 1. Mai 1893, 40.000 Tschech:innen und Deutsche dem Protest in Prag und 100.000 bis 150.000 in Wien an, von wo die Arbeiter-Zeitung berichtete

„Es war einer der erhebendsten Momente des letzten Montag, im Prater im friedlichen Verein deutsche, tschechische, polnische und italienische Arbeiterlieder zu hören, es zu erleben, wie die einige hundert Mann starke Schaar der polnischen Arbeiter, die begeistert ihr „Lied von der roten Fahne“ sangen, beim Auszug von den Deutschen und Tschechen stürmisch begrüßt wurden; wie das deutsche „Lied der Arbeit“ mit dem [tschechischen] „První máj“ abwechselte.“

In Deutschland gab es am 1. Mai keine Streiks und Kundgebungen fanden nur am darauffolgenden Sonntag statt. In Österreich fanden bis 1914 alljährlich sozialdemokratische Maistreiks und Kundgebungen statt.

Obwohl die Sozialisten formal für die Gleichberechtigung der Mitglieder aller Nationalitäten eintraten, machte die Partei 1897 ein strukturelles Zugeständnis an den Nationalismus, indem sie sich in eine formale Föderation nationaler deutsch-österreichischer, tschechischer, polnischer und italienischer sozialdemokratischer Parteien verwandelte. Dies öffnete den Weg für eine sich widersprechende Politik der nationalen Parteien, die der „Allgemeinen Partei“ angehörten. Und es führte zur Kapitulation vor dem Nationalismus der jeweils eigenen Nation, anstatt sich eindeutig dem gemeinsamen Kampf gegen den Chauvinismus aller Nationen, einschließlich der eigenen, anzuschließen.

Das Nationalitätenprogramm der Partei von 1899 machte dann ein massives Zugeständnis an die Monarchie, ein „Völkergefängnis“ wie das Russische Reich. Die deutsch-österreichische Elite dominierte den Staat, dessen andere Nationen von der monarchischen Regierung in Wien unterdrückt wurden. Im Gegensatz zu den russischen Sozialdemokraten und den erfolglosen Vorläufern der SDAP von 1874, unterstütze die SAPÖ nicht das Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Nationen, d. h. das Recht, sich vom österreichischen Staat zu lösen. Das Nationalitätenprogramm befürwortete lediglich die Umwandlung Österreichs in „einen demokratischen Nationalitätenbundesstaat“.

Die Schwäche der SDAP im Kampf gegen Unterdrückung zeigte sich auch in ihrer Haltung zum Antisemitismus. Adler, der selbst einen jüdischen Hintergrund hatte, und die Parteiführung lehnten Antisemitismus und „Philosemitismus“, (verstanden als spezifische Bemühungen zur Verteidigung der Juden und zur Ausweitung ihrer Bürgerrechte), „gleichermaßen“ ab, da sie nur den Interessen der jüdischen Kapitalisten dienten, die natürlich nur eine sehr kleine Minderheit der jüdischen Bevölkerung waren. Als jüdische Arbeiter:innen in Galizien (der großen österreichischen Provinz des geteilten Polens) ihre eigene sozialdemokratische Partei gründeten und um Aufnahme in die Allgemeine Partei baten, wurden sie abgewiesen. Das war ein Entgegenkommen Adlers an den nationalistischen Führer der Polnischen Sozialdemokratischen Partei, Ignacy Daszyński, mit dem Adler ein Bündnis einging. Das richtete sich vor allem gegen die tschechische Partei, die nach der Deutsch-Österreichischen Partei die zweitgrößte in der Föderation war.

Parlamentarischer Idiotismus

Im Jahr 1901 überarbeitete der Allgemeine Parteitag sein Programm. Das neue „Wiener Programm“ bekräftigt den Reformismus der Partei und den Glauben an Veränderungen durch das Parlament. Die frühere Bezeichnung der parlamentarischen Institutionen als „eine Form der modernen Klassenherrschaft“ wurde fallen gelassen. Adler und andere einflussreiche Parteiführer bedienten sich auf dem Kongress und danach revolutionärer Rhetorik, doch ein Polizeibericht stellte treffend fest, dass
„Der Wiener Parteitag hat den revolutionären Radikalismus des alten Programms endgültig begraben, und die österreichische Sozialdemokratie ist so sehr es auch ihre Führer zu verschleiern bestrebt sind, bereits auf dem Wege, sich mit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung abzufinden und dieser nur mehr als eine sozialreformatorische Partei entgegenzutreten.“

Was dies in der Praxis bedeutete, zeigte sich in den Episoden verschärften Klassenkampfes. Es gab mindestens drei potenziell revolutionäre Momente. Anstatt solche als Chance zu nutzen, das Bewusstsein der Arbeiter:innen zu schulen und die Notwendigkeit einer Revolution zu klären, waren die Parteiführer darauf bedacht, die Aktivitäten zu bremsen.

