Ilona Jerger: Und Marx stand still in Darwins Garten
Der erste Roman der Journalistin Ilona Jerger widmet sich dem Leben zweier großer Denker: Karl Marx und Charles Darwin. Im London des Jahres 1881 sind beide Männer Patienten Dr. Becketts, der bei seinen Hausbesuchen Einblick in ihre Leben, die unterschiedlicher nicht sein könnten, erhält. Während Darwin in Wohlstand und Ansehen schwelgt, lebt Marx in ärmlichen Verhältnissen, immer angewiesen auf die Unterstützung von Friedrich Engels. Dennoch ist ihre Arbeit gleichsam von unumstößlicher Wichtigkeit für die Menschheit.
In Gesprächen mit Dr. Beckett erfährt man von den zahlreichen Forschungsreisen Darwins, von seinen Experimenten und Entdeckungen. Während er aufgrund seiner Evolutionstheorie von vielen als „Gottesmörder“ bezeichnet wird, finden die Sozialisten genau deswegen an ihm Gefallen.
Marx drückt seine Bewunderung für Darwin so aus: „Er hat für den Materialismus und damit den Kommunismus die naturwissenschaftliche Grundlage geschaffen.“ In Marx’ Bibliothek finden sich zahlreiche Werke Darwins, und auch in dessen Regal steht das „Kapital“ mit Widmung des Autors – allerdings ungelesen. Beckett will die beiden Männer zu einem Treffen überreden, um die „großen Fragen der Menschheit“ zu diskutieren.
In den ausführlichen, aber kurzweiligen Gesprächen zwischen Patienten und Arzt erfährt man von ihren Träumen und Ängsten, von Schicksalsschlägen, Enttäuschungen und Erfolgen. Die Autorin versuchte, mit ihrer Darstellung möglichst nah an der Realität zu bleiben. Sie hat Briefe und Tagebücher studiert und die Sprache der Personen daran angepasst (wonach Marx eine Vorliebe für ausgiebiges Fluchen zu haben schien).
Nur das geschilderte Treffen in Darwins Haus fand in Wirklichkeit nie statt, aber die Vorstellung, wie es hätte sein können, hat durchaus seinen Reiz. Marx, der als „größter Revolutionär aller Zeiten“ vorgestellt wird, verehrt den Naturforscher, auch aufgrund dessen Abwendung von der Religion. Darwin hingegen steht der kommunistischen Lehre und ihren Vertretern skeptisch gegenüber, v.a. weigert er sich, seine Forschung auf Politik und Gesellschaft zu übertragen. Der Vorwurf Darwins, Marx sei ein Idealist, entfacht bei Tisch ein amüsantes Streitgespräch.
Jerger schafft mit ihrem Roman eine wunderbare Hommage an zwei der einflussreichsten Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Mit bilderreicher Wortgewandtheit zeichnet sie die Charaktere mit all ihren Liebenswürdigkeiten und Marotten, man blickt gerne auf ihre ereignisreichen Leben zurück. Das bewegende Ende des Romans bildet Engels Grabrede für Marx. Mit erhobenen Fäusten, den Blick auf eine kommunistische Zukunft gerichtet, nehmen die Trauernden Abschied von ihrem „Mohr“.