Johann Breitwieser – Der Robin Hood von Meidling

Johann Breitwieser war schon zu Lebzeiten eine Heldenfigur, weil er von ganz unten kam und sich das, was man zum Leben braucht, von den Reichen nahm – und dabei nie auf seine Leute vergaß. Er war Erfinder, Deserteur und Profigauner, sein Meisterstreich gelang ihm mit einem Einbruch ins Kriegsministerium.
25. November 2024 |

Der „Schani“, wie ihn die Meidlinger nennen, wächst im Gatterhölzl auf, ein Waldstück am Rand von Meidling, das im Volksmund als „Verbrecherschule“ bekannt war. Hier hatte man Mietshäuser für die verelendenden Arbeiter:innen gebaut. Als sechstes von zwölf Geschwistern treibt sich Johann als Straßenjunge herum, mit Diebstählen und Hilfsarbeiten unterstützt er seine Familie, in der Nacht streunt er mit Kriminellen im Hölzl oder legt sich im Schönbrunner Park zum Schlafen nieder. Mit gerade einmal 15 Jahren wird er das erste Mal beim Stehlen erwischt. Er will mehrere paar Schuhe mitnehmen, auf die Frage, wieso er das macht, antwortet er: „Aus Not!“ Nach einigen weiteren Diebstählen und Gefängnisaufenthalten geht Johann in den Untergrund und knüpft Kontakte zur Bruderschaft der schwarzen Larve, eine Organisation, die von den Reichen stiehlt und es an die Armen umverteilt. Dort erlernt er die Kunst des Tresore-knackens, noch wichtiger aber: wie man sich organisiert.

Drang nach Freiheit

Schon drei Jahre bevor der erste Weltkrieg beginnt, wird Breitwieser als Militärdienstverweigerer zu Zwangsarbeit verurteilt. Die Ganoven sitzen allerdings nicht untätig im Militärgefängnis Roßauerlände. Der Erste, der einen Ausbruch wagt, und späteres Mitglied der Bande Breitwieser ist Wenzel Kopetzky, im Volksmund „der Böhm“ genannt. Verdammt zur Schufterei in einer Säckekleberei, bastelt er sich aus den Materialien und ein wenig Schuhpaste eine Patronentasche und Überwurf. So spaziert er einfach an den Wachen vorbei aus dem Gefängnis – man hielt ihn für einen Korporal. Es folgen Breitwieser und ein Kollege namens Takacs in klassisch filmischer Manier mit aufgefeiltem Gitter und Leintüchern, an denen sie sich abseilten. Der Aufseher, der sich mit dem Einbrecherkönig bekannt gemacht hatte und ihn durchaus sympathisch fand, entdeckte bei seinem abendlichen Rundgang nur eine Notiz auf der stand: „Lieber Korporal! Entschuldigen Sie, daß ich mich auf gut englisch empfohlen habe. Der Drang nach Freiheit war zu groß.“ Jahre später erschien ein Nachruf des besagten Korporals auf Johann Breitwieser in der (der Heimwehr nahestehenden) Zeitung Freiheit! in der er ihn als „die Ruhe, Güte und – die Tugend“ selbst beschrieb. Einmal habe er ihn gefragt, warum er Verbrecher geworden sei, diesmal gibt Breitwieser eine andere Antwort: „Es gibt zwei Kategorien von Menschen. Reiche und Arme. Menschen, die nicht wissen, was sie mit ihrem Gelde anfangen sollen, und arme Teufel, die Hungers sterben. Ich nehme dem einen, gebe dem anderen. Das ist meine Mission!“

„Es gibt zwei Kategorien von Menschen. Reiche und Arme. Menschen, die nicht wissen, was sie mit ihrem Gelde anfangen sollen, und arme Teufel, die Hungers sterben. Ich nehme dem einen, gebe dem anderen. Das ist meine Mission!“

Seine Zeit im Gefängnis hatte er genutzt, um sich in die neuesten technischen Erkenntnisse einzulesen und allerlei Pläne für große Projekte zu schmieden, darunter ein Kassaeinbruch ohne Blitzzange und ein Fond für in Haft gekommene Kasseeinbrecher – nur „Ehrenhäftlinge“ hätten Anspruch darauf. Auch wollte er ein Quartier für gerade freigekommene Gefangene einrichten, damit sie die Chance hätten „wieder nützliche Mitglieder der Gesellschaft zu werden“. Eins ist ganz klar – ein gutbürgerliches Leben meinte er damit wohl nicht!

Kopetzky und Breitwieser begründen damit eine lange Tradition des Ausbrechens – aus dem Militärgefängnis einerseits, aber auch in ihrem weiteren Privatleben. Das nächste Mal als Breitwieser in die Roßauerlände eingeliefert wird, behalten sie ihn gerade einmal für einen Abend.