Angesichts der sich abzeichnenden revolutionären Situation des Jahres 1905 setzten die SDAP- und Gewerkschaftsführer sich an die Spitze der Bewegung, um sie einzudämmen. Sie präsentierten das allgemeine Wahlrecht als Wundermittel und als Alternative zum entschlossenen Kampf.

Die Nachricht, dass der Zar Russland Ende Oktober 1905 eine parlamentarische Verfassung zugestehen musste, löste in Österreich massive Mobilisierungen aus, die von der SDAP mit der Forderung nach einer Wahlrechtsreform angeführt wurden. Sie orientierten sich dabei an den revolutionären Massenaktionen der russischen Arbeiter:innen seit Januar.

Am 31. Oktober nur wenige Stunden nachdem die Partei sie aufgerufen hatte, demonstrierten 20.000 Menschen in Wien. In seiner Ansprache an die Demonstranten rief Victor Adler zum Streik auf, falls die Einführung des allgemeinen Wahlrechts verzögert würde. Die Masse der Demonstranten rief die Parole des Generalstreiks aus. Die Demonstrierenden widersetzten sich den Wünschen der Parteiführung, marschierten zahlreich und konfrontierten die Polizei.

In der Zwischenzeit hatten die Eisenbahner in Nordböhmen ab dem 26. Oktober begonnen, für ihre wirtschaftlichen Forderungen nur mehr Dienst nach Vorschrift zu machen, wodurch das örtliche Streckennetz erheblich gestört wurde. Schließlich beteiligten sich 25.000 Arbeiter an diesem „passiven Widerstand“. Die Kampagne endete am 12. November, als die Führer der sozialdemokratischen, deutschnationalen und tschechisch-nationalen Gewerkschaften einem fragwürdigen Abkommen mit der Regierung zustimmten, das einige sofortige Zugeständnisse gewährte und weitere in zwei bis drei Jahren versprach.

Angesichts der sich abzeichnenden revolutionären Situation des Jahres 1905 setzten die SDAP- und Gewerkschaftsführer sich an die Spitze der Bewegung, um sie einzudämmen. Sie präsentierten das allgemeine Wahlrecht als Wundermittel und als Alternative zum entschlossenen Kampf. Es wurde kein Versuch unternommen, die Arbeit der Eisenbahner auf Streiks bei der Bahn oder bei anderen Arbeiter:innen auszuweiten, und bei ihrer Aktion sowohl politische als auch wirtschaftliche Forderungen zu stellen, auf den Straßendemonstrationen für das allgemeine Wahlrecht auch wirtschaftliche Forderungen zu erheben oder eine radikalere Wahlreform als das allgemeine Männerwahlrecht zu fordern. Trotz des Parteiprogramms beschloss die SAPÖ-Führung, das Frauenwahlrecht nicht in ihre unmittelbaren Forderungen aufzunehmen.

Um den Druck für das wichtige, aber begrenzte demokratische Ziel der Wahlreform zu steigern, organisierten die Führer der Partei und der angeschlossenen Gewerkschaften nur an einem einzigen Tag, am Mittwoch, dem 28. November, einen Generalstreik und Kundgebungen. Eine Viertelmillion Menschen marschierte die Ringstraße entlang.

Diese kurze, aber dramatische Demonstration der Macht der Arbeiter:innenklasse war nicht genug um der herrschenden Klasse eine tiefgreifende Wahlrechtsreform abzuringen. Die Priorität von Victor Adler und der übrigen Führung bestand von nun an darin, durch parlamentarische Verhandlungen und Manöver eine günstige Gesetzgebung zu erreichen. Die tschechische Partei erwog einen Generalstreik nicht nur wegen der Wahlrechtsreform für den Reichsrat, sondern auch für den böhmischen Landtag auszurufen, eine Forderung, die von der Deutsch-Österreichischen Partei nicht unterstützt wurde, obwohl alle Landtage in Österreich sehr undemokratische Einrichtungen waren. Sie wurde vom Allgemeinen Parteivorstand überstimmt.

Erst nachdem die Wahlrechtsreform monatelang im Reichsrat festgefahren war, bereiteten Partei und Gewerkschaften nochmals den Generalstreik vor. Die Drohung eines dreitägigen Generalstreiks, die nie wahr gemacht wurde, führte zu einem (langsamen) Fortschritt im Gesetzgebungsverfahren: Die Reform wurde erst Ende Januar 1907 vom Kaiser genehmigt. Das neue Wahlrecht, das von den Sozialdemokraten unterstützt wurde, schloss Männer unter 24 Jahren und alle Frauen aus. Diesem Muster wurde noch oft gefolgt: Die Sozialdemokratie setzte sich an die Spitze radikaler Bewegungen um sie im Gegenzug für Zugeständnisse zu demobilisieren. Zugeständnisse, die in Anbetracht der Umstände sehr bescheiden ausfielen.

Krisen und verpasste Chancen

Die rapide Inflation in den Jahren 1910-1911 führte zu einem starken Rückgang des Lebensstandards der Arbeiterinnen- und Arbeiterklasse. Fast ein Jahr nach dem Protestmarsch von mindestens 250.000 Menschen auf der Ringstraße am 2. Oktober 1910 rief die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) für den 17. September 1911 zu einem weiteren Protest auf und kündigte einen Generalstreik für den 5. Oktober an.

Nach dem Ende der Reden auf der zentralen Kundgebung verbreitete sich unter den 100.000 (laut Polizei 40.000) Teilnehmern das falsche Gerücht, dass vom Rathaus aus auf die Demonstranten geschossen worden sei. Die Demonstranten warfen einen Steinhagel auf das Gebäude; die Ordnungskräfte zu Fuß und zu Pferd griffen sie an. Als sich die Demonstranten in die Vororte verteilten, steinigten sie öffentliche Gebäude, darunter auch einige Schulen, zertrümmerten Straßenlaternen und warfen Straßenbahnwagen um und zündeten sie an. Die Arbeiter errichteten Barrikaden, um sich gegen Polizei und Soldaten zu verteidigen. Viele kehrten in den damaligen Arbeitervorort Ottakring zurück, wo es zu heftigen Straßenschlachten kam. Die Soldaten eröffneten dort das Feuer. Dabei wurden vier Arbeiter:innen getötet und nach Angaben der Behörden 126 Demonstranten schwer verletzt, während 488 überwiegend junge, ungelernte Industriearbeiter:innen verhaftet wurden.

Die Reaktion der Parteiführung auf die „Teuerungsrevolte“ war im Wesentlichen sehr zwiespältig. Die Arbeiter-Zeitung verurteilte die Behörden für ihre Gewaltanwendung und sympathisierte mit den „verzweifelten“ Massen, nannte die undifferenzierten „Ereignisse in Ottakring zutiefst bedauerlich“. Die sozialdemokratische Führung gab die Idee eines Generalstreiks auf und rief ihre Mitglieder dazu auf, wie gewohnt zur Arbeit zu gehen und sich nicht an weiteren Demonstrationen zu beteiligen. Die Unzufriedenheit wurde durch die Beerdigungen der getöteten Arbeiter:innen kanalisiert, die jedoch nicht zu groß ausfallen sollten. Dennoch schlossen sich rund 50.000 Einwohner:innen von Ottakring spontan dem Trauerzug von Otto Brötzenberger an. Die „Septemberunruhen“ mögen zwar noch keine revolutionäre Situation gewesen sein, aber die Art und Weise, wie die Partei mit der sich bietenden Gelegenheit und der staatlichen Gewalt umging, brachte die Kämpfe der Arbeiter:innenklasse nicht voran, stärkte nicht das Selbstvertrauen der Arbeiter:innenklasse und erzwang keine Zugeständnisse von der Regierung.

Als der österreichisch-ungarische Staat im Oktober/November 1918 zerfiel, unternahmen Bauer, Adler und der dritte Heilige in der österreichischen sozialdemokratischen Dreifaltigkeit, Victors Sohn Friedrich alles, um eine Arbeiterrevolution zu verhindern.

1907 und 1912 stimmten die Kongresse der Sozialistischen Internationale, darunter auch die österreichischen Delegationen, dafür, dass: „Falls der Krieg … ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen“. Doch wie die meisten anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa unterstützte die österreichische Sozialdemokratie in der Praxis ihre „eigene“ Regierung, indem sie in einen innenpolitischen „Burgfrieden“ eintrat und versuchte, den Klassenkampf zeitweilig zu beenden, nachdem Österreich am 28. Juli 1914 Serbien den Krieg erklärt hatte und der Erste Weltkrieg begann. Sie stimmte im Reichsrat nur deshalb nicht für die Kriegskredite, weil die Sitzungen des Abgeordnetenhauses im März 1914 ausgesetzt worden waren.

Verratene Streiks

Die „Jännerstreiks“ von 1918, während des Ersten Weltkriegs, entwickelten sich zu einer revolutionären Krise in Österreich. Sie waren eine Massenreaktion auf den Zusammenbruch des Lebensstandards der Arbeiter:innen und den Tod und die Verstümmelung von Freunden und Familienangehörigen der Arbeiter:innen. Sie begannen unabhängig von der Partei am 14. Januar in Wiener-Neustadt. Schließlich streikten mindestens 700.000 in Österreich-Ungarn und in den Städten des ganzen Reichs wurde demonstriert. Die deutsch-österreichische sozialdemokratische Partei war schwer bemüht den Klassenkampf einzudämmen. Sie setzte sich an die Spitze der Bewegung und verhandelte mit der Regierung. Hinter verschlossenen Türen schrieben Vertreter der Regierung und der sozialistischen Führung gemeinsam die Antworten der Regierung auf die bereits begrenzten Forderungen der Partei und erklärten gemeinsam den Kompromiss für ausreichend, um die Streiks abzubrechen. Die Streiks dauerten in den meisten Gebieten bis zum 24. Januar.