Der Schrecken von Wien

Um einer weiteren Strafe zu entgehen, lässt sich der „Schani“ schließlich an die Ostfront einziehen, merkt allerdings recht schnell, als Kanonenfutter für die Kriegstreiber kein besseres Los gezogen zu haben, woraufhin er psychische Anfälle simuliert und prompt in die Anstalt „Steinhof“ eingeliefert wird. Auch hier kann er rasch entwischen – von nun an gilt er als Deserteur. Als hätte er sich damit beim Reichskriegsministerium nicht unbeliebt genug gemacht, bricht er in dieses ein und nimmt 80.000 Kronen mit. Ab diesem Zeitpunkt gilt Breitwieser als Staatsfeind. Breitwieser und seine Bande – darunter die nicht unbekannten Gauner Kopetzky, Kucera und Kerschbaum nehmen nun ein Ringpalais nach dem anderen aus und verteilen immer einen guten Teil des Geldes unter den Leuten.

Zu Beginn des Jahres 1918 wird er zur Fahndung ausgeschrieben. 1000 Kronen winken dem, der den „Schrecken von Wien“, wie ihn die Zeitungen nennen, fasst – doch die Polizei warnt auch: „Bei der Verhaftung wäre die höchste Vorsicht geboten, da Breitwieser stets sofort schießt.“ So passiert es auch. Im April kommt es zwischen den Schrebergärten auf der Schmelz zu einer wilden Schießerei und Verfolgungsjagd zwischen Breitwieser und zwei Polizisten. Der Gesuchte wird verhaftet – in seinen Taschen findet man, neben dem Revolver, auch einen Krimi, mit dem passenden Titel „Von kleinen und großen Spitzbuben“. Ein paar Monate später gelingt ihm auch aus dem 2. Stock des Landesgerichts Wien der Ausbruch mit der Feile.

Brot für alle

Als er mit seiner Bande eines Tages nach Meidling kommt, finden sie eine Meute hungernder Menschen vor einer Anker Brotfiliale stehen, der Krieg hatte seine Spuren hinterlassen. Sie ist voll mit Brot – allerdings geschlossen. Für den Robin Hood von Meidling natürlich kein Problem, mit einem selbstgemachten Dietrich öffnet er die Tür und lässt die Leute guter Dinge plündern. Eine Anekdote verdeutlicht die Sympathie, die Breitwieser durch Aktionen wie diese im Volk genoss: An einem Tag im Mai 1918, als ein anderer Dieb von der Polizei über den Westbahnhof eskortiert wurde, verbreitete sich in der Menge der Passanten das Gerücht es handle sich um den berühmten Einbrecherkönig Breitwieser. Die Verhaftung wurde daraufhin von Schaulustigen und Fans so überrannt, dass der gesamte Westbahnhof militärisch abgesichert werden musste.

An diesem Punkt steht noch ein großer Einbruch zwischen Breitwieser und seiner sicheren Ermordung als Feind der kapitalistischen Klasse und Staatsinteressen. Der Höhepunkt gelingt ihm am 18. Jänner 1919 mit dem Diebstahl aus der Hirtenberger Patronenfabrik, bei dem die Bande über eine halbe Million Kronen einsackeln kann.

Ermordung durch die Staatsgewalt

Während der gesamte wiener Polizeiapparat mit der Jagd auf Breitwieser startet, setzt sich dieser in die Atzgersdorfer Mühle ab, wo er als Erfinder weilt, bis er sich unter falschem Namen eine Villa in St. Andrä Wörden beschafft. Dort verkehrt er mit Freunden und seiner Liebhaberin Anna Maxian in seinem selbst eingerichteten Verbrecherlaboratorium – vollgestellt mit der neuesten Technik für Diebe, die er selbst stets weiterentwickelt: Beamte finden in seiner Wohnung Drehbänke, Sauerstoffgebläse, Werkzeuge, Metallplatten und eine kleine Fachbibliothek.

Am 1. April umstellt die Polizei das Haus. Am Weg zum Fahrrad, wird Breitwieser von allen Seiten mit „Hände hoch“ beschallt. Zugegen ist auch der rasende Reporter Egon Erwin Kisch, der seine Ermordung dokumentiert. Laut ihm soll Breitwieser noch ausgerufen haben „Net schiaßn – i tuh eh nix mehr!“, als ihm eine Kugel aus dem Lauf des Inspektors Schödl die Lunge durchbohrt. Zehntausende strömten zu seiner Beerdigung am Wiener Zentralfriedhof. Und in manchen Kreisen erzählt man sich bis heute von Mut und Raffinesse eines Lieblings des meidlinger Proletariats.