Keines der „Zugeständnisse“, mit denen die Streiks beendet wurden, hat die Hauptforderungen der Teilnehmer erfüllt: die Verbesserung des Lebensstandards und der Arbeitsbedingungen und ein Frieden mit Russland ohne Annexionen. Nach Ansicht eines anderen österreichischen sozialdemokratischen Heiligen, Otto Bauer, hatte die Bewegung „einen ungeheuer revolutionären Charakter, der in den Massen die Hoffnung weckte, sie könnten den Streik direkt in eine Revolution umwandeln, die Macht übernehmen und den Frieden durchsetzen“. Aber, so schloss er, „das war natürlich eine Illusion“. Für Bauer war die Zeit für eine Revolution nie reif.

Vier Tage nachdem die meisten Streiks in Österreich beendet waren, begann in Deutschland eine gigantische Streikwelle mit Forderungen, die denen der Bewegung in Österreich-Ungarn entsprachen. Dann erhoben sich die Matrosen der österreichisch-ungarischen Flotte im Hafen von Cattaro im besetzten Montenegro am 1. Februar, ohne zu wissen, dass die österreichische Streikbewegung abgeklungen war. Adler und der Parteivorstand beschließen um den 9. Februar herum, die Meuterei und die Hinrichtung der als Anführer angesehenen Matrosen nicht publik zu machen, aus Angst, die Massenbewegung wieder aufleben zu lassen. In den folgenden Monaten kam es jedoch zu einer Reihe von Meutereien österreichisch-ungarischer Truppen, die nicht an der Front waren und sich über ihre eigenen Bedingungen, die nationale Unterdrückung und das Massengemetzel des Krieges empörten.

Vertuschte Aufstände

Bauer, Adler und der dritte Heilige in der österreichischen sozialdemokratischen Dreifaltigkeit, Victors Sohn Friedrich (ein Held, weil er 1916 in einer mutigen, aber elitären und sinnlosen Tat den österreichischen Ministerpräsidenten ermordet hatte), unternahmen erneut Schritte, um eine Arbeiter:innenrevolution zu verhindern, als der österreichisch-ungarische Staat im Oktober/November 1918 zerfiel. Nationale Revolutionen trennten die tschechischen, polnischen, italienischen und jugoslawischen Provinzen von dem Rumpf ab, der heute im Wesentlichen das österreichische Staatsgebiet darstellt. Nun hatten nur noch die Sozialdemokraten Autorität und eine Organisation unter den deutsch-österreichischen Truppen außerhalb der Front. Um eine soziale Revolution zu verhindern, beschloss die Parteiführung, die Institutionen des bestehenden Staates nicht durch eine sozialistische Ordnung zu ersetzen, die durch die Macht der Arbeiterräte ausgeübt wurde, wie es in Russland im November 1917 geschehen war. Stattdessen beteiligte sie sich als Seniorpartner an Koalitionsregierungen mit den Vorläufern der heutigen Volkspartei und den Deutschnationalen (Vorläufer der FPÖ über den Umweg der NSDAP).

Diese Regierungen verbesserten die Rechte der Österreicherinnen und Österreicher auf soziale Sicherheit sowie die Arbeitszeiten und -bedingungen erheblich. Sie sorgten auch für die politische Stabilisierung des Rumpfstaats Österreich in einer Zeit heftiger Unruhen in der Arbeiter:innenklasse und einer Wirtschaftskrise. Sie beteiligten sich – wie heute aus Koalitionsräson – auch an der Ausweisung der meisten Galizier, hauptsächlich Jüdinnen und Juden, die als Kriegsflüchtlinge in Wien lebten. Doch nachdem die deutsch-österreichischen Sozialdemokraten 1921 aus der Bundesregierung ausgeschieden waren, setzte die Partei unter Bauers Führung das Muster fort, sich an die Spitze radikaler Bewegungen zu setzen, und sozialistische Rhetorik mit dem Verzicht auf die Durchsetzung von Arbeite:innenrinteressen zu kombinieren. Diese Politik hat zur Schwächung der Macht der Partei und ihrer Miliz, dem Schutzbund beigetragen, zur eingeschränkten Verteidigung der Rechte und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse und schließlich zum Ende der österreichischen parlamentarischen Demokratie im Jahr 1933.